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EP-Blog
Einheit in Vielfalt

Einheit in Vielfalt
Einheit in Vielfalt | © Mérték Médiaelemző Műhely

In ihren Kulturen und Traditionen weisen die europäischen Länder sehr viele Ähnlichkeiten untereinander auf, zum Teil wegen der gemeinsamen historischen Wurzeln und Religion(en), aber sie unterscheiden sich zugleich auch – als Folge verschiedener geografischer Bedingungen, historischer Erfahrungen, sozialer und religiöser Prägungen – in sehr vieler Hinsicht voneinander.
 
Vormals erwuchsen aus diesen Verschiedenheiten oft Konflikte und Intoleranz untereinander. Jedoch trug die Europäische Union in den vergangenen mehr als sechs Jahrzehnten viel dazu bei aufzudecken, wie ähnlich sich die europäischen Kulturen trotz ihrer Verschiedenartigkeit doch sind, dass jede von ihnen ureigene Werte besitzt und vor allem, dass Kultur begrifflich lediglich relativ fassbar ist, und somit keine Kultur verabsolutiert werden kann – besonders, weil sich die Inhalte von Kultur in ständigem Wandel befinden. Die Kultur formt uns, und genauso sind wir stets Formende der Kultur. Und dabei ist der Anspruch, andere Kulturen kennenzulernen, zu verstehen und zu achten, mit ein Bestandteil der Kultur.
 
Deshalb wird der Kultur im Vertrag von Lissabon besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Als eines der wichtigsten Ziele der Union wird im Vertrag beschrieben, „den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt“ zu wahren und „für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas“ zu sorgen.[1]
 
Die Europäische Union spielt also vor allem eine Rolle in der Bewahrung der Kulturen und der kulturellen Erben, in der gegenseitigen Erkundung der Kulturen und in der Förderung des interkulturellen Dialogs. Ihre Handlungskompetenz erstreckt sich nicht auf die Gestaltung von Kultur, sondern sie liegt vielmehr im Schutz und in der Förderung der Kultur. Die Gestaltung von Kultur – die Kulturpolitik – bleibt weiterhin in erster Linie in nationaler, bzw. regionaler und lokaler Zuständigkeit.

Freizügigkeit und Erasmus

Mehrere europäische Errungenschaften und Programme dienen dazu, die Kulturen Europas zu fördern und bekannt zu machen. Der Freizügigkeit innerhalb der Union kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, da die Bemühungen, Kulturen kennenzulernen, ohne Freizügigkeit nur mäßigen Erfolg hätten.
 
Der Begriff der Freizügigkeit bezeichnet in diesem Fall nicht bloß den kontrollfreien Personenverkehr über die Grenzen, der den Tourismus innerhalb Europas fördert, sondern auch, dass jeder europäische Bürger, ohne hierfür um irgendeine Erlaubnis bitten zu müssen, das Recht hat, sich für kürzere oder längere Zeit in anderen Mitgliedstaaten aufzuhalten, dort zu arbeiten und sogar schöpferisch tätig zu werden. Das steht jedem frei, zumal die in anderen Mitgliedsländern erworbenen Diplome von den Mitgliedsländern gegenseitig und automatisch anerkannt werden.
 
Ein fast schon altehrwürdiges Förderprogramm stärkt die Möglichkeit, sich frei zu bewegen und Kulturen kennenzulernen: das mehr als dreißig Jahre alte Programm „Erasmus“, ergänzt durch „Erasmus Plus“. Ursprünglich wurde das Programm „Erasmus“ ins Leben gerufen, um den Studenten das Studium an ausländischen Universitäten zu ermöglichen. Seit 1987 wurden auf diese Weise neun Millionen Studenten finanziell gefördert. Mit der Zeit erwuchs Erasmus zu einem viel größeren Programm: Es steht heute nicht nur Studenten, sondern auch anderen Einzelpersonen (Fachleuten, Lehrern, Sportlern usw.) und Organisationen offen, und nicht nur zu Studienzwecken, sondern auch zur Förderung von allgemeiner und beruflicher Bildung, Forschung und Sport. Hierfür stehen im Budget gegenwärtig ungefähr 15 Milliarden Euro zur Verfügung. Die neun Millionen, in den vergangenen dreißig Jahren geförderten Studenten konnten neben dem Studium im Rahmen von musikalischen und anderen kulturellen Veranstaltungen auch gemeinsame Erlebnisse sammeln sowie Freunde und Kontakte gewinnen. Wahrscheinlich haften diese Erlebnisse ein Leben lang und werden möglicherweise sogar an jüngere Generationen weitergegeben – was das Heranwachsen einer europäischen Generation und die Herausbildung eines gemeinsamen Bewusstseins begünstigen wird.

Kulturelles Erbe und Naturerbe

Zahlreiche Programme fördern die Bewahrung des kulturellen und natürlichen Erbes in Europa: Ressourcen für Erneuerung, Schutz und Entwicklung gibt es in erster Linie im Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, aber auch vom Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums, vom LIFE-Programm oder eben vom Norwegischen Fonds werden Finanzhilfen bereitgestellt.
 
