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Kultur im Quartal
Die Frankfurter Buchmesse setzt aufs Netz

Frankfurter Buchmesse
Kanada auf der Frankfurter Buchmesse...oder auch nicht. | © Picture Alliance/dpa | Frank Rumpenhorst

Die diesjährige Frankfurter Buchmesse hätte zum Höhepunkt des bisherigen Kulturaustauschs zwischen Kanada und Deutschland werden sollen. Jedes Jahr ist auf der weltweit größten Messe ihrer Art – mehr als siebentausend Aussteller und rund dreihunderttausend Besucher kommen normalerweise binnen fünf Tagen in Frankfurt zusammen – ein anderes Land Ehrengast gewesen und hat in dieser Rolle seine Literatur präsentiert.

Von Andreas Platthaus

Seit 1976 gibt es diese Tradition, und nun endlich sollte Kanada Gastland sein – immerhin noch vor den Vereinigten Staaten oder Großbritannien, denn als einzige englischsprachige Länder kamen bislang Irland und Neuseeland zum Zuge; mit Abstrichen könnte man noch Indien nennen, das bereits 1986 mit mehreren Sprachen, darunter auch Englisch, aufgetrumpft hatte. Mehrsprachigkeit hat aber auch Kanada zu bieten, und die Vorfreude auf dessen französischsprachige Literatur war in Frankfurt nicht geringer als die auf die englischsprachige. Mit Frankreich als Gastland hatte man 2017 sehr gute Erfahrungen gemacht.

Ein beeindruckendes Zeichen der Solidarität

Nun jedoch hat die Corona-Pandemie die schönen kanadischen Pläne durchkreuzt – und auch die der ganzen Messe. Zunächst sollte die Frankfurter Buchmesse im Oktober noch stattfinden, doch als man erkannte, dass sie nur ein Schatten ihrer selbst sein würde – man erwartet bestenfalls ein Viertel der Aussteller, und die Besucher*innenzahl hätte wegen der Hygienemaßnahmen nicht einmal ein Viertel des Vorjahrs erreicht – wurde die Veranstaltung am 8. September abgesagt. Ausländische Verlage wären so gut wie gar nicht vertreten gewesen, und Kanada hätte seinen jahrelang vorbereiteten Präsenzauftritt komplett ausfallen lassen müssen, wenn die Buchmesse bereits nicht im Juni angeboten hätte, im kommenden Jahr das nachzuholen, was diesmal unmöglich sein würde. Dazu hatten auch die bereits feststehenden nächsten Ehrengäste – Spanien, Slowenien und Italien – einer Verschiebung ihrer Auftritte um jeweils ein Jahr zugestimmt. Das war ein beeindruckendes Zeichen der Solidarität mit Kanada, denn auch die Vorbereitungen dieser Staaten auf ihre Frankfurter Präsentationen hatten längst begonnen. Ein Multimillionen-Dollar-Programm, wie bei den Gastländern mittlerweile üblich, ist eine organisatorische Herausforderung.
 
Fast hundert Autor*innen wollte Kanada nach Frankfurt schicken, und als klar wurde, dass man das pandemiebedingt nicht wagen konnte, war zunächst über eine Verlagerung all der geplanten Lesungen ins Internet spekuliert worden. Doch die Erfahrungen mit Streaming und Video-Podcasts während der letzten Monate haben eine Ermüdung des Publikums erkennen lassen, und die Unmittelbarkeit einer Live-Lesung kann kein noch so einfallsreicher Auftritt vor der Kamera ersetzen. Deshalb war sowohl bei der Buchmesse als auch beim kanadischen Organisationskomitee die Erleichterung darüber groß, dass man im Oktober 2021 noch einmal eine Chance bekommen wird. Dass dann die Pandemie überwunden sein wird, kann man im Moment allerdings nur hoffen. Auch die Vorbereitung des nächstjährigen Gastland-Auftritts wird ein Vabanque-Spiel bleiben.
  • Buchmesse Frankfurt © Frankfurter Buchmesse
    Messegelände der Frankfurter Buchmesse mit den Hallen 3, 4, 6
  • Eröffnungspressekonferenz der Buchmesse im Jahre 2019 © Frankfurter Buchmesse, Claus Setzer
    Die Eröffnungspressekonferenz der Buchmesse im Jahre 2019
  • Autorin Erika Fatland als Vertreterin des Gastlandes bei der Eröffnungsfeier der Frankfurter Buchmesse 2019 © Frankfurter Buchmesse, Marc Jacquemin
    Die norwegische Autorin Erika Fatland als Vertreterin des Gastlandes bei der Eröffnungsfeier der Frankfurter Buchmesse 2019
  • Comic-Zentrum in Halle 3.0 der Frankfurter Buchmesse © Frankfurter Buchmesse, Nurettin Çiçek
    Das Comic-Zentrum in Halle 3.0 ist immer einer der stärksten Anziehungspunkte während der Publikumstage der Frankfurter Buchmesse. Hier: am besucherstärksten Messe-Tag in der inzwischen mehr als siebzigjährigen Geschichte der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2008.
  • Frankfurter Buchmesse © Frankfurter Buchmesse, Alexander Heimann
    Fachbesucher*innen in den Gängen der Frankfurter Buchmesse

