Band des Monats
Die Heiterkeit

Die Heiterkeit - eine Sängerin mit tiefer, von Überdruss gefärbter Stimme. Als Bandlogo ein Smiley mit absolut geradem Mund und absolut neutralem Ausdruck. Der Name dieser Indie-Pop-Rockband aus Hamburg ist voller Ironie. Schon durch ihren Namen gibt Die Heiterkeit einen Vorgeschmack auf ihren Stil, der entweder als “nüchtern” oder als “slowcore” bezeichnet wird, die Zeit vergleicht ihn sogar mit dem „Tonfall einer desinteressiert geführten Thekenunterhaltung“. Ein undefinierbares Objekt in der aktuellen deutschen Musiklandschaft…
Von Camille Volle
Stella Sommer: der Name, der hinter Die Heiterkeit steckt
Zwar besteht die Band offiziell aus den vier Mitgliedern Stella Sommer, Sonja Deffner, Philipp Wulf (Messer) et Hanitra Wagner (Oracles), aber eigentlich ist Stella Sommer der Grundbestandteil der Band - was die künstlerische Leitung mir zu verstehen gab, als ich sie für diesen Artikel kontaktierte. Aus diesem Grund ist nur sie auf dem Cover des letzten Albums zu sehen - “weil die Live-Band aus wechselnden Mitgliedern besteht”, hieß es. Und das aus gutem Grund: ihre kennzeichnend tiefe Stimme, die Der Spiegel sogar als “Grabesstimme” bezeichnete, ist das Markenzeichen der Band. Die Zeitschrift vergleicht sie übrigens mit der Stimme von Marlene Dietrich oder auch von Nina Hagen.Stella Sommer kam ziemlich konventionell zur Musik, und zwar bekam sie ab ihrem sechsten Lebensjahr Klavierunterricht – später dann auch Geigenunterricht. Ihre Familie legte viel Wert auf eine klassische Musikerziehung, wofür sie sich als Mädchen aber kaum interessierte. Sie gesteht sogar, dass sie damals überhaupt nicht begabt war. Erst mit 18 Jahren, nachdem sie mehrere Jahre Abstand von der Musik bekommen hatte, entdeckte Stella Sommer ihre wahre Liebe zur Musik, indem sie wieder mit dem Klavierspielen anfing. In der Zwischenzeit hatte sie einige Songs geschrieben, allerdings auf der Gitarre, die sie sich selbst beigebracht hatte.
In einem Artikel der Zeit wurde berichtet, dass Die Heiterkeit als Band im Kollektiv in einer Hamburger Bar ihre Anfänge hatte: “Die Heiterkeit starteten in einer Hamburger Kneipe, sie waren schon eine Band, als sie noch gar keinen Namen hatten, geschweige denn irgendeine Musik. Als sich der erste Studiobesuch nicht länger aufschieben ließ, entstand im Jahr 2010 eine EP, die andere Künstler als Bewerbungsdemo genutzt hätten.“ Schon damals hatten sie einen besonderen Geschmack für kleine Formate wie Singles. Das 2016 veröffentlichte Album, Pop & Tod I + II, sticht sich vielleicht am meisten heraus, und dies nicht nur durch seine Länge. Aber darauf werden wir ein bisschen später zurückkommen…
„Introspektive Stimmungen, beinahe lustlos langsamer Minimalrock“
Dieser Minimalismus und eine Ästhetik der geringsten Anstrengung scheinen für den langsamen, eher nostalgischen, aber auch reflexiven Stil von Die Heiterkeit kennzeichnend zu sein. "Nostalgisch" wegen des starken Gefühls von “Rückbesinnung auf schon dagewesene Musik“, das ihre Musik vermittelt. Und das aus gutem Grund, denn in ihr erkennt man den Einfluss von Tocotronic und der Hamburger Schule mit einem Hauch von Nirvana - man denke an das Bandlogo. Die Band klinge eher nach der dunkleren Seite der späten Sechziger, nach The Velvet Underground & Nico, nach Marianne Faithfull und Nick Drake, so ein Journalist der taz. Genau diese Musik aus dieser Zeit hat Stella Sommers Kindheit und Jugend geprägt. “Nachdenklich”, weil die Band über sich selbst und die zwischenmenschlichen Beziehungen nüchtern bis desillusioniert reflektiert und daraus griffig-zynische Slogans formt. Ich würde ebenfalls “meditativ” hinzufügen, da etwas Transzendentes in ihrer Musik steckt, die über die Vintage-Anspielungen und ihre melancholische Ironie hinweg sich – und auch uns - zu etwas Höherem erhebt. „Ein Quantensprung, klanglich wie kompositorisch, weg vom Indierock-Schrammeln hin zu etwas Erhabeneren, ein kunstvoll verschlepptes, sphärisches Wabern“, so Der Spiegel.Aber konzentrieren wir uns ein wenig mehr auf den biografischen, organischen Zusammenhang zwischen der Bandleaderin und der besonderen Klangfarbe ihrer Songs. Was Sommer zum Verhältnis ihrer Musik