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Wie Biodiversität in Moskau erhalten werden kann
Das wilde Leben in der Stadt

Fuchsskulptur im Gras
Foto (Detail): Serge Kutuzov / Unsplash

Von Stanislav Kuvaldin

Das Areal einer Megapolis bietet – obwohl es als Wohn- und Produktionsraum für Millionen von Menschen ausgelegt ist – Nischen, die auch anderen Lebewesen eine Existenz auf dem Gelände der Stadt erlauben. Manchmal werden solche Nischen mit Absicht eingerichtet, wie im Falle von Stadtparks und -wäldern, manchmal aber sind sie auch ein Nebeneffekt der Wohn- und industriellen Bebauung. In jedem Fall steht die Stadt mit Umweltsystemen durchgehend in einer dynamischen Wechselwirkung, die nicht ausschließlich auf Vernichtung oder Eindämmung ausgelegt ist.

Schwan im StadtteichFoto (Detail): Vitolda Klein / Unsplash

Die vielfältige Lebenswelt der Stadt zeugt davon, dass in ihr etablierte Umweltsysteme bestehen – deren Stabilität wiederum die Chance eröffnet, Einwohner*innen „Umweltdienste“ anzubieten. Unter diesem Begriff werden die Möglichkeiten der Natur zusammengefasst, selbständig negative Folgen einer fortlaufenden wirtschaftlichen Tätigkeit zu kompensieren: Wasser, Luft und Erdreich zu säubern, einen positiven Einfluss auf die Gesundheit der Einwohner*innen zu nehmen und mit anderen Mitteln den Lebenskomfort im städtischen Raum zu verbessern.

Für wen die Stadt ein guter Lebensort ist

Die wilde Natur in Städten besetzt längst nicht immer nur die offensichtlichsten Nischen. Arten, die man im Innenhof von Häusern antreffen kann, können sich auf dem Gebiet geschützter Naturwäldern aufhalten, während andererseits Tiere, die man früher nur in riesigen Waldgebieten antraf, Versuche unternehmen, den Stadtraum zu erobern. Füchse zum Beispiel. „Moskau nimmt hier schon die Züge europäischer Städte wie Berlin oder London an, wo man selbst mitten im Stadtzentrum auf Füchse stoßen kann“, meint der Biologe Nikolaj Formosov. Bei der Nennung konkreter Gründe dafür, warum Füchse in Wohngebieten auftauchen, blieb er zurückhaltend, hält es aber für möglich, dass einer der Gründe hierfür die abnehmende Anzahl von Straßenhunden im Stadtgebiet sein könnte. Nahverwandte Arten stehen in der Natur normalerweise in starker Konkurrenz zueinander, und starke Hunde verhalten sich Füchsen gegenüber inkonziliant. Daher kann der Kampf gegen Straßenhunde zusätzliche Nischen für das Leben von Füchsen schaffen.

HochhäuserFoto (Detail): Irina Grotkjaer / Unsplash

In den letzten Jahrzehnten haben die Entwicklungstendenzen der Megapolis sowie Besonderheiten der Bewirtschaftung die Möglichkeiten einiger bis dato komfortabel existierender Arten beschnitten. Ein Faktor ist die Abnahme von Freiräumen, in denen sich verschiedene Formen des Bewuchses ansiedeln und Insekten leben konnten, die als Nahrungsgrundlage für Vögel und andere Tiere dienten. „Sehen Sie sich doch mal an, wie die Gebiete zwischen den Häusern in den neuen Wohngegenden aussehen“, sagt Alexej Simenko, Vorstandsvorsitzender des Zentrums für den Schutz wilder Natur. „Meistens sind das asphaltierte oder anderweitig befestigte Flächen mit Spielplätzen, Parkplätzen und ein bisschen Bepflanzung oder Bäumen. Das ist etwas völlig anderes als die grünen Höfe, die es in den Vierteln gibt, die in den Jahren davor gebaut wurden. In diesen neuen „Höfen“ kann praktisch nichts und niemand leben und überleben. Und auch für Menschen ist es hier, gelinde gesagt, ungemütlich“.

