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Coffee Festival in Berlin
„Transparenz ist, was am Ende den Unterschied macht“

Coffee Festival in Berlin
© Berlin Coffee Festival

Von Irina Posrednikowa und Ilja Tschistjakow

2013 hat Philipp Reichel in der „Markthalle Neun“ in Berlin das Café 9 eröffnet und steht dort selbst sowohl hinterm Tresen als auch an der Rösttrommel. Im Jahr 2015 initiierte er das erste Berlin Coffee Festival, das im September 2018 bereits zum vierten Mal stattfand. Beim Coffee Festival geht es Philipp Reichel nicht nur darum, einen Treffpunkt für Cafés, Röstereien und Kaffeeliebhaber zu erschaffen oder spektakuläre Barista-Wettbewerbe zu veranstalten, sondern auch darum, zu zeigen, was für Menschen und welche Arbeit hinter der Tasse Kaffee stecken. Philipp Reichel denkt, dass Transparenz auf allen Ebenen der Produktion, der Verarbeitung und des Verkaufs von Kaffee das eigentliche und wichtigste „key element“ ist.

Philipp Reichel © Berlin Coffee Festival
Du sprichst oft über die „Menschen hinter der Tasse“ – könntest Du aber auch etwas zu Deiner persönlichen Geschichte erzählen? Was für ein Weg hat Dich in die Kaffeewelt gebracht?


Eigentlich habe ich Tontechnik studiert und auch ganz viel Musik gemacht, verschiedene Instrumente gespielt. Dann habe ich parallel angefangen, in einem Café zu arbeiten, wo ich innerhalb von ein, zwei Jahren fast alles zum Thema Gastronomie gelernt habe und mich auch in die ganze Gastronomie-Kultur verliebt habe. Danach bin ich nach Berlin gekommen und fand eine Stelle im Vertrieb einer italienischen Espresso-Firma. Dadurch habe ich Espresso-Maschinen kennengelernt und bin so komplett in das Thema Kaffee eingestiegen und begann mit Kaffee auch Geld zu verdienen.
 
Dann kam ich in die „Markthalle Neun“ und beschloss, dort ein Café zu eröffnen. Die Idee hinter dem Café war, dass wir nicht nur einfach Kaffee servieren, sondern auch den Kaffee erklären wollten. Das hat hervorragend funktioniert und immer mehr Leute angezogen. Bald kam auch das Festival dazu.

Genauso wie Dein Café mehr als reinen Kaffeegenuss vermitteln will, ist Dein Festival ja auch mehr als nur ein Freizeitangebot für die Berliner.
 
Ja, das Café war ein Erfolg nicht zuletzt deswegen, weil es hier in Berlin eine extrem schnell wachsende Kaffeeszene gibt. In den letzten 5, 6 Jahren haben hier etwa 20 Röstereien eröffnet. Ich wollte diesen ganzen kleinen Cafés und Röstereien eine größere Stimme geben.
 
Die Kaffeewelt wird ja immer noch von den ganz großen da draußen regiert, von den Riesenröstereien und den Coffeeshop-Ketten – die kleine Specialty-Szene macht nicht mal zwei Prozent des Marktes aus.

Welche Schwerpunkte gab es 2018 beim Festival?
 
Für uns war es wichtig, die grundsätzlichen Probleme und die grundsätzliche Idee des Kaffees zu diskutieren. Deswegen fokussieren wir uns dieses Jahr viel mehr auf die Produzenten, auf die Farmer. Denn wir müssen bedenken: Wenn wir weiter so unwissend Kaffee konsumieren, wird es ihn in 30, 50 Jahren nicht mehr geben. Wir müssen alle gemeinsam lernen, dass der Kaffee einen viel höheren Wert hat, und dieser Wert muss nicht nur an die Röstereien, sondern auch an die Farmer weitergegeben werden.
 
Wir wollten die Aussteller überzeugen, uns ihre Produzenten vorzustellen, ihre Farmer, die Bauern, mit denen sie arbeiten – eben die Menschen hinter der Tasse. Nicht nur die schicken Baristi und Röster, sondern auch die wirklichen Produzenten, die in den Ursprungsländern tagtäglich extrem viel arbeiten, um diese guten Kaffee-Qualitäten zu ermöglichen. Wir wollen sie nicht nur ans Licht bringen, sondern ihre Arbeit mit Geld und finanziellen Strukturen mehr wertschätzen.

Coffee Festival in Berlin © Berlin Coffee Festival
Was an Deinem Festival auch auffällt, ist das Satelliten-Programm, durch das sich das Festival weit über die Markthalle verbreitet und  praktisch die ganze Stadt einbezogen wird.
 
Früher habe ich zahlreiche andere Coffee Festivals besucht – in London, Wien, Amsterdam und so weiter – und da hat mir immer die Möglichkeit gefehlt, die Stadt kennenzulernen. Die Röstereien und Coffeeshops tragen ja viel zum Gefühl einer Stadt bei.
 
