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Dischereit© Black Monty Studio

Esther Dischereit: Ein Haufen Dollarscheine (Auszug)

Klären Sie bitte, wer hier mit wem zusammenhängt. Wenn Sie nicht klären, wer mit wem zusammenhängt, kann ich nicht wissen, wer mit wem zusammenhängt oder was mit wem zusammenhängt und vor allem wann? Sie sind ich, die Tante und die Schwester, nicht wahr? Wann war das und was wollen Sie mit der Normandie und D-Day? Ich bin kein Militär, mich interessieren diese Dinge nicht. Die Engländer waren auch an der Küste und spielen im Text keine Rolle. Was soll das? Die Kanadier übrigens auch. Meinen Sie, es erkläre sich unter Umständen eine gewisse Dankbarkeit gegenüber der befreienden Armee und dem späteren Aufnahmeland, vielleicht sogar eine bedingungslose Ergebenheit? Ich meine... wenn dann später von Ihrem Großvater der Vietnam-Krieg gerechtfertigt wird... es führt, glaube ich, an dieser Stelle nicht weiter, wenn ... Soweit ich sehe, gibt es eine Menge handelnder Personen: eine Frau, die sich mit ihrem blumenbemusterten Kleid durch die Geschichte bewegt. Ist das die Hauptperson? Ist das Ihre Schwester? Warum sagen Sie nicht, dass das Ihre Schwester ist? Aus der ersten Ehe Ihrer Mutter? Im wesentlichen wird deren Geschichte geschrieben. Nein? Wessen Geschichte ist es dann? Denken Sie, man könnte die Geschichte Ihrer Schwester und wie es ihr mit den Erbstreitigkeiten ergangen ist, verallgemeinern? Wollen Sie sagen, Deutsche bereicherten sich an ihren jüdischen Nachbarn und tun es noch? Das kann ich mir nicht vorstellen, dass das Ihre Absicht ist. Wir leben heute doch in anderen Zeiten, das werden Sie nicht in Abrede stellen. Außerdem – was macht es denn wirklich aus, ob ich um ein Erbe betrogen bin, das aus der Wiedergutmachung, sogenannten Wiedergutmachung – es konnte ja keine Wiedergutmachung real geben – stammte oder aus einem x-beliebigen Wertpapier-Fonds? Ich sehe da keinen Unterschied. Da bin ich ganz und gar marxistisch: sieht man doch dem Geld seinen Warencharakter nicht an, nicht wahr? Da ist der Mann, mit dem “ich” in der Flughafen-Lounge Erdnüsse ißt. Das sind Sie? Es ist nicht die Geschichte der Schwester? Soweit ich sehe, sitzt hier eine Tante mit ihrem Neffen zusammen, ißt Erdnüsse und schokoladeüberzogene Kekse, trinkt Segafredo aus Kaffeepads und verwechselt die Flughafen-Lounge mit ihrem Wohnzimmer. Wegen solcher Dauernutzer wurde die unbeschränkte VIP-Nutzung abgeschafft. Es ist immer diese eine Person, die ständig zu spät kommt, und dann muß der Betrieb die Stechuhr einführen – oder die großzügige Handhabung des Aufenthalts in der Lounge muß 5 eingestellt werden. ... Das geht nicht? Was geht nicht? Die Schwester ihrer Geschichte zu berauben und sie als Ihre zu erzählen? Warum tun Sie es dann? Haben Sie keine eigene Geschichte? Doch? Dann ist es doch gut. Dann erzählen Sie Ihre Geschichte - es ist ohnehin Ihre Geschichte - ob Sie das wollen oder nicht. Es ist ja auch nicht verwerflich, im Leben eines anderen Menschen Platz zu nehmen, wie Sie sich ausdrücken. Tun wir das nicht andauernd und überall? Eine Ehe ist auch nichts anderes. Ein poetischer Ausdruck. Das haben Sie schön gesagt. Ach Gott, Ihre Schwester war ja noch ein Kind. Ob das Kind alles so mitbekommen hat? Und in Ihrer, in unserer Generation, da sind wir doch frei von diesen schrecklichen Erfahrungen. Wir versuchen es noch einmal: Eine Frau sitzt in der Flughafen-Lounge und redet mit ihrem Neffen. Die Schwester flog ab, flog sie ab? Wohin flog sie? Eine jüdische Schwester flog ab. Eine deutsch-jüdische Frau flog aus Deutschland ab. Gleichgültig ob Jüdin oder nicht, flog eine Person ab, nicht wahr? Also: Ihre Schwester, die