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Inspirador
Wie Amsterdam die Klimakrise mit „Artivismus“ bekämpft

Eine Aktion von Fossil Free Culture in einem Konzertsaal
Fossil Free Culture machte mit seinen Aktionen auf Kulturveranstaltungen auf sich aufmerksam. | Foto (Detail): © Laura Ponchel

In den vergangenen 20 Jahren waren fossile Brennstoffe für drei Viertel der vom Menschen verursachten CO2‑Emissionen auf unserem Planeten verantwortlich. Darüber hinaus übt die Öl-Industrie auch viel Macht und Einfluss aus. Vor fünf Jahren entstand Fossil Free Culture (FFCulture) als eine Gruppe niederländischer Künstler*innen, Aktivist*innen und Kulturschaffender. Sie schlossen sich zusammen, um dem „Art‑Washing“ durch Unternehmen aus dem Bereich der fossilen Energie im niederländischen Kultursektor ein Ende zu setzen.

Von Jonaya de Castro und Laura Sobral

Der Inspirador war ein Projekt, mit dem Ziel, nachhaltige Städte neuzudenken, indem es inspirierende Beispiele aus mehr als 32 Orten auf der ganzen Welt identifizierte und präsentierte. Die Forschung systematisiert die Fälle und Ideen in verschiedene Kategorien, gekennzeichnet durch Hashtags.

#politische_vorstellungskraft
Themen, die bereits vorher im Alltag wichtig waren, erweisen sich nun als dringlich, und einige der entwickelten Ideen können uns dazu inspirieren, mit den Gegebenheiten bestmöglich umzugehen. Mit kreativen Kampagnen und Notfallmaßnahmen wird versucht, die Zukunft unter dem Gesichtspunkt der kulturellen Entwicklung zu beeinflussen. In dieser Kategorie stellen wir Design- und Nachhaltigkeitslabore, Beispiele von Pflegekultur, sowie Foren und Plattformen für philosophische Diskussionen vor, die sich den Themen Hoffnung, Transformation und politischer Vorstellungskraft widmen.


Eines der Hauptziele von Fossil Free Culture war es, Bewusstsein zu schärfen und einen Dialog in Gang zu setzen, der es den Menschen ermöglicht, zu erkennen, dass diese Unternehmen mehr Schaden als Nutzen anrichten, auch wenn sie kulturelle Einrichtungen finanzieren. „Wir Aktivisten*innen und Künstler*innen leben in einer Blase, weil viele Menschen hier in den Niederlanden wirklich glauben, dass Shell ein großartiges Unternehmen ist, dass Shell mit dem ökologischen Wandel beschäftigt ist, was überhaupt nicht stimmt. Indem wir also Informationen liefern, vermitteln wir neues Wissen“, sagt Frida Escalante, eine der Gründer*innen der Gruppe.

Art-Washing

Art-Washing beschreibt die Instrumentalisierung von Kunst und Künstler*innen, um von negativen Handlungen einer Person, einer Organisation, eines Landes oder einer Regierung abzulenken oder diese zu legitimieren. Das Ziel von Fossil Free Culture ist es, dem Art‑Washing durch Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft in den Niederlanden ein Ende zu setzen. Die Gruppe konzentriert sich darauf, die Macht dieser Unternehmen zu schmälern. Mithilfe von diversen Performances übt Fossil Free Culture Druck auf Kunstinstitutionen aus, sich von der Industrie für fossile Brennstoffe zu lösen. Als Fossil Free Culture gegründet wurde, waren die meisten Mitglieder der Gruppe Künstler*innen, die auf ganz spontane Art und Weise Erfahrungen mit Aktivismus gesammelt haben.

Für Frida als Künstlerin ist der spannendste Teil des Projekts die Zusammenarbeit mit Aktivist*innen. Vor Fossil Free Culture hatte sie über 20 Jahre lang als politisch engagierte Künstlerin gearbeitet, aber ihre Projekte führten nie zu konkretem sozialen Wandel: „Erst in diesem Projekt – als wir anfingen, mit Aktivist*innen zusammenzuarbeiten und aktivistische Taktiken und Strategien in Kombination mit Kunst einzusetzen – gelang es uns plötzlich, einen konkreten sozialen Wandel zu bewirken.“
 
Nach ihrer zweiten Performance mussten sie drei Tage im Gefängnis verbringen. „Wir haben ganz friedlich eine wunderschöne Performance im Van-Gogh-Museum gemacht, bei der wir die Beendigung der unethischen Förderung des Museums durch Shell gefordert haben, und mussten dann drei Tage im Gefängnis verbringen, was völlig unverhältnismäßig war“, erzählt Frida. Der Vorfall rief eine Menge Unterstützung von Aktivist*innen hervor, die ehrenamtlich arbeitende Anwält*innen organisierten, um die Künstler*innen von Fossil Free Culture freizubekommen.

