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Mesterházi© Black Monty Studio

Mónika Mesterházi: Gedichte

Brüche

Auf einer besonnten Bank im Januar
erläutert sie ihre Rechtfertigung.
Manchmal sieht sie mich prüfend an, ob ich ihr
folgen kann, als ginge es um das Addieren
von Bruchzahlen, eine Antwort wartet sie nicht ab,
es reicht, dass ich gucke, und gucke ich doof,
erklärt sie es mir noch mal anders
(es reicht nicht, einfach oben
und unten zu addieren:
nehmen wir zum Beispiel eine Torte),
ob ich aufpasse, interessiert sie nicht,
nur, dass sie sie erklären kann
- verstehen tue ich übrigens auch -,
ihre unmenschliche Einsamkeit
ihre Welt ganz frei von
der Last der Menschen.
 

In einer Bank in Budapest

Sie hätte dir gefallen, die Szene
in der Bank, Zwischen uns liegen
auf den Tag zehn Jahre
, bemerkte
die Sachbearbeiterin. Auf die Schnelle
hatte ich gar keine Antwort, Ich hoffe,
es wird ein gutes Jahrzehnt
, sagte ich nur,
dann regelten wir mein Anliegen,
Und für Sie, fragte sie am Ende noch,
war es für Sie ein gutes Jahrzehnt? Ja,
ich glaube schon.
Als ich später mein Gesicht
in einem Schaufenster sah, fiel mir ein,
was ich noch hätte sagen können, dass
ich normalerweise mehr hermache.
Irgendetwas hat sie trotzdem veranlasst,
mich anzusprechen. Die Szene hätte dir gefallen,
wäre sie ein paar Wochen eher passiert,
rechtzeitig, dass ich sie hätte erzählen können.
 

Nur Mut

Diverse Undiszipliniertheiten.
Das nennst du Freiheit?
Frustration und Hysterie -
frei wirst du nie sein,
freie Gefährten wirst du nie haben.

Du beschließt, es ab heute
anders zu nennen?
Bringt dich das näher heran?
Vielleicht bricht es noch ein Tabu.
Nicht ein Tabu wird dir bleiben.

Du verschaffst dir Geltung?
Hast etwas zu beweisen?
Du verlierst und verlierst,
ohne Energie freizugeben.
Wie du es auch nennst,
so nennst du es nicht mehr,
das wird niemals wahr.

Du bist zum Treiber geworden,
du jagst heiße Luft,
dein Eifer ist Eifersucht,
du lässt dich von allem ausschließen,
deswegen kannst du dich
nicht davon lösen.

Es wäre schön, wenn ein Vulkan
immer nur Öfen beheizen würde,
und selbst wenn er manchen
Steine an den Kopf schleuderte,
aufbersten täte er nie.
 

Tüte, Beutel

Ich war mir nicht sicher,
ob sie sich wiegte,
diese Tüte auf der Donau,
oder ob sie festhing.
Dass es eine Riesenqualle sei,
fiel mir nicht ein.
Die ersten Brückenschläfer spielten
meiner Fantasie vor zehn Jahren noch Streiche.
Heute hat ein massiger Beutel auf dem Boden
eine größere Chance,
dass ich ihn für einen Menschen halte,
als andersherum der Mensch.
(Dass ich ihn für einen Beutel halte.)
 

Gesicht

Von meinem Gesicht hatte ich
mir nichts erhofft. Ein müdes Lehrergesicht,
in dem ich noch dazu
nach Hause gehen muss. Doch
als ich in den Spiegel sah, und weder
ein Spiegel über dem Waschbecken war,
noch ein Gesicht darin,
überraschte mich das, wie eine plötzliche
Todesnachricht. Ich verschob meinen Fokus
auf das Nichts auf halber Strecke.
 

Ich fürchte mich nicht

i. m. M. J.

Die dritte Fahrt ins Krankenhaus
führte zwischen grünen Bäumen
über einem flachen Tal entlang.

