Band des Monats
JEREMIAS

4 Musiker sitzen im Kino
JEREMIAS | © Lucio Vignolo

Deutsche Popmusik ist endlich wieder stilvoll, tanzbar und international vorzeigbar. Oktaven-Achterbahn, pop-poetische Texte plus Beats, bei denen der Körper pulsierend wippt und dahin schmilzt. Das ist der „Disko-Funk“ der mega-sympathischen Hannoveraner Jungs. Von kleinen Keller-Bars über große Musikfestivals bis hin zu urklassischen Symphonie-Orchestern – die junge Band JEREMIAS kennt sich aus auf den Bühnen dieser Welt. Schön, endlich mal wieder eine natürlich gewachsene Band mit echter Biographie zu finden.

Von Antje Lempart-Ober

Musik von der Pieke auf

Die vier Zwanzigjährigen kommen aus Hannover und fühlen sich verbunden über Freundschaft, Familie und Liebe zur Musik. Jeremias Heimbach (Gesang und Klavier) kommt aus einer Musiker*innenfamilie (Mutter: Konzertpianistin und Vater: Violinist) und sang schon als Kind im Knabenchor. Er lernte Klavier, Cello und Schlagzeug.
Der erste, der sich zu Singer-Songwriter Jeremias gesellte, war Gitarrist Oliver Sparkuhle. Sie lernten sich mit 15 auf einer Gartenparty kennen. 2018 gründeten sie dann die Indie-Pop-Band Jeremias. Oliver lernte Jazz-Gitarre und gründete eine Schulband. Jonas Hermann (Schlagzeug), auch mit erster Band-Erfahrung in der Schulzeit, lernte JEREMIAS beim Schlagzeug-Studium kennen. Ben Hoffmann (Bass) lernte Gitarre und spielte in einer Schulband.

Neben einer so musikalischen Kindheit sind auch die chilligen Wohnorte ihrer Familien von Bedeutung: Wald und See erlauben viel Zeit zum Nachdenken. Auch die Mehrsprachigkeit von Jeremias‘ Familie, dessen Mutter aus Paraguay ist, gibt ihm einen weiten Horizont in Bezug auf Musikkulturen. Der Klassiker Besame mucho findet bei JEREMIAS zu neuer Intensität.

Die vier Jungs schreiben ihre Musik gemeinsam. Beim Jammen entstehen in entspannter Harmonie ihre tanzbaren Ohrwürmer. Sie hören sich in andere Jahrzehnte der Musikgeschichte rein und geben Fund-Sounds ihre eigene Note. Neben dem Musikerleben studieren sie oder verfolgen Jobs, wie Musik-Unterrichten oder Hausmeister-Arbeiten.

Bis der Sommer wieder kommt, schnuppern wir doch in die Kindheit der Jungs hinein:
 
 

Weg zum Erfolg

Entdeckt wurde das Pop-Quartett von einer Künstleragentur während eines Konzerts im niedersächsischen Helmstedt. Der Erfolg kam als Vorband für Giant Rooks und OK Kid. Dann ging es professionell bergauf. Tim Tautorat, der bis dahin Alben von Faber und AnnenMayKantereit zum Erfolg führte, produzierte 2019 die Debüt-EP Du musst an den Frühling glauben. 2020 dann die nächste EP alma und die erste eigene Show, kurz vor dem ersten Corona-Lockdown, die restlos ausverkauft war. Die Musik der Wunderknaben schoss die Streaming-Listen in die Höhe.

Alles rausgeholt aus der Corona-zeit

Dann kam Corona und die Projekte veränderten sich. Im Mai 2021 erschien das erste Album Golden Hour und raste auf Platz 9 der deutschen Album-Charts. So ein Album ist ein inhaltliches und optisches Gesamtkunstwerk mit Sinn und logischer Zusammengehörigkeit. Trotz der neuen Hörgewohnheiten über Playlists ziehen sie diesen Klassiker vor.

JEREMIAS spielten in den Lockerungsmonaten Open Airs und Corona-Shows unter Auflagen, um ihr Liebstes weiter zu tun: das Live-Spielen. Der Bezug zu den Leuten ist Inspirationsquell der jungen Musiker.

Die offensichtliche Weiterentwicklung macht JEREMIAS spannend. Starten die früheren Werke zwischen Sinn und Sinnlichkeit, so spazieren die neuesten Lieder zwischen Dance Moves und Nachdenklichkeit. Tanzbar sind sie alle. Man kann kaum wegsehen, wenn man das Gesamtpaket auf der Bühne erlebt.