Mutter Ihres Gesprächspartners, verließ Berlin. Wohin? In die USA? Zu Ihren Großeltern? Die jüdischen weißen Großeltern waren doch schon gestorben. Sie betonen, dass Ihre Großeltern weiß waren. Muß ich das wissen, geht mich das etwas an? Alle sind bekanntlich weiß, jedenfalls die meisten. In diesem Teil der Erde. Wollen Sie sich dafür entschuldigen, brauchen Sie das? Das hat mit der Vergangenheit nichts zu tun. "Black`n my heart". Oder wollen Sie mir mitteilen, dass es weiße Juden geben könnte, die etwas gegen Schwarze haben? Sie thematisieren an keiner Stelle, dass es Schwarze geben könnte, die etwas gegen jüdische Weisse haben – fürchten Sie die Gemeinsamkeit zwischen Schwarzen und Nazis? Darf das nicht vorkommen? Es ist doch, wo man hinsieht, dasselbe: Weiße gegen Schwarze, Schwarze gegen Juden, Asiaten gegen Europäer – und so geht das in einem fort – es will einfach kein Ende nehmen. Ich war immer so eingestellt, dass ich sage, wir sind Menschen, und der Mensch zählt. Sie schweigen? Ich werde versuchen zu erzählen, was Sie erzählten. Sie können mich korrigieren: Die jüdischen weißen deutschen Großeltern emigrierten und wurden US-Amerikaner. Sie starben in fremder Erde; zuletzt der Großvater, der in zweiter Ehe sein Dienstmädchen – Gertrud? - in den USA heiratete, sodaß es in den Genuß eines kleinen Häuschens mit 6 Rosen vor dem Eingang in Philadelphia kam. Dieses Häuschen hatten sich Ihre Großeltern mütterlicherseits – die väterlicherseits fehlen vollständig - hatten sich Ihre Großeltern aus den späten Wiedergutmachungsleistungen der Bundesrepublik Deutschland leisten können. Das kommt allerdings in vielen Familien vor, das wissen Sie? Nein, nicht die Wiedergutmachungssache – wir hatten ja eher mit dem Lastenausgleich zu tun. Nein, das meine ich nicht. Darum geht es nicht. Dass dann das Erbe in die Hände der nachfolgenden Ehefrauen übergeht, das ist bitter, gewiß. Ich begreife, dass später Sie selbst von Gertrud abgelehnt wurden. Das ist keine schöne Erfahrung. Aber glauben Sie, dass Sie als Jüdin von der Christin Gertrud... es ist ja wohl so, dass sie dann die jüdische Beerdigung nicht der Religion entsprechend durchführen ließ. Das hat wohl die erste Tochter, Ihre Tante, durchblicken lassen – das schreiben Sie gar nicht? Dann nehme ich das heraus. Man soll diese Dinge auch nicht überhöhen. Eine Frau mag die vorgefundenen Enkel nicht, das ist alles. Entscheidend bleibt, ob Ihr Großvater und Gertrud miteinander auskamen, und das scheint ja der Fall gewesen zu sein. Allerdings fehlt an dieser Stelle, dass die Großeltern deshalb nach Philadelphia auswanderten, weil hierher bereits ihre älteste Tochter weitergewandert war – von Berlin nach Shanghai per Schiff entkommen und dann nach Kriegsende in die USA. Dass Ihre Tante unter den Japanern den Typhus überlebt hat, ist ein Wunder. Mag sein, es ist hier eine Geschwisterrivalität verborgen zwischen Ihrer Mutter und - das ist die selbe, mit deren Ableben später das Überführungsproblem entsteht, nicht wahr? - und Ihrer Tante... warum sonst bleibt sie unerwähnt? Diese fortdauernden Erbstreitigkeiten, dass da jemand einheiratet und dass dann die Kinder die Tefillin nicht aus dem Haus heraus tragen dürfen - ja, das gibt es, und das ist traurig. Das verstehe ich. Sagt man "Tefillin"? Ich weiß übrigens nicht, wozu „Tefillin“ gebraucht werden. Das müssen Sie mir einmal erklären. Aber es ist menschlich, allzu menschlich. Manche Ehepartner heiraten in eine Familie ein, und manche heiraten aus einer Familie heraus. Ihr Großvater heiratete offenbar heraus. Wollen Sie Hitler noch sechzig Jahre danach dafür anklagen? Die jüdische Großmutter war schon gestorben, lange vorher, gleich