Eine Stadt in der Stadt
Kreative Räume in Berlin und Moskau

Exrotaprint, Berlin
Exrotaprint, Berlin | Foto: marcus; CC BY-SA 2.0

Weltweit werden verlassene Fabrikgebäude und pleitegegangene Betriebe zur Heimstatt für junge Kreative, bis professionelle Stadtentwickler anrücken. Können die kreativen Räume ihren Platz in den Metropolen auf Dauer behaupten?

Artplay hat seinen Platz in einem Moskauer Industrieviertel, auf dem Werksgelände des ehemaligen Gerätebauers „Manometer“. Es ist der erste Art-Cluster in Moskau, der für die Entstehung ähnlicher Art-Räume als Vorbild diente. ExRotaprint ist eine gemeinnützige Gesellschaft, gegründet von Mietern vor Ort, die sich zum Ziel gesetzt haben, die ehemalige Druckmaschinenfabrik in einem sozial schwachen Viertel Berlins vor dem Verfall und der Verwandlung in eine Elite-Enklave zu bewahren. Alina Saprykina, Art-Direktorin von Artplay, und Daniela Brahm, Gründungsgesellschafterin von ExRotaprint, erzählen, wie derartige Projekte in Russland und Deutschland funktionieren.

Für wen ist der Raum der Kreativcluster bestimmt?

Alina Saprykina: Artplay ist eine Stadt in der Stadt. In erster Linie ist sie für Projekte im Bereich Architektur, Design und Kunst bestimmt. 10 Prozent des Geländes sind Ausstellungshallen, die ganz Moskau bedienen. 40 Prozent sind an Architekturbüros vermietet, zirka 30 Prozent an Händler, 17 Prozent an nicht staatliche Bildungseinrichtungen und 5 Prozent sind Infrastruktureinrichtungen.

Daniela Brahm: ExRotaprint ist kein Kreativ-Cluster. Unser Nutzungskonzept ist bewusst heterogen aufgestellt, wir vermieten die Flächen zu je einem Drittel an Arbeit, Kunst, Soziales. Hier mischen sich lokale Wirtschaft, soziale Einrichtungen und unabhängige kreativer Berufe. So entsteht ein gesamtgesellschaftliches Bild, das eine Alternative zu den aufgesetzten Renditeträumen üblicher Immobilienentwicklungen darstellt und das Miteinander und den Austausch fördert.

Wem gehört das Gelände, auf dem sich die Kreativcluster befinden, und wer verwaltet sie?

Alina Saprykina: Das Gelände befindet sich in Privatbesitz. Mit dem Eigentümer haben wir einen Vertrag, der es uns erlaubt, dieses Gelände unter unserem Label, entsprechend unserem Konzept und dem gemeinsam abgestimmten Businessplan zu verwalten. Artplay hat die Rechtsform einer geschlossenen Aktiengesellschaft.

Daniela Brahm: Die ExRotaprint gGmbH besitzt die Gebäude mittels eines 99-jährigen Erbbaurechtsvertrags. Grund und Boden ist Eigentum von zwei Stiftungen, die sich in ihrer Arbeit gegen Immobilienspekulationen wenden. Zentral für die Projektentwicklung ist die von Mietern vor Ort gegründete ExRotaprint gGmbH. Zur Zeit hat sie neun Gesellschafter, einer davon ist der Verein RotaClub e.V., eine offene Plattform für alle Mieter, die Einblick in die Projektentwicklung nehmen möchten.

Welche Grundidee steht hinter Ihren Aktivitäten?

Alina Saprykina: Wenn im Land alles chaotisch ist, hat man den Wunsch seine eigene kleine Welt zu schaffen, solch ein Städtchen, das komfortablen Raum und angenehme Mitmenschen bietet.

Daniela Brahm: Für uns ist vor allem wichtig, Immobilien nicht als Investitionsobjekt zu betrachten, das Rendite abwirft, sondern den Fokus auf die Nutzung zu richten: was in den Räumen passiert ist zentral, Menschen einzubeziehen, die ansonsten keine Rolle bei solchen Projekten spielen und ein integrierendes Umfeld zu schaffen.

Alina Saprykina, Art-Direktorin vom Art-Cluster Artplay © Paul Kritz & Tasha Manaenkova
Wie gestaltet sich das Zusammenspiel kommerzieller und nicht kommerzieller Projekte in Ihren Kreativclustern?

Alina Saprykina: Artplay selbst ist zunächst einmal eine kommerzielle Organisation. Die Flächen werden als Büros, Geschäfte und Showrooms vermietet und daran verdienen wir. Kommerzielle Projekte, zum Beispiel eine Ausstellung von Büromöbeln, werden entsprechend von Sponsoren unterstützt. Und bei nicht kommerziellen Projekten, die auf Menschen mit Handicap ausgerichtet sind, oder solchen im Bereich Bildung bekommen wir Unterstützung vom Staat.

Daniela Brahm: Die wirtschaftliche Grundlage von ExRotaprint sind die Mieten. Die Mieten zahlen den laufenden Betrieb, den Baukredit und den Erbbaurechtszins an die Stiftungen. Als anerkannte gemeinnützige Gesellschaft haben wir uns verpflichtet, den Überschuss aus der Bewirtschaftung des Geländes für unsere deklarierten gemeinnützige Ziele auszugeben. Unser erste Ziel ist der Erhalt der denkmalgeschützten Gebäude. Zweites gemeinnütziges Ziel ist die Förderung von Kunst und Kultur. Die Gesellschafter der gGmbH können ihre Anteile nicht gewinnbringend veräußern, so dass eine langfristig stabile Entwicklung des Geländes gewährleistet ist. Keine Renditen auszuschütten bedeutet ein stabiles Mietniveau und kann Gentrifizierung durch Mietsteigerung entgegenwirken.

