Macron, Merkel und der Klimaschutz
Die Energiewende als Chance

Die Dominant von Autos in Paris
Die Dominanz von Autos in Paris | © Lena Kronenbürger

Der 20. September 2019 war ein wichtiger Tag in der aktuellen Klimapolitikdebatte: In Deutschland schnürte die große Koalition ein Klima-Paket und auf der ganzen Welt gingen Menschen für eine intensivere Klimapolitik auf die Straße.

Von Lena Kronenbürger


Wenn es um Klimapolitik geht, sind Sie, Herr Engels, Frankreichexperte und Sie, Herr Karl, Deutschlandexperte. Inwiefern unterscheiden sich die „Fridays For Future“-Proteste in diesen beiden Ländern?

Engels: Ich denke, dass der Umweltprotest in Frankreich nur einer von vielen ist, der sich in der Unzufriedenheit gegenüber der Regierung und dem politischen System als solchem entlädt. Das Klima an sich spielt da nicht die Hauptrolle, im Gegensatz zu den aktuellen deutschen Protesten. In Deutschland geht es bei den Protesten wirklich ums Klima.

Karl: Ich würde da nur halb zustimmen. Der aktuelle Diskurs birgt in beiden Ländern die Gefahr einer weitergehenden Spaltung der Gesellschaft. Auf der einen Seite gibt es jene, die sich immer vehementer für den Klimaschutz einsetzen, weil die Regierungen bisher nur schrittweise reagieren, und auf der anderen Seite nehmen die Ängste der Bevölkerung zu, wenn es um Maßnahmen im Verkehrssektor oder den Kohleausstieg geht.

Engels: Trotzdem unterscheiden sich die beiden Länder in einem Punkt grundlegend: In Deutschland ist die Umweltprotestkultur viel stärker ausgeprägt als in Frankreich. Wenn es um Klimapolitik geht, ist der gesellschaftliche Druck in Frankreich nach wie vor nicht besonders hoch.

Wie sieht es aktuell mit der Energiewende in Deutschland aus?

Die Experten Engels und Karl während des Interviews in Bonn
Die Experten Engels und Karl während des Interviews in Bonn | © Lena Kronenbürger
Karl: Sehr schlecht. Der Windkraftausbau ist zum Erliegen
gekommen. In der Photovoltaikbranche, Stichwort Solarzellen, sind
in den letzten Jahren 80.000 Arbeitsplätze weggefallen. Im Verkehrssektor hat die Energiewende praktisch noch gar nicht begonnen.

Engels: In Frankreich ist es genauso: Die Ausbauzahlen für erneuerbare Energien stagnieren. Das liegt natürlich auch daran, dass von der Atomenergie in Frankreich viele Arbeitsplätze abhängen.

Können wir also bereits hier das Résumé ziehen, dass dies kein Streitgespräch darüber ist, wer bezüglich des Klimaschutzes besser dasteht, sondern eher, welches von beiden Ländern der größere Klimasünder ist?

Karl: Vielleicht, doch diese Frage lässt sich nicht so leicht beantworten. Pro Kopf stößt Deutschland mehr CO2 aus als Frankreich, allerdings nur, weil Frankreich hauptsächlich Atomenergie nutzt. Das ist zwar zur Einhaltung der Klimaziele erst einmal besser, aber ob es auch umweltfreundlicher ist, ist fraglich.

Engels: In Frankreich ist man grundsätzlich anders aufgestellt als in Deutschland. Nur Maßnahmen, die weder den Strompreis noch den Atomsektor anfassen, werden akzeptiert. An der CO2-Klimafront, z.B. in der Gebäudesanierung, gibt es Bewegung in eine positive Richtung. Während der Kohleausstieg in Deutschland inzwischen Konsens ist, hat nun auch Macron in Frankreich medienwirksam angekündigt: „Wir steigen bis 2022 aus der Kohle aus.“ Da waren natürlich viele begeistert, aber in Frankreich werden eben auch nur 3,8 Prozent des Bedarfs aus Kohleenergie gedeckt.

Deutschland und Frankreich konkret im Vergleich: Wer schielt da neidisch auf wen, wenn man die Fortschritte im Klimaschutz betrachtet?

Karl: Macron war für das Paket, das am 20. September von der großen Koalition geschnürt wurde, eher ein warnendes Beispiel. So versucht die Bundesregierung auf der einen Seite klimaschädliche Prozesse, wie z.B. Inlandsflüge, zu verteuern und auf der anderen Seite die Bevölkerung an anderen Stellen, wie beispielsweise mit einer höheren Pendlerpauschale, zu entlasten. Dieser Ausgleich war bei Macron eben zu kurz gekommen.

Die Bundesumweltministerin Svenja Schulze und der ehemalige französische Umweltminister François de Rugy haben sich im April 2019 in Berlin getroffen, um in enger deutsch-französischer Zusammenarbeit die Umsetzung eines gerechten ökologischen Wandels in Europa zu bekräftigen. Wie klappt das bisher?