Die Europäische Union hat das Jahr 2018 zum Europäischen Jahr des Kulturerbes erklärt, um das Augenmerk auch damit auf das gemeinsame Erbe Europas zu lenken. Zu diesem Thema hat die Kommission in jedem Mitgliedstaat, verteilt über das ganze Jahr, eine Reihe von Programmen – Ausstellungen, künstlerische Veranstaltungen, Konferenzen, Wettbewerbe und kulturelle Projekte – organisiert und finanziert. Über die Förderung der Wertschätzung des Kulturerbes hinaus hat sich dieses Programmpaket zum Ziel gesetzt, das Gefühl der Zugehörigkeit zum gemeinsamen europäischen Raum zu stärken, das Bewusstsein der EU-Bürger im Umgang mit dem Kulturerbe und für dessen Schutz weiter zu vertiefen, sowie auch für die Notwendigkeit zu sensibilisieren, dass das Kulturerbe an die zukünftigen Generationen weitergereicht werden soll. Das Motto des Jahres lautete: „Unser Erbe: Bindeglied zwischen Vergangenheit und Zukunft“.

Kulturhauptstadt Europas

Die Europäische Union hat das Programm „Kulturstadt Europas“ 1985 auf Vorschlag der damaligen griechischen Kulturministerin Melina Mercouri verabschiedet. Seither wurde dies zu einem der bekanntesten und beliebtesten Programme Europas. Der Titel „Kulturhauptstadt Europas“ und die damit einhergehende finanzielle Unterstützung werden im Rahmen eines Auswahlverfahrens jeweils für ein Jahr an die Bewerberstädte vergeben. Der Rat der Europäischen Union ernennt in der Regel diejenigen Städte zur europäischen Kulturhauptstadt, die neben nationalen kulturellen Inhalten auch eine europäische Dimension aufweisen, und die über die Stärkung der aktiven Teilnahme der städtischen und europäischen Bürger hinaus auch die langfristige wirtschaftliche Entwicklung der gegebenen Stadt fördern. Auch die erhöhte Medienaufmerksamkeit eröffnet der Stadt natürlich Möglichkeiten zur Tourismus- und Kulturförderung. Fünfzig Städte wurden in den vergangenen zwanzig Jahren zur Kulturhauptstadt ernannt, in Ungarn z. B. erlangten Pécs im Jahre 2010 und Veszprém für das Jahr 2023 den Titel.

Kreatives Europa

Das Programm „Kreatives Europa“ unterstützt in der Haushaltsperiode 2013–2020 kulturelle und kreative Projekte, die zur Bewahrung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt Europas, zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des kulturellen und kreativen Sektors beitragen, und die die audiovisuellen Medien fördern. Die vorangegangenen „MEDIA“-Programme der EU sind mittlerweile ebenfalls Teil von „Kreatives Europa“.
 
Obwohl die Union auf dem Gebiet der Kultur hauptsächlich für Programme bezüglich der Unterstützung und Ergänzung der nationalen Kulturpolitik zuständig ist, lässt sich zusammenfassend feststellen, dass die EU bestrebt ist, nicht nur die nationale kulturelle Identität zu stärken, sondern zugleich – schon durch ihr bloßes Dasein und durch ihre kulturellen Programme – auch zur Herausbildung einer Art europäischer Identität und des Gefühls der Zusammengehörigkeit in Europa einen Beitrag zu leisten. Aber gibt es ein gemeinsames Bewusstsein für Europa? Viele verneinen diese Frage, aber die allmähliche Entwicklung der EU und die zunehmende Erstarkung der Wertegemeinschaft formen sehr wohl das Bewusstsein, die Denkweise und auch die Kultur der Unionsbürger. Die Tatsache, dass die jüngeren Generationen immer mehr Sprachen sprechen, immer mehr Länder besuchen, und dass sie ihre menschlichen Kontakte über die Grenzen und die nationalen Kulturen hindurch spannen, zeigt uns, dass eine Art europäischer Kultur und gemeinsamer Identität auch ohne eine gemeinsame Sprache oder ein gemeinsames „Geschichtsbuch“ entstehen kann.
 
Einen der vielleicht besten Beweise dafür lieferten die Ergebnisse der Eurobarometer-Umfrage „Parlameter“ 2018. Wahrscheinlich nicht ganz unabhängig von der Volksabstimmung über den Brexit und von den Austrittsplänen des Vereinigten Königreichs meinen 62% der europäischen Bürger, dass ihre Unionsmitgliedschaft eine gute Sache sei. Das ist der höchste Wert seit dem Fall der Berliner Mauer 1989. Laut der Umfrage würden sogar 66% – also fast zwei Drittel – der europäischen Bürger für den Verbleib ihres Landes in der EU stimmen, wenn darüber abgestimmt werden müsste. Hierbei spielt wohl eine Rolle, dass die europäische Identität für viele an Inhalt gewonnen hat; es geht dabei nicht mehr einfach um einen Kontinent, sondern um vieles mehr. Vor allem ist es der Kultur zu verdanken, dass sich die europäische Identität in Entstehung befindet – was der nationalen Identität in keiner Weise widerspricht, sondern sie vielmehr ergänzt. Wenn wir unser gemeinsames Europa-Projekt nicht verfehlen, so kann die gemeinsame europäische kulturelle Identität für die nachfolgenden Generationen noch viel selbstverständlicher werden.
 

Der Titel dieses Beitrags – Einheit in Vielfalt – ist seit 2000 der Slogan der Europäischen Union.



Anmerkungen
[1] Artikel 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Ergänzt wird dies durch Artikel 6, der besagt, dass die Union „für die Durchführung von Maßnahmen zur Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten zuständig“ ist.

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