Band des Monats
Kummer

Kummer
© Philipp Gladsome

Rap, aber anders! Programmatisch für sein ganzes Album KIOX kündigt der Musiker Kummer im ersten Song an: „Ich mach' Rap wieder weich / Ich mach' Rap wieder traurig“ – und landet damit 2019 prompt auf Platz 1 der deutschen Albumcharts. Mit seinen Texten über rechte Gewalt in Deutschland, eine konsumorientierte Gesellschaft und veraltete Männlichkeitsbilder trifft er ins Schwarze. Dabei hebt er sich von der zeitgenössischen Deutschrap-Szene ab und verteilt kräftige Seitenhiebe.

Von Luisa Adamski

Schon von einem Rap-Musiker gebabysittet

Felix Kummer, wie der Rapper mit vollem Namen heißt, sagt von sich, dass er trotz seiner steilen Musikkarriere bis heute kein Instrument spielen und keine Noten lesen kann. Und das, obwohl er seit seiner Kindheit von Musik umgeben war. Sein Vater besaß den Plattenladen Kiox in Chemnitz, nach dem Kummer auch sein Album benannt hat. Dort soll er als Kind sogar von dem heute erfolgreichen Rapper Trettmann gebabysittet worden sein.
Den musikalischen Durchbruch erreichte er als Sänger der 2010 gegründeten Indie-Rock-Band Kraftklub, die für Hits wie Ich will nicht nach Berlin, Kein Liebeslied oder Schüsse in die Luft bekannt ist. Von Beginn an hatte Felix Kummer viele Pseudonyme. So trat er als Bernd Bass, Carsten Chemnitz oder Felix Brummer auf. Sein 2019 gestartetes Soloprojekt Kummer ist nach seinem bürgerlichen Nachnamen benannt. Es ist rap-lastiger als seine zuvor erschienenen Tracks und handelt erstmals von sehr persönlichen und politischen Themen, die den Musiker beschäftigen.

„Das ist nicht die Musik, die du suchst“

Gleich im ersten Song des Albums grenzt Kummer sich von der Mentalität vieler erfolgreicher Deutschrapper ab. Diese sind besonders bekannt für ihre veralteten Geschlechterrollen, Materialismus und die Verherrlichung von Kriminalität und Drogenkonsum. Für „eine Generation Alpha an Selbstoptimierern“ sei Kummers Album nichts, denn er will den Rap wieder weich und traurig machen – und die Songtexte relevanter. Im Lied Aber nein spricht er den Prototyp des Deutschrappers direkt an und kritisiert:
„Du redest aber sagst nichts, egal wie der Beat ist
Dein Song juckt Null im Gegensatz zu meiner Neurodermitis
Du rappst Kalendersprüche, deine Hook steht
Eins zu eins in irgendeinem Glückskeks“
 

Schon beim Vertrieb seines Albums will Kummer alles anders machen. Statt es über den Großhandel zu verkaufen und möglichst viel Geld einzunehmen, eröffnet er zum Albumrelease für ein Wochenende einen Plattenladen in seiner Heimatstadt Chemnitz. Dort steht er selbst hinter der Kasse und verkauft eine limitierte Anzahl an Vinylplatten seines Projekts. Danach lässt sich das Album kostenfrei über Streaming-Dienste anhören, wird physisch aber nicht weiter verkauft. Damit stellt er sich gegen den materialistischen und profitorientierten Lebensstil vieler Rapper.

Wieviel ist dein Outfit wert?

