Achtsamkeit an britischen Schulen

Kinder sitzen im Kreis
© Yan Krukov von Pexels


Kinder und Jugendliche verbringen einen großen Teil ihrer Zeit in Bildungseinrichtungen, insbesondere während der Schuljahre. Ein verbessertes schulisches Angebot zur Förderung der psychischen Gesundheit und des Wohlbefindens kann Kindern und Jugendlichen auf vielfältige Weise zugutekommen. So kann Achtsamkeitstraining in Schulen dazu beitragen, Stress und Ängste abzubauen und Kinder und Jugendliche dazu befähigen, mit Schwierigkeiten umzugehen und ihre Lernfähigkeit zu steigern. Immer mehr Schulen in Großbritannien bringen Achtsamkeitsmethoden im Unterricht ein, und sowohl die Kinder als auch die Lehrkräfte profitieren von diesem Ansatz.

Calmer Classrooms ist die Initiative von Kate Beddow, einer Lehrerin für die Grund- und Sekundarstufe, die sich aus gesundheitlichen Gründen beruflich umorientieren musste. Bei Beddow wurden ein Hirntumor und Akromegalie diagnostiziert, eine seltene Hormonerkrankung, die ständige Ermüdungserscheinungen zur Folge hat. Als sie nach Mitteln zur Verbesserung ihres Gesundheitszustandes suchte, stellte Beddow fest, dass Achtsamkeit ihr besonders half. Nach ihrer Ausbildung zur Achtsamkeitstherapeutin brachte sie ein zufälliges Gespräch mit einer Lehrerin an der Schule ihrer Tochter auf den Gedanken, Calmer Classrooms zu gründen. Die Lehrerin wollte in ihrer Klasse ein Achtsamkeitstraining einführen, wusste aber nicht, wie sie das bewerkstelligen sollte und bat Beddow um Unterstützung. Der Rest ist Geschichte!

Zunächst nahm Beddow im Tonstudio ihres Mannes, der Musiker ist, eine Reihe von MP3-Dateien auf. Außerdem entwickelte sie „Calmer Classrooms mit Mojo“, ein tägliches Programm zur Förderung von Achtsamkeit und Wohlbefinden. Es wurde für das Grundschulalter (4-11 Jahre) konzipiert, kann aber auf jede Altersgruppe angepasst werden. „Meditation mit Mojo“ ist das Meditationsprogramm von Calmer Classrooms für die ganze Schule, und seit kurzem bietet Beddow auch „Mindful Moments mit Mojo“ für den Einsatz bei Ganztagsangeboten an, das für alle Altersgruppen geeignet ist.

„Mojo, der Elefant, ist nach meinen Großeltern benannt, die sehr bewusst lebten“, erklärt Beddow. „Außerdem vergessen Elefanten nie, und so soll Mojo die Kinder sanft daran erinnern, aufmerksamer zu sein. Nach einem Achtsamkeitstraining im Unterricht fiel einem kleinen Mädchen auf, dass ihr Großvater gestresst war, und so bot sie ihm prompt an, mit ihm Atemübungen zu machen!“

Des Weiteren stellt Calmer Classrooms ein Ressourcenpaket für eine Gesundheitswoche an Grundschulen zur Verfügung. Jeder Tag ist einem anderen Bereich des Wohlbefindens gewidmet. Es gibt den Meditations-Montag, den Atem-Dienstag, den Körperaktivierungs-Mittwoch, den Umsichtigen Donnerstag und den Wochenausklang-Freitag. Die Kinder führen täglich eine 5-10-minütige Aktivität oder Übung durch, um etwas für ihr allgemeines Wohlbefinden zu tun. Beddow erstellt zudem individuelle Unterrichtspläne zu beliebten Geschichten und Themen, die zur Einführung oder Vertiefung von Achtsamkeitsmethoden genutzt werden können. Dazu gehören Yogastellungen, Atemtechniken und Achtsamkeitsübungen, die in die Texte eingebaut sind. Die Kinder machen die Übungen, während die Lehrkraft die Geschichte vorliest.