Welche Politik verfolgen Sie gegenüber den Mietern? Wer kann Räume anmieten?

Alina Saprykina: Wir wählen nur solche Branchen aus, die in unser Konzept als Zentrum für Design und Architektur passen. Den Kern unserer Mieterschaft bilden Designer und Architekten. Was den Handel angeht, so können wir nicht eine endlose Zahl von Fliesenhändlern aufnehmen, unsere Waren- und Dienstleistungslinien sind streng durchgeplant. Wir sind bestrebt, unter unserem Dach die jeweils Führenden der Branche zu vereinen, ob nun im Bereich Möbel, Keramikfliesen oder Beleuchtung. Als kommerzielle Organisation sind wir auf eine bestimmte Nische im Bereich Design ausgerichtet, als kulturelles Zentrum sind wir für alle da.

Daniela Brahm: Wir wählen unsere Mieter nach unserem Vermietungskonzept „Arbeit – Kunst – Soziales“ aus, wobei wir stets aufmerksam prüfen und Projekte oder Unternehmen auswählen, die für die Gemeinschaft von ExRotaprint eine sinnvolle Ergänzung sind. Durch die Nähe zu Werkstätten und anderen Unternehmen entstehen im Idealfall Kooperationen und Aufträge. Gerade Kreativunternehmen sind extrem gut vernetzt und schaffen sich ihre professionellen Strukturen selbst.

Alina Saprykina: „Artplay ist eine Stadt in der Stadt.“ © Artplay
Anhand welcher Kriterien kann man das Arbeitsergebnis eines Kreativclusters bewerten?

Alina Saprykina: Natürlich sind das in erster Linie Kriterien für den kommerziellen Erfolg: Return on investment und Gewinn, denn wir sind ein kommerzielles Unternehmen. Zweitens geht es um die Popularisierung unseres Labels, seine Wiedererkennbarkeit. Wir möchten, dass Artplay als eines der herausragenden Kulturzentren wahrgenommen wird, in dem ständig etwas passiert. Und drittens geht es um die Möglichkeit, auf das Leben im Umfeld Einfluss zu nehmen. Zum Beispiel gab es in unserer Nähe eine Gegenverkehrsstraße, in der ständig Staus waren. Wir haben erreicht, dass eine Einbahnstraße daraus gemacht wurde und jetzt rollt der Verkehr.

Daniela Brahm:Ich denke, dass es bisher noch keine Methode gibt, den sozialen und wirtschaftlichen Nutzen solcher Projekte zu ermitteln. Es bräuchte eine Strategie, die nicht nur den heutigen Gewinn (z.B. durch Steuereinnahmen) berechnet sondern auch ermisst, was für Potentiale für die Zukunft hier wachsen (z.B. Start-ups und größer werdende Unternehmen), deren Erfolg erst zukünftig sichtbar wird, oder welche sozialen Folgekosten dadurch vermieden werden, dass Raum für Fortbildung und Integration verfügbar ist und Menschen zurück in die Arbeitswelt finden. Die Wirkung dessen, was die Nutzer in den Räumen erarbeiten, sollte gemessen werden, nicht die Rendite, die die Immobile abwirft.

Welche Rolle spielt der Staat bei diesen Projekten?

Alina Saprykina: Unsere Cluster werden vom Staat praktisch nicht unterstützt, sie genießen keine Sonderrechte oder speziellen Zuwendungen. In letzter Zeit kommt aber Bewegung in die Sache, vor allem dank unserer Initiative. Uns ist klar geworden, dass es bisher kein funktionierendes Modell der öffentlichen Förderung gab. Inzwischen unterstützen staatliche Strukturen wie Moskomarchitektura (Komitee für Architektur und Städtebau Moskau, d. Ü.), Moskomnasledije (Komitee für Kulturerbe Moskau, d. Ü.) oder das Ministerium für Kultur unsere nicht kommerziellen Projekte beispielsweise durch Sozialwerbung.

Daniela Brahm: Der Staat ist an der Entwicklung von ExRotaprint nicht beteiligt. ExRotaprint ist eine private, gemeinnützige Projektentwicklung, die von Förderungen unabhängig ist.

Wie sehen Ihre kurz- und langfristigen Entwicklungspläne aus?

Alina Saprykina: Wenn wir die Sanierung der Räumlichkeiten auf dem Artplay-Gelände abgeschlossen haben, geht es in der Stadt weiter, zum Beispiel mit der Umgestaltung von Straßen. Demnächst planen wir einen Subbotnik. Wir möchten auch in unserem Umfeld etwas verändern, aber ich denke, das ist eine Sache der Zukunft, nämlich dann, wenn weitere Cluster wie unsere entstehen, die einen Kontrast zur übrigen Stadt bilden. Genau sie werden es dann sein, die diesen Kontrast allmählich ausgleichen, indem sie ihr Umland in Ordnung bringen.

Daniela Brahm: Wir planen die schrittweise Sanierung der Gebäude innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahren abzuschließen. Die Gebäude sind dann für die kommenden 30 Jahre konsolidiert. Darüber hinaus arbeiten wir daran, die Projektentwicklung von ExRotaprint auf direkt angrenzende Brachflächen zu erweitern. Wir halten es für notwendig, unsere Idee einer nicht profitorientierten Stadtgestaltung weiter zu tragen, um dem sozialen Umfeld weiteren Raum zu sichern. Von der Immobilienwirtschaft wird ExRotaprint bereits heute als positiver Marketingfaktor für ihre Interessen genutzt, das wollen wir nicht einfach so zulassen. Raum muss aktiv für andere soziale Gruppen und Zusammenhänge gesichert werden.