nachdem sie angekommen war. Hitler war ihr nachgekommen in diese Stadt der neuen Welt, sodaß sie an ihren Erinnerungen starb. Das ist tragisch: überlebt und doch nicht entkommen. Oder klagen Sie Gertrud an und Ria, die die zweite Frau des Vaters Ihrer Schwester wurde, und deren Kinder Angelika und Dieter? Ich meine, da könnten Sie Tausende verurteilen, weil die auch erben – Besitz, der …. ich will das mal so nennen... unter den anderen Rechtsverhältnissen zustande gekommen ist. Das ist 7 vielleicht eine moralische Position, aber rechtlich nicht von Belang. Sie wissen genauso gut wie ich, dass andere Menschen auch sterben, wenn auch nicht an Hitler. Manche sind an Hitler genesen, stehen auf mit Hitler, essen Hitler und legen sich mit Hitler zu Bett: im Häuschen Ihrer Großeltern, als sie noch in Berlin waren, beispielsweise. Das ist die Stelle, wo jemand aus dem Fenster schreit: "`s ist alles schon vermietet". Die hatten nur eine Wohnung, in der sie zur Miete lebten? Entschuldigung, ich dachte die Stolpersteine zeigten an, wo jüdischer Grundbesitz war. Das trifft bei Ihnen ohnehin nicht zu? Ach so. Natürlich nicht. Ihre Großeltern überlebten, Sie sagten es. Sie sind deshalb auch nicht im Buch der Ermordeten aus Berlin verzeichnet. Da wurden sie gelöscht. Wann kann man da schon mal jemanden löschen! Die hatten also gar kein Häuschen? Na, dann haben Sie auch nichts, worüber Sie sich beschweren könnten, und vielleicht wäre die Familie schon deswegen verarmt, weil der Cousin des Großvaters ein Spieler war; der, der dann rechtzeitig vor der schrecklichen Zeit nach Argentinien ging; meinen Sie nicht? Zurück zu den familiären Verhältnissen. Glauben Sie, die Familiengeschichte, dass alle als Juden Verfolgte waren, gibt einen Persilschein für die Familie ab – für alle Zeiten? Ich glaube das nicht. Ihr Großvater unterstützte den Vietnam-Krieg, eine Tochter Ihrer Schwester ging zum Militär. Sie und deren Mann haben anhaltend mit Krieg zu tun. Jeden Tag, heute, gestern, morgen. Warum lassen Sie einen Veteranen des 2. Weltkriegs auftreten? Soll der in Afghanistan aufräumen oder in Pakistan Taliban jagen? Nichts täuscht darüber hinweg, dass wir es hier mit einer Familie zu tun haben, die kriegsaffin ist. Oder warum sonst hat auch die andere Schwester einen US-amerikanischen Soldaten geheiratet. Zuerst einen Schwarzen Soldaten, um in Ihrer Martin-Luther-King-Sprache zu bleiben, dann einen weißen. Auf jeden Fall Militär. Das kommt gar nicht vor, sagen Sie? Die zweite Schwester kommt überhaupt nicht vor? Ok - dann nehme ich das heraus. Aber der Mann Ihrer Schwester, um deren Geschichte es geht, der ist doch auch USAmerikaner. Der ist kein Soldat? Nein - aber Fußballer gewesen. Heute Friedenssänger, das paßt. Ja, ich finde das paßt. Schwarz - sagen Sie? Afro-American und Christian Sciene-Anhänger - ist das eine Entlastungsformel? Choktaw - aha. "Völker dieser Erde, einigt Euch und Ihr seid frei" ..."dass sie jetzt die Eure werde... Schluß mit Elend und Barbarei." Geht das Lied so? Sie wundern sich, dass ich das kenne. 8 Die erste Tochter der Schwester geht zu den Marines - Frau bei den Marines - hm - heiratet einen amerikanischen Militär - auch Navy, die zweite Tochter einen anderen weißen Amerikaner; der jüngste Sohn den Lubawitscher Rabbi... Entschuldigung, ich meinte das nicht abwertend. Mit Ihrer zweiten Schwester telefonieren Sie gelegentlich, die in erster Ehe einen Schwarzen und dann einen weißen US-amerikanischen Soldaten heiratete. Der wäre um ein Haar im Irak-Krieg zum Einsatz gekommen. Stattdessen durfte er bleiben und betreute die Rückkehrer, ein trauriges Kapitel. Ich möchte das nicht vertiefen. Und auch hier wieder diese Nähe zu