Ich musste ans Meer denken,
die Straße, wo die Einheimischen waren,
erzählte ich dir, und ich erreichte

das Meer, du bist das Meer,
sagte ich, und jetzt sehe ich dich an.

*

Ich fürchte mich nicht, solange ich dich sehe,
und kann mir schwer vorstellen, dass das endet.
Dein Bettenschiff segelt langsam.
Ich bin bei dir. Alles andere sind Umstände.

Derweil vergeht der Frühling, das Licht fällt
von oben auf die Blätter. Ich kann mir schwer vorstellen,
dass alles, was gut ist, nur noch
danach passieren kann, und dir
nie mehr wieder. Aber diese Frage braucht
keine Vorstellung, die Umstände sind da,
und die erstarrte Gegenwart.

*

Wann geht das zu Ende, fragst du.
Was denn, Liebes? Na dieses…
Du meinst dich? Genau. Ich weiß nicht.
Ich glaube, jetzt noch nicht.

*

Du ziehst deine Antworten hervor
wie aus einem tiefen Brunnen. Deine Kraft
gibst du nicht für alles her.
Im Brunnen hallt es nach von unseren Worten.
Doch davon wissen wir nicht.

*

Der eine darf deinen Raum betreten,
der andere nicht. Sie schläft, heißt es,
obwohl du das jederzeit tun kannst,
und du brauchst sie doch. Ich vermittle,
instruiere, leicht unerträglich
für beide Seiten. An die Arbeit,
liebe Besucher.

*

Wenn ich immer bei dir bin
(was mir frei steht),
ist immer irgendetwas anderes.

Um das Gewicht der Dinge
wieder zu lernen,
muss ich gehen, muss ich wiederkommen.

*

Ich gehe, schlafe woanders,
mache Halt in meiner leeren Wohnung,
wie gut es tut, allein zu sitzen -

*

Wenn ich nicht bei dir bin,
würde ich am liebsten gleich umdrehen.

Wenn mir das Telefon aus der Hand fällt,
würde ich mich am liebsten entschuldigen,
damit es wieder funktioniert.

*

Das Sprechen fällt dir schwer,
du fragst nicht, du überlässt dich nicht,
in Luftblasen verschlossene Worte
rufst du aus, was wollen die, was soll das,
ich verstehe nicht, und wer weiß, worauf: ja, ja, ja.
Ich erzähle von allen, schöne Dinge,
ich sage, ich werde auf mich aufpassen,
das ist sehr wichtig, sagst du
dann doch noch.

*

Sei nicht böse. Ich habe dich angeschrien,
es kann nicht sein, dass sogar Säuglinge
trinken können, aber du nicht. Das werde ich
mir in der Hölle anhören müssen, sage ich
pathetisch. Ich habe keinen Grund
frustriert zu sein. Ich bin
auch frustriert, sagst du.

*

Ich verstehe, sagtest du am Montag. Verstehe.
Wolltest du nicht sagen, frage ich,
du verstehst nicht, so wie bisher?
Ich glaube, sagst du, ich habe verstanden.

*

Langsam verstrichen
die geduldig ertragenen Wochen,
als ich mir wünschte,
dass es nicht lange dauert,
und jetzt strömt seit einer Zeit
das Nichts herein.

*

Es zu erzählen war schwerer dadurch, dass ich ständig
bei dir war. Aber das passt zu dir.
Ich klingelte gerade bei der Aufsicht im zweiten Stock,
als die Frau anrief, die in der Nacht bei dir
Wache gehalten hätte, sich aber irgendwie
schon vorher treffen wollte: ihr Bus sei gerade
angekommen. Sie war zwei Stunden zu früh da.
Ich sagte, ich wollte schon Bescheid sagen, dass sie nicht
kommen muss, die Patientin ist verschieden. Verschieden?,
fragte sie. Und ich mache mich auf den Weg
durch den Regen.

