Band des Monats
Adel Tawil

Mann mit schwarzem lockigem Haar, schwarz gekleidet
Adel Tawil | Universal Music

Adel Tawil ist ein Vorreiter. Er zählt zu den ersten deutschen Sängern, deren Lieder mit ganz persönlichen Texten einen großen Erfolg beim Publikum hatten. In seiner Karriere durchläuft er verschiedene Phasen: Boyband-Mitglied, eines der zwei Ichs im Projekt mit Annette Humpe und am Ende nur er: seine Stimme und seine Lieder. Und hier gilt wirklich: das Beste kommt zum Schluss.
 

„Deutsch ist eine sehr präzise Sprache. Sie lässt oft wenig Spielraum für Ambivalenz. Texte über Gefühle klingen bei uns schnell kitschig.“ (aus einem Interview mit nordbuzz.de, April 2017)

Die Emotionen, die er in seinen Texten ausdrückt, können von einem breiten Publikum nachvollzogen werden. Tawil gelingt es, die feine Grenze zwischen emotionellem und kitschigem Pop nicht zu überschreiten, da er genau abschätzen kann, wann zu viel Gefühl im Spiel ist. Vielleicht weil sein Weg zu einer erfolgreichen Solokarriere nicht so geradlinig verlief.

Der Sänger wird 1978 in Berlin geboren und stammt aus einer ägyptisch-tunesischen Familie. Seine Erziehung beschreibt er als liberal. Schon als Jugendlicher ist Tawil auf der Bühne zu Hause. In den 90er Jahren wird er Mitglied der Boyband Boyz. Der Erfolg kommt schnell, aber so wie bei vielen Boybands, ist er nicht von Dauer. Als Ex-Popstar muss er wieder von vorne anfangen. Er erlebt wie hart die Musikszene ist: man wird schnell berühmt, gerät aber auch genauso schnell in Vergessenheit.

Die zweite Karrierechance bekommt er 2002, als Musikerin Annette Humpe eines Tages in sein Tonstudio kommt. Die beiden sehen schnell, dass sie gut musikalisch zueinander passen und gründen das Duo Ich + Ich (Annette Humpe ist übrigens 28 Jahre älter als Tawil). Das Projekt ist erfolgreich für Tawil, aber 2010 trennen sich die zwei Musiker nach drei gemeinsamen Alben. Besonders erfolgreich war das 2007 erschienene Album Vom selben Stern.
 

SPRUNG IN DIE SOLOKARRIERE

Nach zwei Jahrzehnten hat Adel Tawil mehr als genug Erfahrung, um nun endlich seine Solokarriere zu starten. Er hat im Schatten seinen eigenen musikalischen Stil entwickelt und kann ihn jetzt vorstellen. Er ist nicht mehr „nur“ ein Bandmitglied oder eines von zwei Ichs. Jetzt geht es nur um Adel Tawil.

Sein Debütalbum Lieder ist zwar das erste Album, auf dem allein sein Name steht, aber man merkt natürlich, dass es sich bei ihm um einen erfahrenen Musiker handelt. Er möchte kein Popstar sein. Seine Musik ist ein wahrhaftes Kunstwerk, wie man schon bei dem Lied, das dem Album seinen Namen gegeben hat, feststellen kann. Lieder ist eine Ode an alle Künstler, die Adel Tawil auf seinem musikalischen Weg begleitet haben. Hier kommen Songtitel und Zitate aus den unterschiedlichsten Liedern vor. Es ist wie ein Spiel; man hört sich das Lied an und versucht, die Songtitel zu erkennen. Vier Minuten Spaß.
 

Das Album war ein großer Erfolg in Deutschland. Adel Tawil hat sein Publikum gefunden. Es kommt zwar oft vor, dass Künstler den Erfolg des ersten Albums mit dem zweiten nicht wiederholen können. Hier war das aber nicht der Fall.  

POP+GEFÜHLE=ERFOLG


Zwischen den beiden Solo-Alben liegt die erfolgreiche Kooperation 2015 mit dem deutschen Duo SDP für das Lied  Ich will nur dass du weißt. Nach einem Live-Album und einer Tournee erscheint 2017 dann das zweite Album So schön anders. Der Albumtitel sagt es schon: anders zu sein ist schön. Aber nicht nur das. Wer anders ist, weckt unser Interesse. Der Sänger spricht in einem Interview von der Faszination des Anderen, der etwas hat, das wir nicht haben. Und diese Faszination kann dann auch zu erfolgreichen Projekten führen, wie im Fall von Tawil und Humpe. Und was ist anders bei Adel Tawil? Er hat keine Angst vor Gefühlen und veröffentlicht ein eher autobiographisches Album mit ganz persönlichen Songtexten.

Nach dem Erfolg seines ersten Albums erlebt er einen Tiefpunkt in seinem Privatleben. Die Scheidung von seiner Frau wird zu einem der Hauptthemen in seinen Songs. Die Lieder Mein Leben ohne mich oder Ist da jemand spiegeln diese schwere Zeit wider. Das Album ist aber nicht pathetisch, denn der Sänger sieht auch ganz viele Gründe, das Leben zu feiern. Der Unfall, der ihn 2016 beinahe das Leben kostet (er bricht sich vier Halswirbel), verändert seine Denkweise. Deshalb sind auf dem Album auch Lieder wie Sensation oder Bis hier und noch weiter (eine weitere erfolgreiche Kooperation mit den deutschen Rappern KC Rebell und Summer Cem), beide ein Symbol der Lebensfreude.
 

Nicht nur gefühlvolle Popsongs machen Adel Tawil zu einer Person, die „irgendwie anders“ ist. Er scheut sich auch nicht, engagierte Songs zu schreiben. Ganz im Gegenteil: die künstlerische Auseinandersetzung mit aktuellen Ereignissen sieht er als seine Pflicht. Die Flüchtlingskrise oder die Terrorangriffe, die uns seit einiger Zeit begleiten, werden in seinen Liedern verarbeitet. Besonders eindrucksvoll sind Eine Welt, eine Heimat und Gott, steh mir bei. Mehr Einheit, Toleranz und Frieden – Botschaften, die nie zu viel wiederholt werden können.

Ich hab' die Bibel nicht gelesen
Hab' den Koran nicht dabei
Doch wenn ich all das sehe:
Gott, steh mir bei!

(Aus dem Lied Gott steh mir bei)

 
 

DISKOGRAPHIE:

Lieder (2013)
So schön anders (2017)

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