Band des Monats
Paula Hartmann

Die Sängerin Paula Hartmann mit einem Mikro in der Hand.
© Chris W. Braunschweiger

Mit ihrer unverwechselbar fragilen Stimme, poetischen Texten und einem feinen Gespür für urbane Melancholie erzählt Paula Hartmann moderne Märchen aus der Großstadt. Dabei trifft sie den Nerv einer Generation auf der Suche nach ihrem Platz im grauen Großstadtdschungel.

Von Katharina Edelmann

Von der Kinderschauspielerin zur Pop-Überfliegerin

Paula Hartmann wächst in Berlin-Charlottenburg auf. Bereits als kleines Mädchen setzt sie sich, inspiriert von einem Nachbarsjungen, in den Kopf, Schauspielerin zu werden. Und dazu kommt es kurz darauf auch: Paula ist unter anderem in Spielfilmen wie Der Nanny mit Mathias Schweighöfer zu sehen, von 2018 bis 2021 wirkt sie außerdem in einigen Folgen des Tatorts und Soko mit.
Als Teenagerin ist ihr diese frühe Aufmerksamkeit aber auch oft unangenehm. Da das Schauspielern in den Augen ihrer Klassenkamerad*innen schon besonders genug ist, traut sich Paula zuerst nicht, auch mit der Musik anzufangen. Und das, obwohl sie schon immer gerne Gedichte schreibt und lange davon träumt, diese auch musikalisch umzusetzen.
Ihr Traum verwirklicht sich schließlich, als sie für ihr Jurastudium nach Hamburg zieht und dort für einen befreundeten Musiker Texte zu schreiben beginnt. Daraufhin wagt sie sich endlich, auch alleine musikalisch zu experimentieren, lernt ihren heutigen Produzenten kennen und bringt schließlich 2021 ihre erste Single Nie verliebt heraus, die für Begeisterung sowohl bei Pop-Hörerinnen als auch Rappern sorgt (zu dieser ungewöhnlichen Korrelation später mehr…).

Moderne Märchen aus der Großstadt

Was macht die Songs von Paula Hartmann so besonders und wieso erreicht sie so unterschiedliche Zielgruppen?
Da wären zum einen ihre Texte: Paula schreibt über Themen, mit denen sich viele junge Menschen identifizieren können. Die Protagonistin ihrer Songs ist auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt, schwimmt ohne Ziel durch Menschenmengen in U-Bahnen und Clubs, hat lockere Beziehungen, aber eigentlich Angst vor Nähe und Bindung. Sie fühlt sich, obwohl oder gerade weil sie ständig unter all diesen Menschen ist, einsam.
Dass diese nicht unbedingt neuartigen Lyrics doch vielen so ans Herz gehen, liegt vor allem daran, dass der Fokus in Paulas Songs fast ausschließlich auf den Texten und ihrer fragil klingenden, melancholischen Stimme liegt. Dieser Fokus entsteht durch den nur minimalen Einsatz von rhythmusgebender, oft elektronischer Instrumentierung. Paula Hartmanns Stil erinnert in diesem Punkt an Billie Eilish, deren Songs ebenfalls durch detailreiche Lyrics und wenig Hintergrundinstrumente ein Gefühl der Intimität zu schaffen wissen. Als Zuhörer*in hat man schnell das Gefühl, der Sängerin ganz nah zu sein.

Dass ihre Texte ein wichtiger Bestandteil ihrer Songs sind, erklärt vielleicht auch, warum Paula als Feature in deutschen Rapsongs so beliebt ist. Auch wenn Paula und ihre Rap-Kollegen denselben Fokus auf den Text an sich haben, unterscheidet sie doch oftmals der Inhalt der Lyrics. Paula selbst bezeichnet ihre Songs als moderne Märchen aus der Großstadt. Dabei sind die Bilder, die sie in den Songs zeichnet, nicht wirklich märchenhaft. Es handelt sich vielmehr um realistische Skizzen des Stadtlebens. Mit emotionaler Wucht beschreibt sie authentisch, wie kraftraubend das Leben in der Großstadt sein kann.

