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Gezeichnetes Bild, 2 Personen sitzen nebeneinander, zwischen ihnen ein Radio, aus dem Geräusche kommen Illustration: Tobias Schrank © Goethe-Institut

Editorial
Was ist einfacher als das?

Wie das Projekt „Zeit zuzuhören“ entstand – und wie es weiter wirkt


Herta Müller, T.C. Boyle, Ken Follett, Sofi Oksanen und viele weitere AutorInnen aus der ganzen Welt – vereint in einem Erzählprojekt. Kurator Thomas Böhm erzählt, wie die Sammlung von Geschichtenvideos zusammengetragen wurde.
 
Das Projekt „Zeit zuzuhören“ ist entstanden in den Anfangstagen der Corona-Epidemie. Epidemien, Unsicherheit und Angst gehören für viele Menschen auf der Welt zum Alltag aber nie zuvor gab es eine solche globale Zeitgleichheit einer Seuche, die das Zusammenleben herausfordert. Eine unbekannte Situation, deren Entwicklung so nicht vorhersehbar war. Eine Situation, die Angst erzeugt.
 
Bei der Suche nach etwas, das sich dieser Angst entgegensetzen lässt, fand sich ein Modell. Das des „Decamerone“: dem Schrecken des Leidens und Sterbens die Kraft des Erzählens und die Lebendigkeit der Geschichten entgegenzustellen. Dass auch andere Projekte, Artikelserien sich das Decamerone zum Vorbild nahmen, dass das Buch oft zitiert, viel gelesen wurde in den letzten Wochen, zeigt, wie aktuell und zugleich zeitlos Boccaccios Modell ist. Und letztlich auch: Wie inspirierend einfach.
 
Denn was ist einfacher als das? Ein Mensch erzählt eine Geschichte. Noch dazu in der „einfachsten“ Umgebung: zuhause. Mit den einfachsten neuen Mitteln: der Kamera im Handy. Aber alle, die zuschauen wissen: Nichts daran ist in diesem Moment einfach. Wir müssen zuhause bleiben, die Technik - ausgerechnet die „kalte“ Technik - ist das Mittel, mit dem wir unsere Gefühle ausdrücken können.
 
Doch all diese Gedanken – an den Raum, an die Menschen, die uns als Erzählende gegenübertreten, an die Situation – all das verfliegt, sobald die Geschichte anfängt. Sobald wir in ihr aufgehen, unsere Phantasie mit ihrer Realität verschmilzt.
 
Was das für Realitäten sind! Und was wir alles in diesem Projekt an Äußerlichkeiten vergessen können. Viele Autorinnen und Autoren, die uns in den Videos entgegentreten, sind uns unbekannt. Die Orte, an denen sie sich befinden und erzählen, haben wir nie bereist. Die Kulturen, in denen sie leben, kennen wir nicht. Aber ihre Geschichten verbinden uns. Weil sie von etwas handeln, das wir kennen: Gefühle, Erfahrungen, Hoffnungen. Oder etwas, das uns fremd ist, uns neugierig macht. Unseren Horizont erweitert.
Uns berührt… vielleicht.
Vielleicht auch nicht.
Vielleicht noch nicht.
 
Die Erzählerinnen und Erzähler in aller Welt zu finden, die bekannten wie die unbekannten, war – das ist Einzigartige an diesem Projekt: ebenfalls ganz einfach. Es bedurfte nur ein paar Menschen, die ein paar Mails schrieben. Es konnte aber nur so einfach sein, weil diese Menschen vorher schon die Geschichten der Welt kennenlernen wollten; als Teil einer Institution, eines Netzwerkes: des Goethe-Instituts.
So entstand dieses weltumspannende Gemeinschaftswerk. Das bleiben und weiter wachsen wird. Denn die letzten Monate haben uns auch erfahren lassen, dass wir eine Weltgemeinschaft sind. Wir haben das längst „gewusst“, wir haben um die Notwendigkeit gewusst, als Weltgemeinschaft handeln zu müssen. Aber wir haben nichts getan. Vielleicht auch, weil wir uns zu fremd sind. Weil wir die anderen nicht kennen.
In diesem Projekt können wir andere kennenlernen – auf dem einfachsten Weg.
Der Titel ist Einladung und in die Zukunft weisende Aufforderung zugleich: Es ist „Zeit zuzuhören“.
 
Thomas Böhm

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Thomas Böhm und Wiebke Porombka © Thomas Böhm und Wiebke Porombka

Thomas Böhm und Wiebke Porombka, Berlin
Wenn es ein Erzählen gibt, gibt es auch ein Danach.

Für die zweite Phase des Digital-Projekts „Zeit zuzuhören“ rekapituliert der Kurator Thomas Böhm zusammen mit Wiebke Porombka, was bisher geschah, und gibt einen Ausblick auf die kommenden Schwerpunkte.

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