„Einer der größten Vorteile bei der Achtsamkeitsvermittlung in Schulen ist, dass Kinder, die diese Techniken in jungen Jahren erlernen, diese Fähigkeiten automatisch ihr ganzes Leben lang behalten und anwenden“, führt Beddow weiter aus. „Achtsamkeit im Kindergarten zu lernen, kann zum Beispiel die mentale Gesundheit eines jungen Menschen bis ins Erwachsenenalter hinein stärken und dazu beitragen, die Nervosität vor Abiturprüfungen oder dem ersten Vorstellungsgespräch zu lindern.“
Ein tiefes Interesse an Achtsamkeit, das sie bereits in jungen Jahren hegte, veranlasste Carmel Farnan zu einer Ausbildung als Psychotherapeutin und zur Gründung einer eigenen Praxis. Nachdem sie die Irish Mindfulness Academy ins Leben gerufen hatte, absolvierte sie ein Psychologiestudium, um geistige Prozesse verstehen zu lernen. Als Reaktion auf die Nachfrage nach ihren Programmen in Großbritannien brachte sie 2013 die British Mindfulness Academy auf den Weg.

Farnan war aufgefallen, dass immer mehr Kinder aufgrund von Stress und Angstzuständen an sie verwiesen wurden. Daraufhin konzipierte sie das sechswöchige Online-Programm „Achtsamkeit für das Wohlbefinden an Schulen“ für den Einsatz in der Grund- und Sekundarstufe. Was Farnan überraschte, war die Resonanz, die sie von den Lehrkräften zu ihrem Programm erhielt. „Die Lehrkräfte brauchten das selbst so dringend und betonten immer wieder, dass es ihnen unglaublich gut geholfen habe, nicht nur beruflich, sondern auch privat“, berichtet Farnan. „Die Kinder zeigen sich sehr aufgeschlossen dafür, und selbst wenn einige Jugendliche ungünstige Denkmuster entwickelt haben, sind diese nicht tief in ihren Köpfen verankert. Es ist sehr einfach, sie davon zu befreien, und deshalb sieht man sowohl bei Kindern als auch bei Jugendlichen sehr, sehr schnell Ergebnisse.“

Da kleine Kinder eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne haben, werden andere Techniken eingesetzt als bei Jugendlichen. So kann beispielsweise Spielzeug als Unterstützung bei den Atemübungen dienen. „Kleine Kinder können sich einen Teddybären auf den Bauch legen, während sie die Tiefenatmung trainieren“, erläutert Farnan. „Das Kind konzentriert sich darauf, wie sich der Bär auf und ab bewegt. Jugendliche kann man mit so einer Methode jedoch nicht im Geringsten motivieren. Aber es gibt allgemeine Techniken, die sowohl für jüngere als auch für ältere Kinder geeignet sind, wie die Meditation gegen Sorgen. Bei jüngeren Kindern würde man mit einer ‚Gedankenzug‘ genannten Meditationstechnik arbeiten, bei Jugendlichen kommen andere Varianten zur Anwendung. Bei jüngeren Kindern muss man das Achtsamkeitstraining mehr mit Bewegung kombinieren, und ein aufmerksamer Spaziergang im Freien kann hier besonders gut funktionieren. Wenn man sich während einer 20-minütigen Runde auf seine fünf Sinne (Sehen, Riechen, Hören, Schmecken und Tasten) einschwingt, kann das tatsächlich dazu beitragen, die Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Augenblick zu lenken. Kleinen Kinder gelingt es spielend, mit wachen Sinnen durch die Welt zu laufen.“

„Wer Achtsamkeit praktiziert, will mehr im Moment leben“, fügt Farnan hinzu. „Die Forschung zeigt, dass wir etwa 50 % der Zeit in unserem Leben achtlos verstreichen lassen, weil wir zu sehr mit unseren Gedanken beschäftigt sind, vor allem in der heutigen Zeit mit all der Anspannung, die die Covid-19-Pandemie verursacht. Wenn es gelingt, die Aufmerksamkeitsspanne von Kindern und Jugendlichen zu steigern, werden sich auch ihre schulischen Leistungen verbessern, weil sie ihre Geisteskraft effektiver einsetzen können.“ 

Im Rahmen des Kurses werden die Lehrkräfte gebeten, Kindern und Jugendlichen Atemübungen vor dem Schlafengehen ans Herz zu legen. Das hat den positiven Nebeneffekt, dass auch deren Eltern und Großeltern dazu animiert werden, sich mit dem bewussten Atmen auseinanderzusetzen. „Die Kinder nehmen das sehr gut an und bitten ihre Angehörigen, mit ihnen zu atmen. Wenn man Kinder und Jugendliche mit Achtsamkeit umgibt, hilft das, den Stress für alle zu reduzieren.“