Berlinale-Blogger 2018
Die Vergangenheit als Gegenwart

Paula Beer und Franz Rogowski in Christian Petzolds „Transit“.
Paula Beer und Franz Rogowski in Christian Petzolds „Transit“. | Filmstill: Christian Schulz © Schramm Film

In Christian Petzolds Transit wird der Exilroman von Anna Seghers zum Menetekel aktueller Entwicklungen – ein Favorit im Wettbewerb.

Bei den Kritikern ist Christian Petzolds Transit gut angekommen, der Film gehört fraglos zu den Favoriten des Wettbewerbs. Die Idee, Anna Seghers’ Roman, der 1942 spielt, in die Gegenwart zu versetzen, ist auch schlicht brillant. Auf der Flucht vor den Deutschen sind mehrere Figuren in Marseille gestrandet; in einem höllengleichen Transit warten sie auf Ausreisevisa, treffen und verlieren sich, werden die Erinnerungen an das Zurückgelassene nicht los.

Alles ist wie Anfang der 1940er Jahre, als Seghers genau hier im französischen Exil ein mexikanisches Visum ergatterte und ihre Erfahrungen gleich niederschrieb. Doch die Zeit ist unzweifelhaft unsere Gegenwart, in einer düsteren und bedrohlichen Vision. Mit dieser Modernisierung greift Petzold sehr aktuelle Themen auf, nämlich Flucht, Exil und Totalitarismus – und lässt zugleich die Vergangenheit durchscheinen, ganz ohne historischen Kulissenfirlefanz.

Im Zwischenreich von Leben und Tod

Zugleich verfeinert Petzold seine Idee vom Kino als traumartigem Transitraum. Seine Hauptfiguren Marie (Paula Beer), die ihren toten Mann sucht, und Georg (Franz Rogowski), der dessen Identität angenommen hat, gleichen Gespenstern auf der Flucht vor sich selbst. Motive von Kafka, Sartre und Hitchcocks „Vertigo“ huschen vorüber, nicht zum ersten Mal in Petzolds Werk.
Allerdings macht es der Filmemacher seinem Publikum nicht leicht. Seine poetischen Mittel wirken bisweilen stark distanzierend, die Identifikation mit den Figuren muss man sich zumindest hart erarbeiten. Ob eine wunderliche Erzählstimme dabei wirklich hilft oder im Gegenteil sogar zu viel erklärt, wurde rege diskutiert.

Auf der anschließenden Pressekonferenz erklärte sie der Regisseur als kleine Referenz an die französische Nouvelle Vague, was schon wieder sehr sympathisch wirkte, genau wie seine Huldigung des Hauptdarstellers Franz Rogowski – dem Berlinale-„Shooting Star“ attestierte er die „unfassbar schöne Traurigkeit von Belmondo“. In sehr klaren Worten verteidigte er außerdem das Grundrecht auf Asyl, das schließlich auf Erfahrungen wie jenen von Anna Seghers beruhe, und auch damit hat er zweifellos recht.