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Sovia Szymula im Gespräch
„Es braucht mehr als gegendertes Unterrichtsmaterial“

Sophia Szymula
Sophia Szymula | Foto (Detail): © Patrick Steck

Wie gehen Lehrende mit geschlechtersensibler Sprache um? Finden nicht‑binäre Personen ihren Platz in der Schule? Im Gespräch berichtet Lehramtsstudent*in und queere*r Rapper*in Sovia Szymula alias LILA SOVIA über persönliche Erfahrungen.

Von Stephanie Hesse

Um die Farbe Lila dreht sich so ziemlich alles in deiner künstlerischen Identität: lila Name, lila Haare, lila Kleidung – und lila Kunst! (Anm. d. Red.: Lila steht für die Menschen, deren Geschlecht eine Mischung aus männlich und weiblich ist. Gleichzeitig war Lila lange die Farbe queerer Menschen). Wie bist du queer‑aktivistische*r Künstler*in geworden?

So richtig begonnen hat es am 8. März 2021 – dem feministischen Kampftag. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits drei Jahre lang Spoken Word gemacht – schon immer mit politischen Inhalten. Über das 8.‑März‑Bündnis habe ich während einer Demo eine Rede gehalten, die mittlerweile zu einem meiner bekanntesten Texte wurde. An diesem Tag begann für mich die Bewegung FLINTA+ (FLINTA steht für female, lesbian, inter, non‑binary, trans* und Agender Person).

Bis zu meinem 22. Lebensjahr hatte sich in mir sehr viel Wut auf das Patriarchat angestaut. Erst im vergangenen Jahr habe ich die passenden Worte dafür gefunden und so viele Texte, Gedichte und Songs geschrieben wie noch nie. Zugleich habe ich Menschen gefunden, die mich als die Kunstperson sehen, die ich sein möchte. Ich habe mich sehr lange weiblich gelabelt, weil ich weiblich sozialisiert wurde. Mein Coming‑out hin zu einer Person, die keine Pronomen mehr benutzen möchte, war in so einer queer‑aktivistischen Umgebung natürlich relativ einfach. Lyrik reichte mir irgendwann nicht mehr und ich hatte Lust, Musik zu machen. Und jetzt kommt im April meine erste EP (Extended Play) auf den Markt.

Nimm uns einmal mit in die Zeit, bevor du für das Thema Geschlechteridentität sensibilisiert warst. Wie war dein Leben „davor“, zum Beispiel die Schulzeit?

In der Schule hatte ich nicht sehr viele Berührungspunkte mit queerer und antirassistischer Arbeit. Ich bin in einer sehr weißen akademischen Familie aufgewachsen und in der Gymnasialstufe auf eine entsprechende Schule gegangen. Ich hätte eigentlich auch sehr gut in Richtung BWL- oder Medizinstudium abbiegen können. Wenn ich jetzt auf mein Leben als junge Person zurückschaue, gab es schon immer kleine Regenbogen‑Flaggen auf dem Weg bis zu meinem Coming‑out: In Schüler*innenaustauschen oder in klassenübergreifenden Projekten habe ich mich immer zu den Menschen hingezogen gefühlt, die sich jetzt auch als Teil der LGBTQIA*‑Community (steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer/Questioning, Intersex, Asexuell und alle anderen, sich selbst der queeren Community zugehörig fühlenden Menschen) sehen.

Du studierst selbst Deutsch und Biologie im Lehramt. Was sind deine Erfahrungen aus dem Studium, was das Gendern in Schulen betrifft?

Das Erste, was mir dazu aus meinem aktuellen Praktikum an einer Schule einfällt, sind gegenderte Toiletten, die blau und pink angestrichen sind. Das finde ich sehr problematisch. Ich finde, der Diskurs über gender‑sensible Sprache ist jetzt so sichtbar wie noch nie. In Deutschland gibt es Strukturen, wie den SCHLAU NRW, der sich intensiv mit Pronomen und Trans‑Identitäten an Schulen beschäftigt. Es gibt sehr viele Auseinandersetzungen im Bereich Lehramt und Schule, und trotzdem ist in dem Klassenzimmer, in dem ich heute war, von Lehrern und Schülern die Rede. Räume und Verständnis für trans* oder nicht‑binäre Kinder sind immer noch zu wenig sichtbar oder es fehlt der ernste Versuch, auch diesen Kindern eine sichere Schullaufbahn zu gewährleisten.

Hat das Thema Geschlechtsneutralität deiner Meinung nach genügend Platz im Lehrplan?

Definitiv nicht. Ich denke schon, dass die Schulen sehr bemüht um die Weiterentwicklung der Unterrichtsmaterialien sind. In meinen Seminaren und Vorlesungen spielen Abschiebung, queere Perspektiven und Perspektiven von Menschen mit Einwanderungsgeschichte eine große Rolle. Dennoch hinkt es bei der direkten Umsetzung von Dekonstruktion entsprechender Diskriminierungsmechanismen.