Diesen nehmen sich auch viele Jugendliche zum Vorbild. In dem Song Wieviel ist dein Outfit wert thematisiert Kummer einen problematischen Internettrend. In YouTube-Videos ist zu sehen, wie junge Menschen auf der Straße abgefangen werden und vor der Kamera ihr Outfit zeigen sollen. Dabei fällt immer die Frage: „Wieviel ist dein Outfit wert?“ Die Leute nennen daraufhin stolz die Marken ihrer Kleidung. Sie geben damit an, wie teuer sie ist, und werden am Ende anerkennend für ihr prolliges Outfit gelobt. Kummer kritisiert, dass dabei vergessen wird, wie solche Klamotten produziert werden: „Life ist super nice, da, wo man die Schuhe trägt / Life ist nicht so nice, da, wo man die Schuhe näht“. Außerdem suggerieren solche Videos, dass Menschen ohne Markenklamotten weniger wert seien: „Falscher Rucksack, falsche Jeans, alle seh'n den Unterschied / Hundert Euro liegen zwischen angeseh'n und unbeliebt“.
Kummer verleiht der titelgebenden Frage eine neue Bedeutung, indem sie in seinem Song auf die moralische Qualität abzielt: Wieviel ist ein Markenoutfit wirklich wert?
 

Gegen Rechtsextremismus im Osten

9010 ist die ehemalige Chemnitzer Postleitzahl zu DDR-Zeiten. Felix Kummer ist kurz vor dem Mauerfall geboren. In Interviews erzählt er, dass er das Gefühl, auf der ‚schlechten‘ Seite Deutschlands geboren zu sein, trotzdem kennt. Was das Leben in Ostdeutschland nicht leichter macht, ist das große Problem des Rechtsextremismus. In 9010 rappt Kummer über Eindrücke des Aufwachsens in Chemnitz:
„Born to be Opfer, Zeit zu kapier'n
Dass da, wo wir leben, Leute wie wir eben einfach kassieren
Mit dem Mund voller Blut den Krankenwagen rufen
Mit Handylicht den rausgeschlagenen Zahn auf dem Asphalt suchen“
 

Obwohl in Chemnitz alles „irgendwie traurig“ aussehe, ist das kein Grund für Kummer, aus seiner Heimatstadt wegzuziehen. Immer wieder setzt er sich für die Stadt ein und äußert sich zur politischen Situation dort. Nach den rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz 2018 organisiert er gemeinsam mit anderen Künstler*innen unter dem Motto „Wir sind mehr“ ein kostenloses Konzert.
Wie er selbstironisch in dem zuletzt erschienen Track Der letzte Song feststellt, handelt fast jede von Kummers Zeilen „von negativen Seitеn oder dem Dagegеnsein“. Sein selbsternannter „Welthass-Selbsthass-Mix“ kann aber auch anders. Melancholisch bleibt er dabei trotzdem.

Der traurige Rapper

In Liedern wie 26, Der Rest meines Lebens oder Ganz genau jetzt behandelt Kummer persönliche Themen wie den Tod einer Freundin oder die Angst vor dem Vergehen der Zeit und dem Älterwerden.
Mit der Veröffentlichung von Der letzte Song im November 2021 kündigt Kummer schließlich bis auf weiteres das Ende seines Soloprojekts an. Auch hier knüpft er an sein Selbstbild des traurigen Rappers an, macht sich aber auch über sich selbst lustig:
„Geile Themen für Songs in diesen Zeiten
Aber „Glaub an dich, geh dein'n Weg“, schaff' ich einfach nicht zu schreiben
Tut mir leid, keine Sätze, die dich aufmuntern zum Schluss
Auch der letzte Track zieht einen noch runter in den Schmutz“
 

Kummer wird also vorerst keine eigenen Lieder mehr veröffentlichen. Das letzte Konzert fand im Rahmen seiner Abschiedstournee im September diesen Jahres in Berlin statt. Der allerletzte Track mit seiner Stimme ist das aber zum Glück nicht. Mit seiner Band Kraftklub hat Felix Kummer dieses Jahr bereits das neue Album Kargo herausgebracht.

 

Diskografie:

Singles

Der letzte Song (Alles wird gut) (feat. Fred Rabe) (2021)

Alben

KIOX (2019)

Band des Monats auf Spotify

Jeden Monat stellen wir euch eine Band oder eine*n Sänger*in aus einem deutschsprachigen Land vor – den Musikstilen sind keine Grenzen gesetzt. Mit dieser Playlist könnt ihr in die Musik der vorgestellten Künstler*innen hineinschnuppern.

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