Digitales Publizieren
Neues E-Reader Format

Fiktion
©Fiktion

Fiktion ist ein Modellprojekt deutsch- und englischsprachiger Autoren, das sich durch die Digitalisierung eröffnenden Chancen für die Wahrnehmung und Verbreitung anspruchsvoller Literatur weiterzuentwickeln sucht. Im Februar unterstützte das Goethe-Institut London in Zusammenarbeit mit dem ICA (Institute of Contemporary Art) einen Workshop und eine Lesung mit Autoren von Fiktion. Der Workshop und die Lesung wurden von Projektmanager Ingo Niermann geleitet.

Verlasse dein Selbst: Kreativer Schriftsteller-Workshop mit Ann Cotten und Ingo Niermann

Der Workshop begann mit der von Ingo Niermann, Co-Autor von Deutscher Sohn, und Ann Cotten, Autorin von Verbannt!, gestellten Aufgabe: Verlasse dein Selbst! Ann Cotten erkundigte sich nach den Schreibgewohnheiten der Teilnehmer, die sich aus Autoren, Verlegern, Studenten, Journalisten, Filmemachern und Musikern zusammensetzten, um sie später aufzufordern sich von ihnen zu lösen, um ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen. Warum? Weil sich die meisten zeitgenössischen, literarischen Handlungen auf die Gegenwart beziehen, sehr realistisch sind und sich um eine zentrale Figur drehen, so Niermann. Um den kommerziellen Strukturen zu entkommen und den Horizont des Erzählens zu erweitern, forderten Niermann und Cotten die Teilnehmer außerdem auf, sich ein komplett anderes Szenario vorzustellen und eine Skizze für einen biographischen Science-Fiction Roman zu schreiben, der in der Zukunft spielt und eine fiktive europäische Verschwörungstheorie beinhaltet. Letzteres war eine Inspiration des New Narrative For Europe Projekts, an dem Niermann kürzlich teilnahm. Aus dem kreativen Schriftsteller-Workshop resultierten umfassende Projektskizzen, z.B. für einen Roman über eine Welt ohne Fantasie; einen Mann, der versucht die Vergangenheit zu ändern und eine romantische Alien-Geschichte.            

Fiktion – Das Projekt

“Allein in den USA erschienen 2011 148.424 gedruckte Bücher und 87.201 E-Books in Selbstveröffentlichung. Eine Steigerung von fast 300 Prozent in fünf Jahren – der rasant steigende Anteil an Büchern ohne ISBN nicht einmal miteingerechnet.“, schreibt Niermann in seinem Essay „Sieg der Literatur“. Dass noch nie so viel geschrieben und gelesen wurde wie heute, wäre ein wahrer Sieg für die Literatur. Er schreibt allerdings auch, dass das Lesen im Zeitalter multimedialer Informationsüberflutung Fragen über Konzentration und Aufmerksamkeit aufwirft.

Fiktion, ein internationales sich auf digitale Publikation fokussierendes Projekt, das in Zusammenarbeit mit dem Haus der Kulturen der Welt (HKW, Berlin) entwickelt und von der Kulturstiftung des Bundes gefördert wurde, setzte sich daher die Themen Selektion, Aufmerksamkeitsspanne und Konzentration beim Lesen auf die Agenda. Das Projekt wurde als Resultat eines Workshops gegründet, der von dem HKW 2013 veranstaltet wurde. Beim Workshop trafen Autoren auf Experten der Humbolt Internet Law Clinic und des Verlagswesens und tauschten sich über die Möglichkeiten aus, die das digitale Zeitalter der Literatur bietet. Vor allem stellten die Diskussionen das Konzentrationslevel beim Lesen in den Mittelpunkt, das heutzutage benötigt wird um bei der bestehenden Informationsflut nicht abgelenkt zu werden. Anschließend wurde das Fiktion-Modellprojekt gegründet. Hier kommen Schriftsteller und Literaturexperten zusammen, um proaktiv die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters auszuloten und zu nutzen um kommerziellen Strömen entgegenzuwirken und die Verbreitung anspruchsvoller Literatur über Grenzen hinweg zu fördern. Das Projekt beschäftigt sich mit Themen, mit denen sich u.a. auch die Verlagsbrache aktuell auseinandersetzt, wie z.B. Literatur im internationalen Kontext, Urheberschaft und die Weiterentwicklung von E-Readern.      

