Anne Zohra Berrached im Gespräch
Zum Film „24 Wochen“

24 Wochen
© Friede Clausz zero one film GmbH

Vor „24 Wochen“, der Ihr Diplomfilm ist, haben Sie „Zwei Mütter“ im dritten Studienjahr gemacht. In den beiden Filmen beschäftigen Sie sich nicht nur mit ethischen Problemen, sondern auch mit gesetzlichen Aspekten, die in ständiger Veränderung sind. In Russland denken wir, Deutschland sei ein Paradies für homosexuelle Paare. Ihr Film „Zwei Mütter“ schildert ein ganz anderes Bild. Aber vielleicht hat sich vieles seit 2013 verändert...
 
Es ist so geblieben. Es hat sich etwas verändert im Gesetz der Samenbanken, das jetzt noch komplizierter geworden ist.
 
Was die Abtreibung angeht, die sei in Deutschland „rechtswidrig, aber straffrei“. Was bedeutet das eigentlich?
 
Grundsätzlich ist Abtreibung verboten. Aber es gibt Ausnahmefälle, und eben, wenn sich eine Frau nicht in der Lage fühlt. Wenn die Frau denkt, sie kann das nicht, dann darf sie das Kind abtreiben. Vor dem dritten Monat leichter als nach dem dritten. Wenn das Kind aber eine Behinderung hat, dann kann sie auch später sagen: „Ich kann das nicht“. Dieses Gefühl der Frau ist wichtiger als ein Gesetz.
 
Aber nicht das Gefühl des Vaters. Das zeigt auch Ihr Film.
 
Das hat aber so die Natur entschieden, weil das Kind im Bauch der Frau ist. Natürlich wünscht man, dass jede Familie sich einig ist, dass Mann und Frau gleiche Meinungen haben. Aber wenn nicht, dann kann es der Mann nicht entscheiden. Statistisch gesehen, trennen sich oft danach die Paare, die ein behindertes Kind bekommen und das Kind bleibt bei der Frau.
 
In Ihrem Film sollte die Frau, die nicht das Leben, sondern den Tod gerade in die Welt gebracht hat, noch ein weiteres Martyrium erleben – ihr abgetriebenes Kind an die Brust legen und auch ein Foto von ihm bekommen. Existieren wirklich diese grausamen Regeln?
 
Nein, das ist kein Gesetz, dass Sie das tun sollen. Aber es wird Ihnen doch empfohlen. Wenn der Mensch gestorben ist, hat man ja Erinnerung an ihn. Aber wenn ein Kind tot ist, hat man nichts. Die Psychologen behaupten – die Frauen, die das nicht gemacht haben, sagen immer, sie sollten das Kind fotografieren. Das wird zu makaber irgendwie. Aber später hast du ein Gefühl, dass Du besser damit klar kommst, wenn Du so ein Foto hast. Und es gibt oft die Geschichten, die Mütter sagen: „Auf keinen Fall“, und das akzeptieren auch alle. Aber sie fragen kurz nach der Geburt: „Sollen wir Fotos machen?“ Und dann sagen die meisten: „Ja“. Die Psychologen meinen auch, dass die Mütter das Kind in die Hand nehmen sollen und es unbedingt angucken sollen. Das hilft für Verarbeitung.
 
Ihre Hauptheldin ist Kabarettistin. War es für Sie wichtig, einen Kontrast zwischen Komödie und Tragödie zu schaffen, oder auch in Frage zu stellen, ob alles als Objekt für ein Öffentlichkeitsgespräch gelten kann?
 
Ein bisschen beides. Für mich war es wichtig, die Endszene zu machen, wenn sie in die Öffentlichkeit geht und beichtet, sozusagen: „Ich hab das Kind spät abgetrieben. Ich weiß nicht, ob es richtig oder falsch ist. Aber ich hab es gemacht“. Dann habe ich gedacht, sie müsse eigentlich eine öffentliche Person sein und überlegt, was am weitesten von diesem großen Drama weg sein könnte, wenn jemand lacht. Und was noch schwieriger ist, wenn man nicht nur selber lacht, sondern auch andere Leute zum Lachen bringen muss. Und so wurde sie zur Kabarettistin.
 
Haben Sie das sofort nach ihrem ersten Film gewusst, dass der zweite das Thema der Mutterschaft fortsetzen wird?
 
Ich wollte es überhaupt nicht. Ich habe immer mehrere Themen vor mir, recherchiere immer lange, und irgendwann merke ich, das eine interessiert mich am meisten. Ich habe sogar gedacht, ich kann nicht die Filme immer machen, wo es um Schwangerschaft geht. Dann bin ich immer die Tante, die von der Schwangerschaft besessen ist. Aber dieses Thema ist so wichtig und es gibt keine Filme darüber.
 
Für den ersten Film haben sie die Erfahrung von vier Paaren zusammengefasst. Für diesen Film hatten Sie auch mehrere Vorbilder?
 
Ich habe drei Paare getroffen. Aber ein Paar war mir besonders nah. Wir sprachen zwei Wochen später, nachdem sie ihr Kind abgetrieben hatten. Fast in der 34. Schwangerschaftswoche. Wir saßen in einem Café in Berlin. Und haben vier Stunden geweint. Alle. Zusammen. Mann, Frau und ich. Ich hab das alles aufgenommen, habe das nochmal mit dem Drehbuchautor durchgehört und wir haben daran weiter gearbeitet.
 
Sollte dieses Paar diese Entscheidung nur mit sich allein treffen oder waren sie auch öffentliche Personen?
 
