Deutsche Emigranten in der UdSSR
Carola Neher: Von den Bühnen der Weimarer Republik ins sowjetische Lager

Von Sergey Sdobnow

Mit Unterstützung des Goethe-Instituts findet in Moskau zur Zeit die Ausstellung „Carola Neher – Schicksal einer deutschen Schauspielerin“ statt. In den Räumen des Menschenrechtszentrums "Memorial" haben die Kuratorinnen Irina Scherbakowa und Maria Schilowa und die Architekten Kirill Ass und Nadeshda Korbut sowohl die Licht- als auch die Schattenseiten im Leben einer der herausragenden Schauspielerinnen der Zwischenkriegszeit beleuchtet.

Der erste, ganz in weiß gehaltene Ausstellungsbereich zeigt Fotografien, Zeitungsausschnitte und biografische Materialien, die Carola Nehers Jugendjahre und ihren rasanten Aufstieg zum gefeierten Bühnenstar in den 1920er-Jahren beleuchten. Auch G. W. Pabsts Adaption von Brechts Dreigroschenoper (1931) mit ihr in der Rolle der Polly Peachum ist hier zu sehen. Doch dann werden Wände und Boden schwarz: Carola Nehers Leben ändert sich schlagartig, als die überzeugte Marxistin mit ihrem zweiten Mann, dem rumänischen Kommunisten Anatol Becker nach Moskau übersiedelt.

Carola Neher . Den Besuchern der Carola-Neher-Ausstellung ermöglicht die Fülle an Materialien eine Reise von der Blütezeit der Weimarer Republik in die Zellen der sowjetischen Straflager. Unterwegs erfährt man dabei viel über den Bekanntenkreis der Schauspielerin und Ereignisse der deutsch-sowjetischen Geschichte, die für das Schicksal der Bürger beider Länder ausschlaggebend waren. Neben Ausschnitten aus deutschen und sowjetischen Zeitungen der 1920er- und 1930er-Jahre finden sich auch Briefe und Gedichte von Bertolt Brecht. Das Ineinandergreifen von privater und öffentlicher Geschichte wird so für die Besucher unmittelbar erfahrbar.

ERWARTUNGEN UND REALITÄT

Anfang der 1920er-Jahre, in der Hochzeit der Avantgarde und experimenteller Theaterformen, reißt eine junge Münchnerin aus bürgerlicher Familie von zu Hause aus und kündigt ihre Anstellung bei einer Bank, um in nur wenigen Jahren zu einer der prominentesten Schauspielerinnen der Weimarer Republik aufzusteigen. Während ihrer gerade einmal zehn Jahre andauernden Laufbahn interpretiert sie eine enorme Vielzahl von Rollen, wird zur Lieblingsdarstellerin Bertolt Brechts und erobert Europas Bühnen im Sturm. Ihr Konterfei ziert sowohl die Titelseiten von Modejournalen als auch Fanpostkarten oder Einlegebildchen in Zigarettenschachteln. Carola Neher boxt, fährt Auto, besteigt den Berliner Funkturm und symbolisiert somit ein neues, unabhängiges, gleichberechtigtes Selbstverständnis als Frau.

Carola Neher . 1934 unterschreibt Carola Neher, politisch kaum engagiert, aber noch immer ideologisch links, gemeinsam mit insgesamt 27 Persönlichkeiten, darunter Schriftstellern wie Lion Feuchtwanger und Heinrich Mann, ein Manifest gegen die Übernahme des Saargebiets durch Hitlerdeutschland. Wie allen übrigen Unterzeichnern wird auch ihr daraufhin die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Da sie keinen sowjetischen Pass besitzt, ist Carola Neher plötzlich staatenlos, flieht jedoch trotzdem in die UdSSR.

Die Sowjetunion gilt vielen westlichen Linken damals als letztes Bollwerk des Kommunismus. Doch die romantischen Erwartungen werden enttäuscht: Auch in Moskau werden die Lebensmittel mit Karten rationiert, überall im Land herrscht Hunger, allein die Nomenklatura kann sich ein „normales“ Leben leisten.

TOD UND ERINNERUNG

In der UdSSR wird Carola Neher ganze drei Jahre in Freiheit leben. Verzweifelt sucht sie nach Engagements, hält sich mit Konzerten und Radiosendungen für die deutsche Diaspora über Wasser. 1936 wird sie gemeinsam mit Anatol Becker sowie anderen deutschen Emigranten wegen Verdachts auf trotzkistische Verschwörung inhaftiert. Nur wenig später läutet der erste Moskauer Schauprozess gegen Stalins ehemalige Mitstreiter Sinowjew, Kamenew und Bucharin die Säuberungen des Großen Terrors ein.

Carola Neher Public Domain 1937 wird Nehers Mann Anatol Becker erschossen, Carola Neher zu zehn Jahren Haft verurteilt. Am 26. Juni 1942 stirbt sie im Durchgangsgefängnis Sol-Ilezk im Südural am Fleckfieber. Bis zuletzt hält sie sich mit Gymnastik fit, rezitiert Gedichte und schreibt Briefe auf Zeitungspapier. Vor allem forscht sie nach dem Schicksal ihres 1934 geborenen Sohnes Georg.

Dass die Lebensgeschichte des Repressionsopfers Carola Neher heute so gut bekannt ist, ist zu großen Teilen dem Engagement ihres Sohnes zu verdanken. Georg Becker, der in einem sowjetischen Kinderheim aufwuchs, erfuhr erst nach Stalins Tod von der Identität seiner Eltern. 1959 erhielt er eine Rehabilitierungsbescheinigung für seine Mutter. Dank der Unterstützung durch Lew Kopelew, Heinrich Böll sowie weitere deutsche Persönlichkeiten aus Politik und Kultur konnte er in den 1970er-Jahren nach Westdeutschland ausreisen. Mehr als dreißig Jahre lang sammelte er jegliche Informationen über seine Eltern und die Menschen in ihrer Umgebung.

Nun sind seine Funde in der Ausstellung „Carola Neher – Schicksal einer deutschen Schauspielerin“ zu sehen.