Fiktion fokussiert sich auf die Förderung und Verbreitung von Nischenliteratur im digitalen Leseformat, um den Literaturmarkt zu diversifizieren, Autoren zu fördern, die nicht zwingend den gängigen Marktkriterien entsprechen und deren Werke in qualitativ hochwertiger Übersetzung einem internationalen Publikum zugängig zu machen. Alle Titel, die Fiktion veröffentlicht, stehen Nutzern online auf fiktion.cc frei in deutscher wie englischer Übersetzung zur Verfügung. Das Projekt arbeitet außerdem daran ein Netzwerk internationaler Autoren aufzubauen. Fiktion sucht gezielt nach geeigneten Autoren und Manuskripten zur Veröffentlichung und unterstützt Schriftsteller auch noch darüber hinaus, wie z.B. 2014 in dem Workshop „The Word Electric“ beim Goethe-Institut New York, wo Autoren mit Vertretern aus dem Verlagswesen im Rahmen eines innovativen Veranstaltungsformats zusammengebracht wurden. Das Urheberrecht im digitalen Zeitalter ist ein weiterer Aspekt den Fiktion aktiv aufgreift und in entsprechender Debatte herausfordert.
 
  • Science-Fiktion Roman und Europäische Verschwörungstheorien (Ausschnitt) ©Anastasija Roon
    Science-Fiktion Roman und Europäische Verschwörungstheorien
  • Wörter-Virtuosin Ann Cotten ©Ingo Niermann
    Wörter-Virtuosin Ann Cotten
  • Über neue Geschichten nachdenken ©Ingo Niermann
    Über neue Geschichten nachdenken
  • Sophie Jung ©Magnus Pölcher
    Sophie Jung
  • Diskussion mit (v.l.n.r.) Niermann, Cotten, Thirlwell, McCarthy, Jung und Balasubramanyan ©Magnus Pölcher
    Diskussion mit (v.l.n.r.) Niermann, Cotten, Thirlwell, McCarthy, Jung und Balasubramanyan
  • (f.l.t.r.) Thirlwell, McCarthy, Jung, Balasubramanyan ©Magnus Pölcher
    (f.l.t.r.) Thirlwell, McCarthy, Jung, Balasubramanyan

Das Lesen zum Erlebnis werden lassen

In seinem Essay „Sieg der Literatur“ schreibt Niermann „Mit dem Lesen von Romanen ist es wie mit dem Sex bei einer in die Jahre gekommenen guten Ehe: immer noch großartig, aber es wird immer schwieriger die Zeit dafür zu finden“. Gemeinsam mit Arthur Jakobs, Professor für Allgemeine und Neurokognitive Psychologie an der Freien Universität Berlin entwickelte Fiktion ein neues Leseformat. Bei dem online E-Reader handelt es sich um ein Open-Source Programm, so dass die Bücher, die von Fiktion veröffentlicht werden, den Nutzern frei auf fiktion.cc zur Verfügung stehen. Das Design des neuen E-Readers ist konzentrationsfördernd, mit einem sich automatisch bewegenden Text. Die Geschwindigkeit, die Textgröße und die Hintergrundfarbe können individuell eingestellt werden.   

Lesung mit Ann Cotten, Rajeev Balasubramanyam und Sophie Jung    

Die Autoren Ann Cotten, Rajeev Balasubramanyam und Sophie Jung gaben im Rahmen einer Abendveranstaltung Kurzvorstellungen ihrer aktuellen Werke. Ann Cotten, gerade sehr in den deutschen Medien gepriesen für ihr kürzlich erschienenes Buch „Verbannt“, gab dem Publikum einen kurzen Einblick in ihr Werk, beschrieben von der Süddeutschen Zeitung als, „total abgefahren“.
Rajeev Balasubramanyam und Sophie Jung präsentierten Auszüge ihrer Arbeiten unter Benutzung des Fiktion E-Readers. Das Publikum konnte den Text auf der Leinwand mitlesen, während er von den Autoren vorgetragen wurde. Der Text bewegte sich in der von den Vortragenden zuvor eingestellten Geschwindigkeit. Die Autoren sprachen vom Bühnenrand aus, so dass sich das Publikum voll und ganz auf den Text auf der Leinwand und die Stimme der Vortragenden konzentrieren konnte, ein quasi inszenierter Vortrag. Das führte dazu, dass beim Zuhören und selbstständigem Mitlesen die Aufmerksamkeit des Publikums tatsächlich höher war, als bei einer klassischen Lesung, vor allem wenn man die beindruckende Sprechgeschwindigkeit von Sophie Jung kennt. Die Vorstellung des neuen Lesungs-/Vortragsformats zeigte, dass das digitale Zeitalter neue Wege bieten kann, um unser Leseerlebnis zu verbessern.        

Besuchen Sie fiction.cc, um neue Autoren, mit frischen Ansätzen, zu entdecken und den neuen online E-Reader auszuprobieren! 

Das Event endete mit einer Diskussion zum Thema Publizieren im digitalen Zeitalter, an der auch die Autoren Adam Thirlwell und Tom McCarthy teilnahmen.