Die Verantwortung von Kunsteinrichtungen

Für die Aktivist*innen ist es jedoch schwierig, sich der tatsächlichen Auswirkungen ihrer Arbeit bewusst zu werden, also wie diese sich auf die Institutionen auswirkt, mit denen sie zusammenarbeiten. „Das merkt man erst, wenn etwas passiert, und dann fragt man sich: Warum haben sie [das Sponsoring] beendet?“ erzählt Frida. Als sie mit ihrer Arbeit begannen, gab es mehr als 15 große niederländische Institutionen, die Fördermittel von Unternehmen aus dem Bereich der fossilen Brennstoffe annahmen, darunter das Van‑Gogh‑Museum, das Rijksmuseum und das Amsterdamer Concertgebouw. Jetzt gibt es nur noch zwei Museen in den Niederlanden, die dies tun.

Die Performances bringen die ethischen Probleme der Institutionen ans Licht: einerseits für Kultur einzutreten, während sie gleichzeitig unethische Sponsorengelder von Unternehmen erhalten, die für zahlreiche Fälle von Umweltzerstörung in der ganzen Welt verantwortlich sind. Warum sollten wir diesen Unternehmen eine Bühne bieten, um ihr Image in unserer Gesellschaft aufzupolieren, wenn wir uns doch ihrer unverantwortlichen Handlungen bewusst sind?

„Wir fordern sie stets dazu auf, sich auf die richtige Seite der Geschichte zu stellen, denn wir glauben, dass diese großen Museen und Kunstinstitutionen die Pflicht haben, mit gutem Beispiel voranzugehen – vor allem in Zeiten, in denen der Klimawandel ein Problem ist, das uns alle betrifft“, erklärt Frida.

Ein Plan, etwas Improvisation und ein Image

Die Arbeit von Fossil Free Culture muss sehr kreativ sein. „Die Performances stellen eine große Herausforderung dar, denn man betritt die Einrichtung wie eine normale Person, muss sich aber umziehen und die Sachen hineinbringen, ohne dass es jemand merkt“, erklärt Frida. Obwohl es immer einen Plan gibt, beinhaltet jede Performance auch ein gewisses Maß an Improvisation und Konfrontationen mit dem Sicherheitspersonal. „Wir haben einen Sprecher, der ihnen erklärt, dass wir nichts beschädigen werden und es nur ein paar Minuten dauern wird“. Die Hauptaufgabe des Sprechers besteht darin, die Aktionen des Sicherheitspersonals zu verzögern.

Die größte Herausforderung für Frida war die Performance im Van-Gogh-Museum. Hierfür verwendete die Gruppe ein zwölf mal sechs Meter großes Transparent, das wie ein Puzzle in 44 kleinere Teile unterteilt war. Jede*r der 40 Teilnehmer*innen war für zwei Stücke verantwortlich. Unmittelbar nachdem sich das Banner entfaltete, wurde es wieder entfernt. Es gibt nur ein einziges Foto, das das Banner richtig zeigt.
 

Wirkung des Artivismus

Die Institutionen reagieren auf unterschiedliche Weise auf die Artivismus-Performances. Nach einer ihrer Performances lud das Concertgebouw FFCulture zu einem Gespräch ein; die Gruppe antwortete, dass sie gerne bereit wäre, sich auf einen Kaffee zu treffen, sofern die Konzerthalle ihren Sponsorenvertrag mit Shell kündigt. „Wir wussten, dass sie wollten, dass wir dort keine Performances mehr machen“, erklärt Frida. Das Kollektiv nutzte die Gelegenheit, um eine Reihe von Facebook-Posts zu veröffentlichen, die zeigten, wie Mitglieder regelmäßig in das Café des Concertgebouw gehen und dort auf den Direktor warten, um mit ihm einen Kaffee zu trinken. Durch ihre laufende Kampagne in den sozialen Medien wurden die Menschen auf die Situation aufmerksam und begannen sich Gedanken darüber zu machen, woher das Concertgebouw seine Mittel erhält. Nur vier Monate nach dieser Intervention in den sozialen Medien beendete die Institution ihre Kooperation mit Shell.