zu den Bedingungen für ihr Schreiben zu sagen hat, wäre Virgina Woolfs Überlegungen in Ein Zimmer für sich allein würdig: „Dass sich diese dunkle Grundfarbe durch die Songs zieht, hat eher mit mir selbst zu tun. Wenn ich Songs schreibe, schreibe ich die eigentlich immer alleine in meinem Zimmer. Da herrscht wahrscheinlich eine bestimmte Stimmung, die in den Liedern ist, weil sie halt alle vom gleichen Ort kommen. Und egal, woher die Inspiration für ein Stück kommt, am Ende gehen die Songs ja immer noch durch einen selbst durch. Bestimmte Sachen kann ich einfach nicht schreiben – selbst wenn ich’s versuchen würde, würde es nicht gehen. Weil dann meine Stimme kommt, und die hat diesen Anstrich, den sie nun mal hat.“ (taz-Interview, 2019). Man denke an die Bezeichnung ihrer “klangvollen Grabesstimme”.
Auch wenn ihre klagenden und melancholischen Töne Liebe, Langeweile und Lebensmüdigkeit ausdrücken - was die Band selbst mit dem Titel dieses Songs Schlechte Vibes im Universum gut zusammengefasst hat -, so lehnt sie trotzdem jegliche Passivität ab. Auf Herz aus Gold und Monterey, den beiden ersten Alben von Die Heiterkeit, leiht Stella Sommer Trennungsliedern ihre Stimme, jedoch ohne jeglichen Liebeskummer oder völlige Aufopferung, und ihre Gefühlsregungen bleiben neutral. "90 Prozent aller Popsongs bestehen daraus, dass jemand das Opfer ist", sagt die Songwriterin über ihre Texte in einem Interview von laut.de: "Wurde verlassen, ist jetzt unglücklich. Oder: Wurde verlassen, ist jetzt drüber weg. Das nervt tierisch, dieses Passive. Wir wollten das mal umdrehen, eine aktive Haltung einnehmen, gerade auch als Frau."
Das Album Pop & Tod I + II: großer Aufwand in euphorischer Lethargie
Das 2016 herausgekommene Album überrascht zunächst durch seine Länge. Im Vergleich zu einigen früheren Mini-Alben der Band ist dieses Album hier reich bestückt: 20 Songs in 66 Minuten, ein Doppelalbum. Mit ihren neuen Mitgliedern schwimmt Die Heiterkeit gegen den Strom ihres bisherigen Rufs, indem sie nicht mehr, wie bisher, Minimalmusik machen. Jedoch machen sie immer noch - wenn auch nur rein formal - ihre Lustlosigkeit zur Kunstform, diesmal in einem Album voller Antihymnen. Pop & Tod I+II ist ein „sich geradezu euphorisch in Lethargie suhlendes Testament der Tristesse, das es im jüngeren deutschen Pop so noch nicht zu hören gab“, kommentierte damals Der Spiegel. Es stimmt schon, dass die Band in den 2010ern - und eigentlich noch in den 2020ern - mit ihrem Musikstil aus der Reihe tanzt. Zum ersten Mal verfügt sie über Musiker*innen, die ihre sakral anmutenden Gesänge in einen angemessenen Soundtrack aus Akustikgitarre, Klavier, Synthie-Streichern und dezentem Schlagwerk betten. Ich stimme dem Magazin gerne zu, denn Pop & Tod I + II bietet einen freien, unabhängigen Sound, der abseits von Trends, Generationen und Befindlichkeiten nach einer universelleren Wahrheit sucht. Deswegen auch die „altmodischen“ Klänge, die an vergangene Zeiten erinnern, die sogar zeitlos, aber zugleich melancholisch sind. Die folgenden Songtitel aus dem Doppelalbum geben schon einen Vorgeschmack: Die Kälte, Schlechte Vibes im Universum, Pop und Tod, Vergessen, The End.Der gleiche Platz, die gleiche Schwelle
Es ist ein anderes Lied
Der gleiche Tag, wider Erwarten
Die gleiche Woche, ich komme zum Tragen
Es ist ein anderer Sound
Wir sind uns so nah
Wir sind uns so nah
Wir sind uns so nah
Nah
Pop und Tod handelt von einem “durchaus lustvollen, oft sogar schmissigen Ringen mit trüben Gemütszuständen.“, laut Der Spiegel. Im Refrain des wieder von Lebensmüdigkeit und leicht von Depression gefärbten Songs wird die Nähe thematisiert. Aber handelt es sich hier um eine positive, unterstützende Nähe, die im tristen Alltag hilft, oder ist eine zu nahe, ja fast erstickende Nähe gemeint? Was die Instrumente betrifft, herrschen wieder einmal starke Kontraste: die eher leichte Begleitung im Hintergrund lässt den klaren und hellen Klang der Gitarre umso mehr wirken. Wie so oft bei Die Heiterkeit schwingt Ironie in Pop und Tod auch mit, da Sommers berühmt tiefe und schleppende Stimme sich deutlich von den leichten, tanzenden Chören abhebt, die ihrerseits tatsächlich eher heiter sind.