Militär. Ach so, diese Schwester kommt nicht vor. Sagten Sie das schon? Dann nehme ich das heraus. Die jüdische Schwester, jene erste oder älteste, von deren Blumenkleid die Rede ist, wird von ihrem nicht-jüdischen Stiefbruder um ihr Erbe gebracht, weil auch der jüdische Vater nach dem Zusammenbruch seiner Ehe... - es ist nicht wesentlich, dass der Mann in Kellern lag und versteckt war - das hat mit dem Zusammenbruch der Ehe nichts zu tun. Verstehen Sie mich nicht falsch, das klingt herzlos jetzt - jedenfalls heiratet der Vater als alter Mann sein Dienstmädchen oder Haushälterin - das müßte Ihre Ria sein – nein, nein, nein, ich rede nicht von Gertrud, die gehört ja zu Ihrem Großvater und dessen zweiter Ehe, wenn ich das recht verstanden habe – ja das klingt ähnlich, Sie haben recht – im Prinzip ist es auch eine Geschichte, die sich offenbar wiederholte... Aber jetzt geht es um Ria, die zum Vater Ihrer Schwester schließlich und endlich gehörte - na was - hat er was Warmes im Bett - wollen Sie ihm das mißgönnnen - wie man so sagt, und die wiederum hat ein christliches Kind mitgebracht, und das betrügt das erstgeborene jüdische Kind - die Frau mit dem Blumenkleid - um sein Erbe und ißt die Wiedergutmachung des jüdischen Adoptivvaters auf. Stimmt es bis dahin? Das ist doch normal und kommt in Familien vor. Sicher - es klingt unappetitlich, das überlebende jüdische Geschwisterkind um das Erbe aus der Wiedergutmachung betrogen - aber muß man die Dinge so sehen? Man kann sie doch auch so sehen, dass die Fristen verstrichen sind, und nun heilt alle Wunden die Zeit. Ich meine, ich sitze ja auch in einem Haus, das meine Eltern - nachdem die Besitzer denunziert wurden - ganz billig, und dann sind die ja weggekommen, nicht wahr - das sind Kapitel, für die ich keine Verantwortung trage, nicht persönlich. Oder nehmen Sie dieses kleine Dorf im Badischen – wie heißt es noch gleich, gleich komme ich drauf – da sind ein Drittel der Häuser Judenhäuser 9 gewesen. Nun, danach hat die Gemeinde Vertriebene aufgenommen, da wurden Häuser, wenn sie bewohnt wurden, vor dem Verfall bewahrt. Bei der Synagoge ging das nicht, und so ist sie eine verfallene Scheune... Ich habe mich lange engagiert, das wissen Sie vielleicht nicht, bei der Restaurierung dieser Landsynagoge. Ich schrieb die Förderanträge, wir haben einen Verein gegründet. Zwischen den Fensterscheiben meines Hauses habe ich Buchseiten in hebräischer Schrift gefunden. Ich brachte sie ins Archiv, man soll das bewahren, finde ich. Es gibt hier auch eine Vortragsreihe, an der ich mitgestrickt habe, und ich habe auch dafür gesorgt, dass die Gemeinde nach Übersee geschrieben hat. Da hat es noch jemanden gegeben. Ich habe dann die Adresse "Am Judenbuckel" angegeben, und der Mensch hat sich nicht mehr gemeldet. Aber es heißt doch so. Was sagen Sie dazu? Habe ich mich antisemitisch geäußert? Aber diese Dinge mit dem Militär sind mir im tiefsten Herzen zuwider, ich hasse das Militärische. In den Nachrichten wird alles verklärt und Friedensmission getauft - das sind doch Verbrecher. Dieses Militärische ging ja bis tief in die Familien hinein, davon hab ich heute noch Alpträume. Ich will das nicht vergleichen; es ist nicht so, dass ich Ihr Schicksal ---- Ich meine, in unseren Familien gab es diese unerbittliche Härte. Das geht mir nach. Und Ihnen eben auch - so ist das. Unsere Generation ist da um etwas betrogen worden; statt einen Gute-Nacht-Kuß gab es den Rohrstock und statt einem guten oder fröhlichen Wort nichts als Gehorsam. Da war bei den Eltern etwas zu Bruch gegangen… nicht dass Sie mich falsch verstehen! Ich will uns oder mich nicht vergleichen.

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