Die Schule ist ein Ort, der Sensibilität für Genderidentitäten schon im Ansatz einführen könnte. Andererseits ist die Struktur der Schule als Institution einfach so alt und verfestigt, dass es mehr braucht als gegendertes Unterrichtsmaterial, um entsprechende Schulstrukturen zu ändern. Man bräuchte ein sich weiterbildendes Lehrkollegium, eine schulleitende Person, die sich bemüht, dass grundsätzlich gegendert wird. Diskriminierung im Klassenzimmer abzubauen, sollte keine individuelle Entscheidung der Lehrperson sein, sondern eine insgesamt strukturelle und institutionelle.

Ich denke, dass meine Generation die Sichtbarkeit von trans* Kindern und nicht‑binären Kindern sensibler behandelt als die Generation, die derzeit einen Großteil der Lehramtsstellen in Deutschland besetzt. Ohne ihr absprechen zu wollen, dass sie das Thema nicht versteht. Natürlich tut sie das.

Wie können Betroffene, aber auch Lehrpersonen mit Diskriminierung umgehen?

Der Weg, damit umzugehen, ist, den Betroffenen zu glauben. Wenn das Kind keine Pronomen benutzen will, dann ist das Kind nicht in einer Phase, dann ist das Kind nicht seltsam oder hat ein lustiges Video auf TikTok gesehen, sondern dann ist das Kind so zu nennen, wie es genannt werden will. Und so einfach ist das. Besonders marginalisierten Gruppen, wie Queeren oder PoC (People of Color) spricht man die Lebensrealität ab, die sie haben. Diese Lebensrealitäten müssen Lehrpersonen ernst nehmen.

Ein weiterer Weg ist, um beim Beispiel zu bleiben, eine Vorbildfunktion zu erfüllen. Zum Beispiel können sich Lehrpersonen selbst mit Pronomen vorstellen, um zu suggerieren, dass Pronomen von Personen nicht am Aussehen oder am sonstigen Erscheinungsbild festzumachen sind. Die Entscheidung und Wahrnehmung über meine Geschlechtsidentität obliegen ganz allein mir. Ich sage zum Beispiel in den Klassen: „Hallo, ich bin Sovia Szymula. Ich benutze keine Pronomen, das heißt, ihr nennt mich bitte nicht Frau Szymula, sondern einfach Sovia Szymula.“ Und sicher werde ich manchmal dennoch missgendert, aber die Kinder und Lehrpersonen sind sensibilisiert.

In der Fachliteratur gibt es mittlerweile Konzepte, wie man in der Schule nicht nur mit dem Gendern, sondern auch mit der Pronomen‑Debatte umgehen kann (Buchempfehlungen sind am Ende des Artikels zu finden – Anmerkung der Redaktion). Ein Beispiel ist das aktive Einführen von Alternativpronomen in Sprachen, die keine sogenannten neutralen Pronomen besitzen, wie zum Beispiel „they/them“ im Englischen. Im Deutschen funktioniert das leider nicht, da „es“ als Pronomen für Menschen entwertend wirkt. Nachdem eine Umfrage in Frankreich ergab, dass sich 40 Prozent der Jugendlichen als nicht‑binär identifizieren, wurde dort offiziell ein Alternativpronomen eingeführt: iel (Zusammensetzung aus il – er – und elle – sie, Anmerkung der Redaktion). In Deutschland gibt es dafür bisher nur erste, meiner Meinung nach noch holprige Vorschläge (zum Beispiel Xier oder dey/deren, Anmerkung der Redaktion). So etwas im Unterricht zu thematisieren, finde ich extrem förderlich. Das gilt natürlich auch für cis‑Lehrkräfte.

Da müssen sich einige erst einmal einlesen …

Lesen macht einen Unterschied! Es gibt sehr viele schlaue Menschen, die sich mit postkolonialer Theorie, mit Dekonstruktion, Cis‑Sexismus und Rassismus auseinandergesetzt haben. Es gibt wichtige Sachtexte und pädagogisch ausgearbeitete Bücher und Materialien wie Junge, Mädchen, Kind aus dem familiarfaces Verlag oder die LGBTQIA*‑Checkliste von Schlau NRW. Für alle Menschen, die unterhaltsame Romane bevorzugen, sind es Werke wie zum Beispiel Unter Weißen von Mohamed Amjahid oder 1000 Serpentinen Angst von Olivia Wenzel. Um Sprache kritisch zu verwenden, muss man sich mit Sprache auseinandersetzen, und das funktioniert meiner Meinung nach am besten über das Lesen oder Sprechen.

Das wirklich Wichtige ist allerdings, dass die Debatte um Systemkritik weitergeführt werden muss. Denn Schule als Institution trug und trägt dazu bei, dass bestimmte Menschen unsichtbar waren oder weiterhin sind. Es muss ein Umfeld geschaffen werden, in dem sich Jugendliche trauen, sich zu outen und dafür nicht gemobbt werden – und das ist leider derzeit nicht der Fall.
 

Lese- und Hörempfehlungen

Sachbücher:

Mädchen, Junge, Kind. Geschlechtersensible Begleitung und Empowerment von klein auf (Daniela Thörner, Familiar Faces, 2021)

Queer: A graphic history (Meg-John Barker, Jules Scheele, Icon Books, 2016)

Broschüre Trans* und Schule (SCHLAU NRW)


Romane und Gedichtbände:

Girl, Woman, Other (Bernardine Evaristo, Penguin, 2020)

Ich bin Linus (Linus Giese, Rowohlt, 2020)

Podcasts:
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Sexologisch

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