Landschaftspflege als starker Faktor

Alexej Simenko weist ebenfalls auf den nicht unerheblichen zerstörerischen Einfluss der kommunalen Dienste hin, der sich besonders innerhalb der letzten 10-15 Jahre verstärkt hat. Die Entfernung heruntergefallenen Herbstlaubs bringt viele Insekten und andere Wirbellose um ihre Rückzugsquartiere. Ebenso leidet die Population der Insekten unter dem Grasschnitt und der praktischen Zerstörung der obersten Erdschicht, die durch künstlichen Boden ersetzt und mit homogenen Rasenflächen überzogen wird. All das zerstört die früher existierende Grasvielfalt, die nicht nur für Tiere, sondern auch für die Stadt und ihre Einwohner*innen von großer Bedeutung ist. „Üblicherweise wird die Bodenerneuerung damit erklärt, dass der alte Boden durch darin angesammelte giftige Substanzen verseucht ist“, sagt Simenko, „doch selbst wenn das so sein sollte, handelt es sich immer noch lebendiges Erdreich, das in der Lage ist, sich mit der Zeit selbst zu reinigen. Bis aber künstlicher Boden in eine natürliche Erdmasse umgewandelt werden kann, braucht es Jahre“.

SpatzenFoto (Detail): Semen Borisov / Unsplash

Nikolaj Formosov weist auf einen anderen Aspekt gestalterischer Eingriffe in die Stadtnatur hin, der sich negativ auf die Vogelwelt auswirkt: Sträuche und Hecken werden regelmäßig beschnitten – und in der Regel genau dann, wenn viele Vögel in den Kronen Nester bauen, sich aber durch den Schnitt in ihrer Ruhe gestört fühlen und Eier oder Vogeljunge zurücklassen. Das ist ein Grund für das Sterben von Gelegen und Jungvögeln der Grasmücken, Buschrohrsänger und möglicherweise auch der Nachtigallen in der Stadt, die ihre Nester in dichten Hecken oder auf dem Boden im Schutz dieser Hecken errichten.

Nach den Worten der Biologin Nadjeschda Kijatkina, die sich aktiv an der Zählung von Nachtigallen beteiligt, können die Folgen städtebaulicher Gestaltung sehr lange nachwirken: „Im Zarizyno-Park liegt die bauliche Umgestaltung schon 15 Jahre zurück, aber die Nachtigallen-Population hat immer noch nicht wieder die vor dem Umbau üblichen Zahlen erreicht.“

Dieser keine Ausnahmen zulassende Ansatz der Pflege von Grünanlagen hat sich auch auf die Anzahl weiterer langjähriger Bewohner Moskaus ausgewirkt: nach Erhebungen aus dem Jahr 2015 geht auch die Population der Schellente zurück. Einer der Gründe hierfür ist die Besonderheit des Nistens dieser Entenart, die ihre Eier in Höhlen ablegt. Jetzt aber werden ausgehöhlte Bäume regelmäßig von städtischen Diensten wegen ihrer potenziellen Gefährlichkeit gefällt, wodurch es den Schellenten an Orten mangelt, ihren Nachwuchs aufzuziehen. Eine andere Ente, die in den 1950-er Jahren in Moskau Einzug hielt, ist die Rostgans, deren Populationszahlen aber ansteigen. Sie nistet in der Stadt gerne in Dächern und wird bei ihrer Reproduktion wird – jedenfalls bis jetzt – kaum gestört.

Es gibt in verschiedenen Ländern spezielle Herangehensweisen, kleine, in Bodennähe brütende Vögel vor Störungen durch Menschen oder Haustiere zu schützen. Als in Teilen erfolgreich gilt der Versuch, sogenannte „Brennesselbeete“ anzulegen – Ecken mit hohem und schwer zu durchdringendem Bewuchs, die anhand eines leichten Drahtzauns gegenüber Katzen und Hunden abgegrenzt sind. Allerdings erfordert die Organisation solcher bewusst ungepflegten Flächen erst einmal eine weniger linear geprägte Vorstellung von Landschaftspflege. Ebenfalls hilfreich für die Population der Stadtvögel wäre, nach Meinung Alexej Simenkos, ein punktuelles Mähen der Grünflächen nach dem Mosaik-Prinzip, doch das würde die städtischen Dienste wohl vor eine noch größere Herausforderung stellen als die, die sie jetzt schon zu bewältigen haben.

Im Namen von Uferpromenaden und Sportplätzen

Die Tierwelt in Moskau ist nicht nur auf die Fauna begrenzt, die in Nachbarschaft zum Menschen existiert. Tiere, die weniger gut mit Menschen auskommen, leben in Wäldern und Parks auf dem Stadtgebiet. Neben einer Population an Elchen, die im Park „Elchinsel“ heimisch sind, trifft man auf Hasen, einige Marderarten, die bereits genannten Füchse, verschiedenste Vogelarten und andere Vertreter der Tierwelt in der Mittelzone von Russland. Dass Wildtiere in Parks und Wäldern leben, bestätigt die Annahme, dass sich dort Ökosysteme herausgebildet haben, die auf Eingriffe von außen sehr empfindlich reagieren könnten.