Füße auf dem Sitz, S-Bahn Fensterplatz
Bin Club-Mate-wach, verstrahlt wie 'n Sendemast
Will nur gucken, ob ich ins Gedränge pass'
Einma' noch dein Bild im Kopf, dann häng' ich's ab
Klappe groß wie 'n Frosch, Lunge voller Smog
Ich leb' im höchsten Turm in einer Stadt gebaut aus Schrott
Keine Kraft, häng' am Tropf, schneide ab, was mich bindet
Tret' in jeder Straße die Latern'n aus, dass mich keiner findet


Ihr zweites Album Kleine Feuer ist sowohl musikalisch als auch inhaltlich düsterer. Auch im Cover und den in den Musikvideos verwendeten Visuals spiegelt sich genau das wider: Statt bunten, kindlichen Figuren, wie sie auf dem Cover von Nie verliebt zu sehen sind, werden für Kleine Feuer düstere Schwarz-weiß Zeichnungen verwendet, die an alte Editionen der Märchen der Gebrüder Grimm erinnern.

Großstadtlyrikerin des 21. Jahrhunderts

Paula Hartmann arbeitet in ihren Songs viel mit Metaphern und Personifikationen, die dazu dienen – wir erinnern uns an die Gedichtanalysen im Deutschunterricht – abstrakte Konzepte lebendig und greifbar zu machen. Am deutlichsten wird das in ihrem Song Snoopy, erschienen auf Paulas zweitem Album Kleine Feuer:

Ich heb' den Kopf, ein paar Kräne ragen
Über der Stadt aus den Nebelschwaden
In der Nacht glüht 'n roter Rubin
Immer, wenn ich an mei'm Paper zieh'
Rest Mond erleuchtet den Park
Er hat sich kurz in den Bäum'n verhakt
Ihre lang'n Finger über Alleen
Verfang'n uns, um vom Losreißen dann zu erzähl'n

 


Die brennende Zigarette als roter Rubin, der Mond, der sich in den Bäumen verhakt oder die Bäume als lange Finger über Alleen zeichnen, kombiniert mit Kränen und Nebelschwaden, ein lebendiges Bild einer nächtlichen Großstadt…
Sie verwendet in ihren Texten vor allem Alltagsbeobachtungen, die zu modernen Märchen werden. Dabei lassen manche Beschreibungen an klassische Großstadtsongs wie Schwarz zu blau von Peter Fox denken. Was Paulas Songs jedoch von diesen unterscheidet, ist die spezifisch weibliche Perspektive.

Kann Paula auch politisch?

In Paulas Songs geht es immer wieder um Situationen, die vielen Frauen bekannt vorkommen dürften: mit dem Schlüssel in der Hand nachts allein eine dunkle Unterführung durchqueren, angebliche Flirtversuche abwehren, oder einfach die Erleichterung darüber, dass man beim Feiern keine KO-Tropfen im Glas hat. Solche unangenehmen Situationen werden bei Paula Hartmann allerdings eher nebenbei geschildert und können im generellen düsteren Großstadtnebel ihrer Songs aufgehen, wie zum Beispiel in Truman Show Boot:

Zum Glück nichts im Getränk, für drei Minuten flenn'n
Ich fühl' mich kurz geborgen, wenn ein Lied läuft, das ich kenn'
Ich bin 'n Schwamm, ich saug' die Stadt vollständig auf
Wenn man mich auswringt, kommt ihr ganzer Dreck heraus


Paula will aber in jedem Fall ein Bewusstsein für weibliche Sozialisation im Patriarchat schaffen. Dies zeigt sich in ihrem Song 3 Sekunden, den sie gemeinsam mit der Sängerin Céline aufgenommen hat und der die Erfahrungen vieler Frauen allein auf dem Heimweg schildert:

AirPods rein, aber AirPods aus
Immer Standort, Pfefferspray, Herz klopft laut
Gucke schlecht gelaunt, Kapuze, nie Zopf zum Zieh'n
Zeig keine Haare, nie Bein, nur mit Stafford raus

 


Mit ihren auf den zweiten Blick durchaus politischen modernen Märchen aus der Großstadt hat sich Paula Hartmann in der deutschsprachigen Musikwelt einen Namen gemacht – ihr nächstes Album wird mit Spannung erwartet.
 

Diskografie

Alben

2022  
Nie verliebt
2024  Kleine Feuer 

Singles (Auswahl)

2021  
Kein Bock (mit Luvre47)
2022  Geruch von Koks (mit Haftbefehl)
2022  paris syndrom – dach session (mit Blumengarten)
2023  3 Sekunden (mit Céline)
2023  Gekreuzte Finger (mit Trettmann)
2024  Sag was (mit t-low)
2024  Grau (mit Apsilon)
2024  Red cups (mit Ufo361)
 

Band des Monats auf Spotify

Jeden Monat stellen wir euch eine Band oder eine*n Sänger*in aus einem deutschsprachigen Land vor – den Musikstilen sind keine Grenzen gesetzt. Mit dieser Playlist könnt ihr in die Musik der vorgestellten Künstler*innen hineinschnuppern.

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