„Vor allem im Kulturbereich sind die Leute sehr naiv und meinen: ‚Aber wir brauchen doch das Geld, wir haben doch keins‘“, sagt Frida. Die Diskussion über die tatsächliche Finanzierung dieser Einrichtungen anzuregen war eine der größten Herausforderungen für die Gruppe. „Es ist interessant zu sehen, dass wir nicht wirklich viel Unterstützung aus dem kulturellen Bereich bekommen“, erzählt Frida. Institutionen, die ihre Arbeit als Künstlerin unterstützt haben, fördern ihre Arbeit bei Fossil Free Culture nicht. Das Kollektiv wird von Kunstorganisationen wie Stichting DOEN, Aktivismus-Fonds wie X‑Y Funds, der Guerrilla Foundation, MamaCash und dem Urgent Fund sowie von ethischen Firmen wie dem Bekleidungsunternehmen Patagonia und der Kosmetikmarke Lush unterstützt. Neben diesen Finanzierungsquellen erhält das Kollektiv auch Spenden und sammelt Geld durch den Verkauf von Kleidung und Produkten.

Kann das Publikum die Gesellschaft verändern?

„Die Leute, die diese Kultureinrichtungen besuchen, gehören zur Elite, zu denen, die tatsächlich etwas in unserer Gesellschaft bewegen können. Sie benutzen das Art-Washing, um ihre Macht aufrecht zu erhalten“, sagt Frida Escalante. Jedes Mal, wenn Fossil Free Culture eine Kunstaktion durchführt, verteilt die Gruppe Flugblätter, auf denen sie ihre Anliegen und ihre Philosophie erläutert. Diese Flugblätter enthalten in der Regel Fakten über die jeweiligen Unternehmen aus dem Bereich der fossilen Brennstoffe sowie deren Verbrechen und Versäumnisse beim ökologischen Wandel. Frida nennt Shell als Beispiel und erklärt, dass es sich hierbei um „ein sehr pragmatisches Unternehmen handelt, das sich überhaupt nicht für die Lösung des Problems des Klimawandels einsetzt. Sie sind viel mehr auf Profit ausgerichtet. Das ist ihr wichtigstes und einziges Ziel.“

Sie resümiert, dass das System durch die allgemeine „paternalistische, neoliberale“ Struktur und die „koloniale Mentalität“ gestützt wird, die es Unternehmen aus dem Bereich der fossilen Brennstoffe ermöglicht, trotz der dringenden Notwendigkeit eines Wandels „im Angesicht des Klimawandels“ immer noch so viel Macht auszuüben. Das Projekt inspiriert, da es eine Vision von einer Zukunft ohne fossile Brennstoffe und einer gerechteren gesellschaftlichen Ordnung entwirft. Mit den Worten von Frida: „Wie kommt es, dass wir immer noch nicht die richtigen Entscheidungen treffen?“


 

In dieser Reihe geht es um:

Das Projekt „Inspirador für mögliche Städte“ von Laura Sobral und Jonaya de Castro zielt darauf ab, Erfahrungswerte aus Bürger*inneninitiativen, akademischen Kontexten und politischen Maßnahmen zu identifizieren, die sich an Transformationsprozessen hin zu nachhaltigeren, kooperativeren Städten beteiligen. Wenn wir davon ausgehen, dass unsere Lebensweise und unsere Konsumgewohnheiten die Auslöser der Klimakrise sind bleibt uns nichts anderes übrig, als unsere Mitverantwortung einzugestehen. Grüne, geplante Städte mit autonomer Nahrungsmittelversorgung und einer Abwasserentsorgung auf Grundlage natürlicher Infrastrukturen können ein Ausgangspunkt für die Entwicklung der neuen Vorstellungswelt sein, die für diesen Wandel notwendig ist. In dem Projekt werden öffentliche Maßnahmen und Gruppeninitiativen aus der ganzen Welt vorgestellt, die auf die Möglichkeit anderer Lebensweisen aufmerksam machen.
 
Das Projekt systematisiert inspirierende Fälle und Ideen in den folgenden Kategorien: 

#entwicklung_neudefinieren, #raum_demokratisieren,
#ressourcen_(re)generieren, #zusammenarbeit_intensivieren, 
#politische_vorstellungskraft

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