Karl: Ein Problem des berühmten deutsch-französischen Tandems ist, dass diese Zusammenarbeit, die sicherlich in der Energie- und Klimapolitik auf EU-Ebene noch mehr gefragt wäre, es nur beschränkt schafft, auf zögerliche bis blockierende Länder wie Polen oder Tschechien einzuwirken. Was zumindest umgesetzt wird, ist der europäische Klimarahmen bis 2030 – auch wenn der an der absoluten Unterkante von dem angesiedelt ist, was die EU leisten muss, um die Klimaziele, die sich durch das Paris-Abkommen ergeben, einzuhalten.

Engels: Ende des Jahres findet die Klimakonferenz in Chile statt und ich hoffe, dass Deutschland und Frankreich da den Schulterschluss wiederfinden.

Über was wird in der Klimadebatte nicht genug geredet?

Karl: Wir reden ständig über die Herausforderungen durch den Klimawandel, aber wir müssen viel, viel mehr über die Chancen der Energiewende sprechen. Die großen Wirtschaftsnationen Deutschland und Frankreich müssen in die Zukunftsökonomien investieren und die werden eben nicht im Kohlesektor zu finden sein. Es geht um neue Antriebsformen im Verkehrssektor, um erneuerbare Energien, um Digitalisierung – überall da sind wir nicht fast zu spät, da sind wir zu spät!

Engels: Andere Länder wie China, aber selbst Akteure wie Tesla, sind uns weit voraus.
Karl: Und genau da liegen die Arbeitsplatzgefährdungen der Zukunft. Ich bin absolut dagegen, Ökologie und Ökonomie gegeneinander auszuspielen. Wir müssen beides in Zukunft zusammendenken. Gerade für Deutschland und Frankreich als Exportnationen geht es um den nachhaltigen Ausbau von Dienstleistungen, Technologien, und unser Know-how. Denn große Energieressourcen können wir nicht verkaufen. Wir haben kein Öl, wir haben kein Gas, zumindest nicht in Mengen, die nennenswert wären.

Werden Angela Merkel und Emmanuel Macron als Klimapolitiker in die Geschichtsbücher eingehen?

Engels: Soweit lehne ich mich jetzt schon aus dem Fenster: Macron wird nicht primär klimapolitisch im Gedächtnis bleiben.

Karl: Bei Frau Merkel wird das Urteil differenziert ausfallen. Diese Stilisierung ihrer Person als Klimakanzlerin wird keinen Bestand haben. Ihre Reise damals zusammen mit Sigmar Gabriel nach Grönland war medial sehr wirksam: Jeder sieht Frau Merkel in dieser roten Jacke vor dem Eisgletscher stehen, obwohl die Reise 12 Jahre her ist. Aber die innenpolitischen Entscheidungen der Klima- und Energiepolitik spiegeln diese Ambitionen eben nicht im gleichen Maße wider. Daher wird Frau Merkel in der Klimapolitik wie in fast allen Politikfeldern als Pragmatikerin in die Geschichte eingehen.

Engels: Keiner der beiden wird also als „der große Klimaheld“ in Erinnerung bleiben.

Was ist mit Macrons Aufruf, Brasilien im Kampf gegen die Waldbrände am Amazonas zu helfen?

Engels: Macron ist sicherlich diplomatisch, er setzt sich ein. Das verbessert aber nicht seine innenpolitische Bilanz im Umweltsektor.

Die Bundesregierung schien neben dem französischen Präsidenten allerdings zaghaft, als es darum ging, ob die Brände in Brasilien als nationales Problem einzustufen seien oder nicht.

Karl: Das ist richtig, liegt aber daran, dass der außenpolitische Stil der Bundesregierung generell etwas zurückhaltender ist, als beispielsweise der von Macron. Am Ende des Tages muss natürlich jeder seine eigenen Hausaufgaben machen und es bleibt in Frankreich wie in Deutschland fraglich, ob das Ziel, bis 2050 CO2-neutral zu werden, erreicht werden wird. Nur: Mit 28 einzelstaatlichen Maßnahmen werden wir sehr bald ans Ende unserer Grenzen kommen. Es ist daher wichtig, dass der Klimawandel nicht als nationales Problem angesehen wird, denn langfristig wird die EU ihre Rolle in den Klimaverhandlungen nur beibehalten können, wenn wir auch mutig Kompetenzen auf die europäische Ebene verlagern.
 
Florian Engels arbeitet als Wissenschaftler und Dozent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bonn. Seine Themenschwerpunkte sind Energiepolitik, Europäische Politik und das Politische System Frankreichs. Er promoviert über die politischen Partizipationsprozesse in der französischen Umwelt- und Energiepolitik der letzten zehn Jahre. Zudem beschäftigt er sich mit der Energielandschaft Frankreichs sowie den dortigen Transformationsbestrebungen.

Timo Karl arbeitet als Politikwissenschaftler an der Universität Bonn zum Themengebiet der deutschen und europäischen Energie- und Klimapolitik. Er promoviert derzeit zu zwischenstaatlichen Verhandlungslösungen in den internationalen Klimaverhandlungen. Weitere aktuelle Publikationen beschäftigen sich zudem mit den Herausforderungen der deutschen Energiewende.

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