Es hängt allerdings noch weit mehr an der unmittelbaren Präsenz Kanadas in Frankfurt als nur das Vergnügen, all die angereisten Autoren hören zu können. Wie jedes Jahr haben deutsche Verlage zahlreiche aus dem aktuellen Gastland stammende Bücher übersetzen lassen, weil solche Projekte finanziell unterstützt werden. Entsprechende deutsche und kanadische Fördermittel waren im Vorfeld reichlich bewilligt worden, zumal Literatur englisch- und französischsprachiger Herkunft in Deutschland sehr beliebt ist. Nun sind die Bücher da, aber es fehlt in diesem Herbst der publikumswirksame Gastland-Auftritt, der sonst zuverlässig dafür gesorgt hatte, dass die dafür vereinbarten Übersetzungen in den deutschen Medien vielbeachtet wurden. In den letzten Monaten sind mehr als hundert Neuerscheinungen mit kanadischer Literatur in den deutschen Handel gelangt, und bis Oktober werden es noch einmal zusätzlich so viele werden. Für die Verleger all dieser Bücher ist es elementar wichtig, dass im kommenden Jahr doch noch ein klassischer Gastland-Auftritt folgen soll.

Allerdings hatte mit dieser Verschiebung auf 2021 die ohnehin amputierte diesjährige Buchmesse auch noch ihr Herz verloren. Was zahlende Besucher*innen überhaupt noch in die Hallen hätte locken sollen, wenn dort viel weniger Aussteller und auch nicht die üblichen Lesungen und Begegnungen mit Autor*innen an den Verlagsständen geboten worden wären, war ein Rätsel. Entsprechend war die komplette Absage der Messe nur konsequent. Als einziges Überbleibsel der diesjährigen Pläne wird nun in der zum Messegelände gehörenden Frankfurter Festhalle, einem riesigen historischen Kuppelbau, in dem normalerweise bei Konzerten bis zu dreizehntausend Zuhörer*innen Platz finden, ein Lesungstag veranstaltet, doch dabei dürfen nicht mehr als ein paar hundert Gäste in die Halle. Weitere Veranstaltungen werden über die Stadt Frankfurt verstreut stattfinden, doch weniger zahlreich sein als üblich, weil die ausländischen Autor*innen fehlen. Vom gewohnten internationalen Flair der Buchmesse wird in diesem Jahr nichts zu merken sein.

Die meisten deutschen Autor*innen leben eben in Berlin

Und damit nicht genug. Die prominenteste Autor*innenbühne, das sogenannte „Blaue Sofa“, auf dem während der Messetage pausenlos Gespräche mit Schriftsteller*innen stattfinden, wird in diesem Jahr in Berlin aufgestellt, weil man nicht einmal den inländischen Gästen die Reise nach Frankfurt zumuten mochte – und die meisten deutschen Autor*innen leben eben in Berlin.

So droht der Frankfurter Buchmesse trotz ihrem Mut nun ein Debakel. Manche Aussteller und Literaturfreund*innen werden sehen, dass ein Besuch auf dem Messegelände gar nicht notwendig ist, um die gewohnten Geschäfte abzuwickeln oder Lesungen zu lauschen. Schon hat der Direktor der Buchmesse, Jürgen Boos, angekündigt, dass man nie mehr zum alten Stil der Veranstaltung zurückkehren könne. Kanada muss gewärtig sein, dass sein um ein Jahr verschobener Gastland-Auftritt nicht nur durch die möglicherweise immer noch anhaltende Pandemie gefährdet sein wird, sondern auch durch einen Bedeutungsverlust der Frankfurter Buchmesse.

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