Die Hauptbedrohung für große und weniger gut geschützte Naturgebiete ist der Anstieg der menschgemachten Belastungen. Die städtische Verwaltung sieht darin offenbar kein Problem und meint, dass man diese Parks für Menschen attraktiv machen müsse, indem man komfortable Bedingungen für deren Erholung schafft. Hierzu werden die Gebiete der städtischen, besonders geschützten Naturgebiete mit Sport- und Spielplätzen ausgestattet, was die naturbelassenen Gebiete verkleinert.

Insgesamt gibt es in Moskau 113 Objekte, die den Status besonders geschützter Naturgebiete (OOPT) innehaben. Viele von ihnen haben diesen Schutzstatus schon zu Sowjetzeiten erhalten. Alexej Simenko hält das für einen prinzipiell wichtigen Schritt zur Erhaltung der Biodiversität der Stadt, drückt aber seine Skepsis dahingehend aus, inwiefern dieser Status im Alltag auch anerkannt wird. Ebenso weist er darauf hin, dass die erdrückende Mehrheit dieser geschützten Objekte nur eine geringe Größe aufweist: „Oftmals sind das irgendwelche Quellen oder andere kleine Wasserobjekte – die stehen zwar unter Naturschutz, aber eben nur sie selbst, und unabhängig von anderen Inseln lebendiger Natur sind sie kaum in der Lage, zum Schutz der Biodiversität beizutragen“.

WaldFoto (Detail): Igor Solkin / Unsplash

Besonders heftig kritisiert Alexej Simenko die Zerstörung von Uferregionen und Wasserreservoirs: „Die Grenze zwischen Erde und Wasser ist eine wertvolle Schnittstelle unterschiedlicher Naturkomplexe, die lebensnotwendig für die Ökosysteme an Land und im Wasser sind. Doch in Moskau werden Uferregionen, darunter auch geschützte Wasserzonen wie Reservoirs, in vielen Parks mit absolut barbarischen Methoden zerstört – die Ufer werden mit Beton verkleidet oder mit Steinkörben ausgestattet, am Wasser entlang werden große Straßen gepflastert und Radwege so angelegt, dass selbst Holzböden zu einer ernsthaften Bedrohung an der Grenze zum Zulässigen werden”. Als besonders schwerwiegenden Fall führt Alexej Simenko das Beispiel der Sperlingsberge an, die vom Status her ein Naturschutzgebiet sind, wo aber eine breite Uferstraße und Radwege angelegt sowie zur Unterhaltung der Besucher*innen Lichtmasten aufgestellt wurden, die das gesamte Gebiet mit hellen Leuchtkörpern erhellen. „Das ist eine unbedachte und inakzeptable Lichtverschmutzung, die sich negativ auf die Tierwelt auswirkt. So etwas in einem Naturschutzgebiet zu haben, ist einfach nicht hinnehmbar. Ich bin mir nicht sicher, ob man heute noch sagen kann, dass die Sperlingsberge in ihrer Funktion als Schutzgebiet erhalten bleiben.“

Michail Kaljakin, Direktor des Zoologischen Museums und Organisator des Programms „Vögel in Moskau und Umgebung“ ist, was diese Bewertung angeht, vorsichtiger. Er gibt zu bedenken, dass es bislang keine ernsthafte Erforschung der Auswirkungen einer solchen Lichtverschmutzung auf die Vogelpopulationen Moskaus gegeben hat. Dennoch sagt die Aufstellung solcher redundanter Fremdkörper in Naturgebieten, ohne dass entsprechende Forschungsdaten vorliegen, für sich genommen schon einiges über die Prioritäten der Stadtverwaltung aus.

Merkmale wilden Lebens

Man sieht, dass Moskau in den letzten Jahrzehnten zu ein weniger komfortablen Wohnort für Wildtiere geworden ist, und dass sich die Co-Existenz von Natur und Mensch im städtischen Raum problematischer gestaltet. Es ist nicht so, dass die Stadtverwaltung den Wert von Grünanlagen nicht erfassen oder sich nicht darum bemühen würde, grüne Bereiche in Wohngebieten, Stadtwäldern und Parks zu erhalten. Allerdings führen vereinfachte Vorstellungen davon, wie man solche Gebiete pflegen und in Ordnung halten sollte, angesichts der Intensität gutgemeinter Arbeiten faktisch zu einem Angriff auf die einfachen Umweltsysteme, die es in der Stadt gibt, und leisten einer zusätzlichen Belastung Vorschub. Naturschutzgebiete werden von der Regierung in erster Linie als dekorativ und als Erholungsort wahrgenommen – was das natürliche Leben in diesen Bereichen zu einer Besonderheit unter vielen degradiert, deren Schutz entgegen aller Absichtserklärungen ganz offensichtlich nicht an erster Stelle steht.

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