*

Als ich deine Bücher sortierte,
fand ich in einem, das sich zufällig öffnete,
ein Zeichen von Selbstzensur,
etwas steht in der Anthologie des Dichters anders.
Hast du das auch bemerkt? Findest du auch,
die im Schmerz verfasste Version hat mehr Wirkung?

*

Wenn es plötzlich gewesen wäre, brächte es mich um,
dass wir nicht reden können. Aber die Kurzwahl,
auf der ich dich anrief, war schon seit Wochen stumm.
Sicher haben wir uns dafür täglich getroffen.
Nur hast du immer weniger gesagt. So war also
dieses gemeinsame Sterben (damit du in mir leben kannst)
schon im Gange. Meine eigene nervige Stimme,
weil ich merkte, dass irgendjemand doch
reden musste, geht mir schon irgendwann aus dem Kopf.
Aber wann kann ich deine wieder hören?

*

Heute habe ich deine alte Stimme gehört.
Du sagtest zu irgendwem, die Moni
hat Tomatensuppe gekocht. Das hatte ich
zwar nicht, aber ich freute mich und
wollte mich gerade ans Werk machen.
Dann wachte ich auf, es war schön.

*

Mit deinem Teppich,
deinem Nachlass, ist es genauso,
wie mit dir so oft davor.
Man kann’s versuchen, sagen sie,
ist aber sehr alt.
Es kann sein, dass was reißt.

*

Dein Fehlen lässt mich verstummen.
Zehn Uhr abends,
und ich habe mit niemandem geredet.
Reden, reden, mehrmals täglich habe ich
dich angerufen oder du mich -
jetzt hängt mir diese Omarolle nach,
auch an unserem Altersunterschied
arbeite ich -

*

Tage, Wochen? Wozu soll das gut sein?
Unsere längste Zeit ohne Treffen waren anderthalb Monate.
Wir sprachen uns natürlich. Doch weiter als einen Tag bist du nie
mit mir gereist. Auch jetzt noch ist jede Reise
eine Unterbrechung meiner Besuche
bei dir. Und siehst du, ich rede immer noch.
Lichttage. Aber wohin bist du verschwunden,
in anderthalb Lichtmonaten? Wozu in solchen Einheiten rechnen?
Wozu Strichlisten führen über das Nichts, über die Ewigkeit?

*

Hier! Hier!, sagt der Vogel.
Wiegeht’sdir? Das weckt mich auf. Ich weiß nicht,
was für ein Vogel es ist. Hier! Hier bin ich.
Hi-ier!
, sagt er. Dir, dir!

*

Ich wartete und wartete, dass du erscheinst.
Drei Monate lang, vergeblich.
Auf einmal warst du in meiner Nähe.
Endlich, sagte ich, und sog meine Lunge
voll mit leichter Luft. Es riss mich aus dem Traum,
daher weiß ich es. Aber schlimm war es nicht.
Jetzt ist es schlimm. Auf wieder neue Weise.

*

Am schwersten ist, dass alles sein kann,
und genauso auch von allem das Gegenteil.
Denn wer bestimmt es, wenn nicht du.
Doch du tust es nicht, so sehr ich dich in Gedanken löchere.
Ich weiß nicht, wer ich war und wer ich bin.

*

Was mein Knöchel aushält, werde ich sehen.
Den Weg schlage ich ein, weil der Pfad hübsch ist,
gehe in eine Richtung, so wie ich lebe,

runter zum Wasser, über Strecken mit
unberechenbarem Schwierigkeitsgrad,
von denen sich gut hinab und zurück blicken lässt,

wie wir zusammen, auf erschwerter Route,
langsam, mit mehr Umsehen, in gemeinsamer
Lichtbrechung,

und ich schere mich nicht um den Rückweg,
ich steige hinab, da ist das Meer.


Übersetzung: Sophia Matteikat

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