Nein, sie waren nicht öffentlich, das ist nur meine Fantasie. Er ist schon öffentlich, aber nicht so. Er steht nicht auf der Bühne. Sie erzählten darüber niemandem. Das ist ein Geheimnis. Und das machen die meisten Frauen – sie erzählen nicht. Sie behalten das für sich. Ich habe sie vor kurzem wiedergetroffen. Sie sind jetzt eigentlich glücklich. Sie haben ein Kind. Die Frau ist gleich danach schwanger geworden. Sie sagte aber, ein Kind wiegt das andere nicht auf. Aber die beiden wissen jetzt, warum sie leben.
 
Sie arbeiten mit so einer Methode, dass Sie die Schauspieler ins Realleben hinsetzen. In „Zwei Müttern“ gab es nur zwei Darstellerinnen und andere Menschen haben sich selbst gespielt. In „24 Wochen“ sind die Ärzte und das Publikum real. Es gibt aber etwas, was mit dieser Doku-Ästhetik konfrontiert – die Szenen, wo wir das Kind im Mutterleib sehen.
 
Ich wollte unbedingt ein Kind zeigen und das auch ganz real machen. Das sind reale Bilder im Mutterleib, die bei der Operation entstanden. In Deutschland gibt es vier Ärzte, die im Mutterleib von Frauen operieren. Sie machen drei Löcher rein: eins für die Kamera, zwei für diese Geräte. Und so operieren sie am Bildschirm. Diesem Arzt haben wir unsere Kamera gegeben, die besser war, und so hat er operiert. Ich habe wieder versucht, ganz real und authentisch zu sein. Meine Intention war, dem Kind das Gesicht zu geben, weil das Kind gab es ja auch. Darum geht es die ganze Zeit. Es geht um das Kind, das ja lebt, das ein Mensch ist.
 
Meinen Sie nicht, dass man diese Szenen als Beurteilung einschätzen kann?
 
Das war eine große Gefahr. Ein Bekannter hat mir gesagt, wenn wir das machen, beurteilst du. Und ich finde es so nicht. Ich als Autorin sage auf keinen Fall etwas für oder gegen Spätabtreibungen. Aber trotzdem können wir nicht so tun, als ob es das Kind nicht gäbe. Das ganze Thema ist einfach unheimlich hart...
 
Sie gaben das Gesicht dem Kind, aber nicht dem Arzt.
 
Er wollte selbst anonym bleiben. Dann hat er gesagt, er möchte den Rohrschnitt sehen, was für mich als Regisseurin eine Katastrophe war. Aber er hat es gesehen, hat geweint und gesagt, er findet den Film grandios gut, genauso ist es in der Realität. Deswegen ist es jetzt Okay, wenn ich sein Gesicht zeige. Ich hab aber sein Gesicht nicht gefilmt! Er hat es auch erlaubt, seinen richtigen Namen und richtige Stimme zu lassen. Ich hab aber nur die Stimme gelassen und habe ihm meinen Namen gegeben. Die Ärzte, die Spätabtreibung machen, schämen sich deswegen. Sie sprechen darüber nicht, es ist ein Tabu.
 
Wozu machen sie dann das?
 
Wenn ich ihn darüber fragte, sagte er, er mache das, weil er ein Gefühl habe, es sei seine Aufgabe als Arzt, Frauen in jeder Situation zu helfen: Er hilft den Frauen, die ein Kind haben wollen und die es nicht wollen. Das sei nicht seine Entscheidung, sondern ihre. Aber es gibt auch Fälle, wo er sagt: „Nein, warum wollen Sie Ihr Kind nicht kriegen?“. Oder er merkt, wenn die Frau unsicher ist und einfach ganz schnell irgendwelche Entscheidung treffen will. Dann sagt er ab. Sie solle einen anderen Arzt finden.
 
Es gibt zwei Momente im Film, wo die Hauptheldin in die Kamera guckt, z.B. in der Kirche...
 
Sogar drei.
 
Dann habe ich einen verpasst. Wendet sie sich an den Zuschauer? Sucht sie Verständnis?
 
Ja, zum Beispiel. Sie wendet sich ans Über-Ich, ans Gewissen. Oder sie guckt den Zuschauer an und fragt: „Was würdest Du in dieser Situation machen?“ Ich benutze viele Dinge, damit der Zuschauer das Gefühl bekommt, er sei selber sie.
 
Vor kurzem fand die Deutsche Filmpreisverleihung statt. Und die drei wichtigsten Preise haben die Filme von Frauen bekommen: „Toni Erdmann“ von Maren Ade, „Wild“ von Nicolette Krebitz und „24 Wochen“…
 
Moment. „Toni Erdmann“, „24 Wochen“ und „Wild“. Andere Reihenfolge.
 
Ja, Entschuldigung. Ihr Film hat Silber bekommen. Also, drei Regisseurinnen. Trotzdem kann man manchmal hören, dass sogar in Deutschland männlicher Chauvinismus im Beruf des Regisseurs existiert.
 
Es ist immer noch eine große Ungerechtigkeit, weil es viel weniger Frauen-Regisseure gibt, als die Männer. Und Frauen haben es schwer.
 
Ist es dann komplizierter, die Finanzierung zu bekommen?
 
Für mich war es bis jetzt gar nicht kompliziert, weil alle meine Filme sehr erfolgreich waren. Ich kann nicht sagen, dass ich das an meinem eigenen Leib erfahren habe. Ich weiß aber, dass für viele meine Freundinnen es viel schwerer ist. Es ist nicht so, dass sie an Geld nicht herankommen. Sie kommen nicht an großes Geld. Die großen Filme werden nicht von Frauen gemacht. Im Moment ist es aber positiv, eine Frau zu sein, weil es ganz viel darüber geredet wird. In fast jedem Interview erzähle ich darüber, dass ich eine Frau bin und äußere dazu meine Meinung.