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Dr. Árpád Rab
Künstliche und menschliche Intelligenz

Künstliche und menschliche Intelligenz
Grafik: Réka Elekes © Goethe-Institut Budapest

Wir leben in einer äußerst spannenden Zeit, Ereignisse, Möglichkeiten und Herausforderungen von unglaublicher Geschwindigkeit und Tiefe sind sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene im Gange. Wir hatten noch nie so viele Möglichkeiten, so viele Mittel und Geräte, noch nie standen uns so große Herausforderungen bevor, ob es nun um die nachhaltige Entwicklung, die Aufrechterhaltung unseres Lebensstandards oder die Kraft des Transhumanismus geht, der unser tagtägliches Leben immer beträchtlicher zu beeinflussen vermag. Wir verfügen über das Instrumentarium, um die Herausforderungen lösen zu können, aber das bedeutet nicht, dass wir uns beruhigt zurücklehnen können, sondern nur, dass die Arbeit zu verrichten ist. Dazu müssen wir die menschliche und die künstliche Intelligenz kombinieren.

Digitale Kultur ist nicht (nur) ein wichtiges Geschäftsmodell, eine vorübergehende Mode, sondern ein wichtiger Schritt eines langen Entwicklungsprozesses, dessen wahrhaftig tiefgreifende Veränderungen uns noch bevorstehen. Wir haben nicht die Möglichkeit der Wahl; digitale Kultur ist eine grundlegende Überlebensstrategie, die es der Menschheit ermöglicht, erfolgreich die Herausforderungen zu meistern, denen sie gegenübersteht. Als Rasse haben wir Menschen mit Hilfe der technologischen Evolution die Prüfung soweit gut bestanden, dies ist das gewaltloseste Jahrhundert der Menschheit in den vergangenen 5000 Jahren ihrer Geschichte. In den letzten zweihundert Jahren haben wir unsere biologisch ursprünglich kodierte Lebensdauer verdoppelt und verdreifachen es langsam sogar. Unsere Wirtschaft kann seit den 1880er Jahren dank der Technologien, die unsere Lebensqualität erheblich verbesserten (und dank der Entstehung der Konsumgesellschaft) einen Wachstum um das 250-fache verzeichnen. Wir leben länger, gesünder, sauberer. Nimmt man die ganze Erde, wurde extreme Armut in den letzten 150 Jahren (1880–2018) erfolgreich von 84 % auf 14 % reduziert. Als Folge davon, dass immer weniger Menschen in der Lage sind, Lebensmittel für immer mehr Menschen zu produzieren, wurde die ursprünglich ländlich ausgeprägte Erde im Laufe ihrer Geschichte urbanisiert, bereits heute lebt die Hälfte der Menschheit in Städten, und bis 2050 werden es voraussichtlich zwei Drittel sein. Städte sind die Dreh- und Angelpunkte unserer Wirtschaft, unseres kulturellen Lebens und unserer Innovationen. Der Erfolg unserer Rasse hat auch zu einem Bevölkerungswachstum geführt, derzeit leben 7,7 Milliarden Menschen auf der Erde, und wir sind jeden Tag um circa 150.000 mehr. Wir sind im Land Überfluss angekommen und sehen uns ein wenig unbestimmt um: Die Systeme, die der Gesellschaft, der Wirtschaft, den Regeln und der Kommunikation innewohnen, und an denen wir uns in den letzten Jahrhunderten schon so sehr gewöhnt haben, werden radikal umgewälzt.

Es ist kein Zufall, dass diese Geräte so schnell von uns allen, unabhängig von Geschlecht, Alter, Religion oder geografischer Lage, in Gebrauch genommen wurden. Die digitale Kultur hat unsere ältesten Sehnsüchte verwirklicht. Dank ihr ist es rein technologisch - und nicht durch intellektuelle Vollendung, nicht durch langjähriges Lernen - möglich geworden, dass wir alles wissen, dass wir alle beliebigen Sprachen der Welt sprechen können, dass wir uns nicht mehr verirren, dass wir live den Kontakt mit Menschen halten, die gar nicht in unserer Nähe sind, und so weiter.