Deswegen gibt es in den ersten zwei Tagen das Satelliten-Programm, bei dem die teilnehmenden Cafés und Röstereien eigene Workshops und Vorträge machen, sie luden zu sich ein, hatten offene Türen, beantworteten alle Fragen, die man sich vorstellen kann. Die Besucher hatten die Gelegenheit, die Kaffee-Orte der Stadt kennenzulernen. Das war ein voller Erfolg – alle Workshops und alle Vorträge waren ausgebucht, es gab keine freien Plätze mehr.

Wenn wir schon über einzelne Cafés reden – könntest Du vielleicht ein Paar Deiner Lieblingscafés hier in Berlin nennen? Wenn ein Tourist nach Berlin kommt und sehr guten Kaffee trinken will, wo geht er am besten hin?
 
Das beste Café und die beste Rösterei sind aus meiner Sicht immer diejenigen, die von ihrem Kaffee erzählen können. Die nicht nur einen schicken Cappuccino servieren, sondern die Geschichte des Kaffees vermitteln, sodass Du weißt, was Du in der Tasse hast. Ansonsten, wenn es mehr um den Geschmack geht, gibt es in Berlin zum Beispiel „The Barn“ oder „Bonanza“, die mittlerweile weltweit bekannt sind. Sie leisten richtig gute Arbeit und es ist echt spannend zu sehen, was sie machen.

Allerdings glaube ich auch, dass noch viel spannender die Restaurants sind, die darüber hinaus versuchen, transparent zu sein. Die „organic“- und Bio-Zertifikate sind nur ein Teil davon und werden mehr und mehr ein reines Marketing-Tool. Transparenz ist aber, was am Ende den Unterschied macht. Ein gutes Bespiel dafür sind die „Flying Roasters“ aus Wedding. Sie legen komplett ihre Zahlen offen und lassen Dich klar verstehen, wieviel und warum eine Tasse Kaffee kostet, was sie kostet. Dieses Verhalten überzeugt mich mit seinen „deutlichsten Argumenten“.

Kaffee © Berlin Coffee Festival Die Cafés, die Du erwähnt hast, würde man zu der sogenannten „dritten Welle“ zählen. Meinen Freunden in Moskau ist diese Bezeichnung unbekannt. Wie würdest Du die erste, zweite und dritte Welle definieren? Ist das für Dich überhaupt ein Begriff?
 
Um das Thema der „dritten Welle“ verständlich zu machen, muss man tatsächlich die Wellen davor benennen. Mit der „ersten Welle“ ist Kaffee weltweit verfügbar gemacht worden. Die „zweite Welle“ war die Vermittlung der klassischen Espresso-Kultur durch die ganzen Coffeeshop-Ketten, die es heute gibt. Die „dritte Welle“ wiederum fokussiert sich darauf, Origins zu präsentieren. Bei Origins geht es um die Farmer, um Varietäten, die unterschiedlich schmecken und unterschiedliche Herkunft haben. Ich muss aber auch sagen, dass die „dritte Welle“ ein Begriff ist, der im Laufe der Zeit sehr schwammig geworden ist. Er wurde weniger repräsentativ, weil viele Firmen ihn für Marketingzwecke nutzen, ohne die Bedeutung wirklich zu erfüllen. Das ist das gleiche Thema wie mit „direct trade“ oder „organic“. Deswegen gehört der Begriff „dritte Welle“ nicht wirklich zu meinem Wortschatz. 

Mir fiel auch auf, dass viele Cafés aus der Specialty-Szene nicht aus Berlin sind – sie kommen aus der Slowakei, aus Tschechien, aus Finnland ... – wie kann man das erklären?
 
Berlin ist eine Stadt, die immer noch ein Magnet ist. Sie ist so multikulturell geworden, dass sich jede Nationalität hier wohl fühlt. Auch wenn man die deutsche Sprache nicht beherrscht, kann man sich hier trotzdem gut zurechtfinden. Viele Leute wagen hier einen neuen Schritt, wie zum Bespiel einen Coffeeshop aufzumachen. Die Berliner Energie hilft sehr dabei, es gibt hier viel gefühlte Freiheit und viele Möglichkeiten.

Weißt Du schon, wie das nächste Festival aussehen wird? Was wird es Neues geben? Würdest Du gerne etwas ergänzen?
 
Wir werden als Coffee Festival gewiss noch wachsen. Dieses Jahr war für uns die Markthalle schon zu klein und wir hatten eine Warteliste. Wir werden auch daran arbeiten, gänzlich auf Einwegbecher zu verzichten. Vielleicht werden wir auch noch andere Themen mit aufnehmen – Schokolade und Tee stehen dabei ganz oben, da sie dem Kaffee sehr nahe sind. Diese Themenbereiche haben so viele ähnliche Probleme in der Kette der Bezahlung, der Wertschätzung, dass wir sie während des Festivals gerne mit repräsentieren wollen würden.
 

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