Nicer + chilliger „Disko-Funk“ auf deutsch

„Disko-Funk“: Was ist das?

Langsame Klavierballaden voller „Wasserfälle“ in der Stimme des Frontmanns Jeremias streicheln sich ins Ohr der Hörer*innen. Andere Songs wechseln von seinem Stimmspiel zu stilvollen Tanz-Stücken, bei denen jeder mit Körper, Geist und Seele in den JEREMIAS-Sog gerät. Der Körper schwingt reflexartig mit, der Geist lauscht den neopoetischen Zeilen und die Seele betritt die Welt der Entspannung. Das Publikum holt sich, was es wieder braucht, unaufgeregt-echte Gefühle, achtsame Momente und gemeinsame Höhenflüge.

JEREMIAS gehen einfach eigene Wege und kombinieren, was sie möchten. Sei es ein Konzert mit dem WDR-Funkhausorchester oder Sommer-Songs als Dreier-Kombo Provinz x Majan x Jeremias zu Liebe zu Dritt. Netzwerken, Freundschaft und Austausch sind das magische Rezept solcher Projekte.
 

Irgendwie erinnere ich mich dabei an den süchtig-machenden melodiösen Dance-Beat von Molokos Millenium-Chartstürmer The Time is now. Die Jungs von JEREMIAS selbst fühlen sich verbunden mit der Musik der Parcels, Tom Misch und Men I trust. Inspiration und gemeinsame Projekte sind wieder denkbar, denn sie begegnen sich auf Augenhöhe.

Regen als Konfetti

„Regen ist Konfetti, wenn Du willst“, „Ich hab dich lieb und Langeweile“ oder „Alles gibt sich von allein“ sprechen der freiheitshungrigen, weltbekümmernden und unbekümmerten Generation Z aus dem Mund.
 

„Ich klaue Blumen und schenk sie dir“ lautet eine der frechen Zeilen aus Liebes-Dance-Hymnen wie Schon okay. Mitmachen ist die unweigerliche Reaktion. Das ist angenehme Dance-Poesie und Melodie-Cocktail nicht nur für die Jugend sondern einfach für alle.

Die Stimme im Segelflug über die Welt

JEREMIAS‘ Musik entfaltet ihre Magie und Tiefe in jedem Atemzug der Gesangstücke bei der WDR-Funkhausorchester-Reihe für Jugendliche Pop mal anders mit der Kölner Philharmonie. Dabei sehe ich die Gestik und den Emotionstonus großer Ikonen, wie R&B-Sängerin Mariah Carey, männliche portugiesische Fado-Sänger oder arabische Maqamat-Virtuosen, wie Oum Kulthum. Das Besondere an Jeremias‘ Stimme ist, dass er das Melisma als ornamentative Melodie-Führung auf einer Silbe beharrend mit seiner Stimm-Achterbahn in die Luft zeichnet. Ich höre jeden Atemzug, den Einsatz zu jedem Wort, leise und laute Wörter, eine Nähe, wie sonst nur bei Fado-Musik in ganz kleinen Bars.

Auch gesamtmusikalisch ist eine Dreiklangbrechung des Akkords in der Manier des Arpeggio zu hören. Wie bei der Harfe zersetzt der Sänger die Töne damit, um einen Ton nach dem anderen zu singen. Dahinter liegen Passagen voller Harmoniegesang. Wer solch spielerischen Art-Pop mit großen Funk-Einflüssen schreibt, singt wirklich mit Leib und Stimme. Vielleicht singt Jeremias ja auch, wenn er seinem Hobby – dem Segelfliegen – nachgeht.

Ich prognostiziere für Jeremias international große Erfolgsaussichten. Vielleicht kommen sie ja auch mal nach Frankreich? Zeilen, wie „3 Tage Paris und ich bin wieder verliebt“ lassen hoffen.
 
 

Diskografie:

Studioalbum
Golden Hour (2021)

EPs
Du musst an den Frühling glauben (2019)
alma (2020)

Band des Monats auf Spotify

Jeden Monat stellen wir euch eine Band oder eine*n Sänger*in aus einem deutschsprachigen Land vor – den Musikstilen sind keine Grenzen gesetzt. Mit dieser Playlist könnt ihr in die Musik der vorgestellten Künstler*innen hineinschnuppern.

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