Kultur ist die Überlebensstrategie der Menschheit, Intelligenz und Kooperationsfähigkeit führen die Menschheit zum Erfolg. Künstliche Intelligenz ermöglicht in einem geschlossenen System, auf einer unglaublich vorangetriebenen Weise und bei einer Interaktionszahl um das Millionenfache gesteigert, die Zusammenarbeit zwischen Fremden. Künstliche Intelligenz ist keine Technologie. Sie ist ein Oberbegriff, der eine Unzahl von technologischen Innovationen, Rechenkapazitäten und neue Möglichkeiten umfasst. Die jüngsten Entwicklungen von künstlicher Intelligenz sind das Ergebnis von Datenbankoperationen, die mit einer extremen Geschwindigkeit auf einer extrem großen Datenbank ausgeführt werden, die aber uns auch gleichzeitig mit jedem Tag immer näher an funktionierende selbstlernende Lösungen heranführen. Die nächste Etappe, die uns bevorsteht, sieht vor, dass Maschinen in der Lage sein werden, andere Maschinen zu lehren und zu entwickeln. Noch vor diesem Schritt müssen mit Einbeziehung von Technologieexperten auf die einzelnen Industriezweige bzw. Lebenssituationen zugeschnittene Regelungen zur künstlichen Intelligenz entwickelt werden.

Infokommunikationslösungen sind den bisher gewohnten Prozessen vor allem in ihrer Effizienz voraus. Sie zeichnen sich durch Geschwindigkeit, Unermüdlichkeit, Duldung von Monotonie und Inflexibilität aus. Letzteres Merkmal ist es, was bei ihrer Verbreitung in der Gesellschaft zu Spannungen führt. Automatisierung ist effektiv, weil sie auf einem Pfad der zunehmenden Anzahl von Jas oder Neins läuft. Doch dieser Pfad lässt trotzdem nur Entweder-oder-Entscheidungen zu. Die Kultur der Menschen kann jedoch gleichzeitig existierende Dualitäten kodieren, und sie weiß mit ihnen umzugehen. Diese Spannung kann nur dadurch aufgelöst werden, indem man die Anzahl der Pfade erhöht, indem das System immer mehr Abzweigungen und immer mehr Situationen zu handhaben in der Lage ist (was von außen eine zunehmende Intelligenz zu sein scheint). Diese Entwicklung kann theoretisch so weit gesteigert werden, bis sie an die Anzahl der Algorithmen eines menschlichen Verhaltens nahekommt – doch dann wird sie gerade an ihrer Effizienz einbüßen müssen. Große Datenmengen und komplexe Situationen erfordern Vereinfachung, individuelles Interesse verlangt Einfühlungsvermögen und auf den einzelnen Menschen zugeschnittene Lösungen.

Automatisierung zeigt ihre Wirkungen zuerst in der Welt der Arbeit. Die Gesellschaft wird sich immer mehr bewusst, dass Roboter den Menschen nicht „töten“, indem sie ihn mit Laserwaffen erschießen oder seinen Job wegnehmen, sondern indem sie uns nachahmen, unser Geld unter den Nagel reißen, genauer gesagt: Sie machen die gesamte Vergütungslogik der Industriegesellschaft zunichte. Für diese Herausforderung ist eine Reihe von Lösungen im Entstehen, von einer handlungsbasierten, geldlosen Lohnzahlung über ein sogenanntes Grundeinkommen bis hin zu einem noch aggressiveren Wachstum des virtuellen Kapitals.

Die wichtigste soziale Auswirkung der Automatisierung besteht darin, dass sie sowohl Individuen als auch soziale Subsysteme zu einem Niveausprung zwingt, um zu einem höheren Bewusstsein zu gelangen. Eine kurzfristige, bereits spürbare Wirkung davon ist, dass sie die beruflichen Laufbahnen fragmentiert, indem sie den Effekt fördert, dass einzelne Arbeitsabläufe und Arbeitskräfte nur im Bedarfsfall einzusetzen sind, und dass man sie so nicht kontinuierlich einzustellen braucht (s. atypische Arbeitsformen). Das geht mit einer Reihe von regulatorischen Herausforderungen einher, was die Arbeitsverwaltung oder den Arbeitnehmerschutz betrifft, denken wir z.B. an sofortige automatische Verträge.

Die menschliche Intelligenz entwickelte die künstliche Intelligenz, damit sie ihr behilflich sei. Künstliche Intelligenz ist ein so mächtiges und wirkungsreiches Instrumentensystem, dass sie sich nur auf einer sehr weisen und bewussten Art zur Wertschöpfung einsetzen lässt. Ich glaube aber daran, dass die Kooperation dieser beiden Intelligenzen zu der Lösung beitragen wird, die Umwelt zu retten, dass damit der Lebensstandard der vielen Milliarden Menschen auf dieser Erde erhalten bleibt.

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