Wen ich immer mochte, ertrag ich nun nicht mehr, mehr, mehr
Im Zwiespalt sitze ich bequem
Umgebe mich andauernd, umgebe mich von fern, fern, fern
[...]
Im Zwiespalt mag ich Euch so sehr
Es verengt sich ständig, erheitere mich mehr, mehr, mehr
Im Zwiespalt find ich's angenehm
Distanz als Form von Nähe; die Blumen, die ich säe
[...]
Im Zwiespalt bin ich klar zu sehen
Es berührt mich komisch, ich ernähre mich so schwer, schwer, schwer
Im Zwiespalt wünsche ich Dich näher
Teile von mir hassen andere Teile sehr, sehr, sehr
Unsicherheit. Unentschlossenheit. Der Song, der in einem ebenso großen wie leeren Haus gedreht wurde, scheint ein kleines Loblied auf die Unbequemlichkeit zu singen (“Im Zwiespalt sitze ich bequem”). Der Text spielt mit Widersprüchen, um den im Titel genannten “Zwiespalt” zu veranschaulichen. Es wimmelt von Antithesen, wobei ein mehrdeutiges Bild von Distanz und Nähe entsteht (“Distanz als Form von Nähe [...] Im Zwiespalt wünsche ich Dich näher”). Orientierungslosigkeit. Wo steht man eigentlich? Oder besser gesagt: Wo positioniert sich der/die Sprecher*in in Bezug auf dieses mysteriöse „Du“? Der Text von Im Zwiespalt lässt uns zwischen Distanz und Nähe schweben, während wir versuchen, zu verstehen, an wen sich die zweideutigen Gefühle richten, die sich mal die einen Dinge und dann wieder das Gegenteil davon wünschen. Das „Ich“ nimmt die Zuhörer*innen als Zeugen seiner/ihrer inneren Zerrissenheit mit in seine Welt, ohne die fehelnden Stücke des Puzzles zu liefern.
Am 21. März 2025 kommt das neue Album von Die Heiterkeit, Schwarze Magie, heraus. Zu diesem Anlass wird die Band auf Tour gehen. Hier sind die nächsten Live-Konzerttermine:
04.04.2025 – Köln, Artheater
05.04.2025 – Hamburg, Knust
09.04.2025 – Berlin, Lido
13.05.2025 – Leipzig, Moritzbastei
14.05.2025 – München, Strom
15.05.2025– AT-Wien, B72
Für die Neugierigen und Ungeduldigen gibt es schon eine Single aus dem künftigen Album auf dem Markt: Teufelsberg. Nach dem glitzernden Pop-Sound des letzten Albums Was Passiert Ist (2019) zeigt die Band jetzt wieder eine düstere, mystische Seite. Hier treffen Pop und Folk aufeinander und verweben sich zu einem Sound, der gleichzeitig vertraut und leicht anders klingt. Bis zum Erscheinen des neuen Albums im März wird die Spannung unerträglich sein…!
Diskografie
Alben:
21.03.2025: Schwarze Magie
2019: Was passiert ist (Buback)
2016: Pop & Tod I+II (Buback)
2014: Monterey (Staatsakt)
2012: Herz aus Gold (Staatsakt / Nein, Gelassenheit)
EPs:
2013: Daddy’s Girl (Vinyl; Staatsakt)
2012: Split mit Ja, Panik (Staatsakt / Nein, Gelassenheit)
2010: Die Heiterkeit (Vinyl; Eigenveröffentlichung)
Band des Monats auf Spotify