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Ausgesprochen ... integriert
Was hinter Akzenten und Sprachmustern steckt

Eine Karte veranschaulicht die verschiedenen Dialekte, die es in unterschiedlichen Regionen Baden-Württembergs gibt.
Wie viele Dialekte es selbst innerhalb eines Bundeslands gibt, zeigt diese Karte von Baden-Württemberg. | Foto (Detail): Christoph Schmidt © picture alliance / dpa

Was sagt unsere Art zu sprechen darüber aus, wer wir sind und wie beeinflusst sie unsere Wahrnehmung anderer? Dominic Otiang’a diskutiert diese Frage anhand von Beispielen aus Deutschland.

Von Dominic Otiang’a

Es gab Zeiten, in denen der Wunsch, akzentfrei Deutsch zu sprechen, so stark war, dass ein Kommentar wie „Sind Sie hier geboren?“ heiß begehrt war und ein breites Lächeln auslöste. Dann lernte ich einen nigerianischen Nachbarn kennen, dessen Akzent ich als „rebellisch“ bezeichnete, weil dieser auch nach 20 Jahren in Deutschland noch „gut erhalten“ war, wie er selbst mit einem guten Schuss Igbo erklärte. „Sei du selbst, mein Bruder“, pflegte er zu sagen. Er scherzte gern, dass alle, die ein Problem mit seinem Akzent hatten, „einen Kaktus umarmen gehen könnten“, was eine höfliche Version von „sich zum Teufel scheren“ ist. Aber etwas in mir war der Meinung, dass ich, egal ob ich Chinesisch, Zulu, Schwedisch oder Igbo sprach, danach streben sollte, wie ein Muttersprachler zu sprechen.

Wo wurde er geboren, in Schottland?

Als ich vor ein paar Jahren mit einem Verwandten einen regionalen Fernsehsender schaute, stieß ich auf ein Kulturfestival, bei dem ein Mann in einer Art und Weise, die ich für einen interessanten ausländischen Akzent hielt, zum Publikum sprach. Ich fragte meinen Verwandten, wer diese anscheinend prominente Persönlichkeit war.

„Das ist der bayerische Ministerpräsident“, antwortete er und mir wurde dieses Land noch sympathischer. Erst am Tag zu vor hatte ich von Roberto Blanco gehört, einer prominenten Persönlichkeit mit Migrationshintergrund. Und nun dachte ich, ich hätte entdeckt, dass ein deutsches Bundesland einen Mann mit ausländischer Herkunft an die Spitze gewählt hatte, was mich zum Lächeln brachte.

„Wo wurde er geboren, in Schottland?“, fragte ich.

„Edmund Stoiber ist Deutscher. Das ist der bayerische Akzent, ein Dialekt“, antwortete er, nachdem er sich von seinem ausgedehnten Lachanfall erholt hatte.

Nun, so hatte ich mir die Entdeckung nicht vorgestellt, dass es – nur eine Stunde von uns hier in Baden‑Württemberg entfernt – einen komplett anderen Dialekt und Akzent gab, den ich im bundesweiten Fernsehen nicht oft zu hören bekam. Dies änderte meine Ansichten über den „muttersprachlichen Akzent“ bis zu einem gewissen Grad. Ich fand, dass mein nigerianischer Nachbar Ikenna doch gar nicht so Unrecht gehabt hatte: Wenn es einen bayerischen, einen schwäbischen und einen Berliner Akzent gibt, kann es dann nicht auch Raum für andere Akzente geben, sagen wir einen nigerianisch‑deutschen? 

In ihrem Buch Vita activa oder Vom tätigen Leben, das sich unter anderem damit beschäftigt, dass wir uns anderen gegenüber offenbaren, indem wir uns auf abstrakte subjektive Erfahrungen statt auf grundlegende Wahrheiten konzentrieren, argumentiert Hannah Arendt: „Handelnd und sprechend offenbaren die Menschen jeweils, wer sie sind, zeigen aktiv die personale Einzigartigkeit ihres Wesens, treten gleichsam auf die Bühne der Welt, auf der sie vorher so nicht sichtbar waren, solange nämlich, als ohne ihr eigenes Zutun nur die einmalige Gestalt ihres Körpers und der nicht weniger einmalige Klang der Stimme in Erscheinung traten.“

Deutsch mit Zulu‑Akzent

Für mich passte dieses Argument perfekt zu den Ansichten meines nigerianischen Nachbarn. Ich begann ihm zuzustimmen, dass ein Akzent an sich eine Form von Identität ist, aber auch die Geschichte der jeweiligen Person erzählt. Ich meine, wenn ein gebürtiger Deutscher, der mitten im Schwarzwald lebt, Deutsch mit Zulu‑Akzent spricht, dann muss da eine Geschichte dahinterstecken.

In einem Gespräch mit Peter Robinson in der Fernsehsendung Uncommon Knowledge wies Thomas Sowell die Idee zurück, dass bestimmte Sprachmuster in der afroamerikanischen Community (wie etwa „aks“ statt „ask“ zu sagen) ihre Wurzeln in unterschiedlichen Regionen Afrikas hätten. Er nannte die ganze Idee „so falsch wie eine Drei‑Dollar‑Note“. Nun, wenn man in Ostafrika Englisch spricht und „aks“ statt „ask“ sagt, wird angenommen, dass man Westafrikaner*in ist oder seine Wurzeln dort hat. Thomas Sowell lag hier also falsch. Unsere Akzente und Sprachmuster sind wie eine Nabelschnur, die uns mit unseren Wurzeln verbindet. 

Es ist in unser aller Interesse, wenn jede*r in Gegenwart von anderen man selbst ist, denn was könnte ich sonst von dir lernen, wenn du zu mir nach Hause kommst und redest wie ich, kochst wie ich, singst wie ich und dieselben Ansichten hast wie ich? Du benimmst dich im Prinzip wie ich und verwehrst mir damit die Chance, mehr über deine Weltsicht zu erfahren: eine Weltsicht, die – wenn du dich authentischer verhalten würdest – vielleicht mit der meinen in Konflikt stünde und uns ermöglicht hätte, voneinander zu lernen. Wie schon der verstorbene Schriftsteller Chinua Achebe in seinem Buch Termitenhügel in der Savanne sagte:

„Was auch immer du bist, ist nie genug; du musst einen Weg finden, etwas, auch wenn es noch so klein ist, vom anderen zu akzeptieren, um dich ganz zu machen.“
 

„Ausgesprochen …“

In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Dominic Otiang’a, Aya Jaff, Maximilian Buddenbohm und Margarita Tsomou. Dominic Otiang’a schreibt über sein Leben in Deutschland: Was fällt ihm auf, was ist fremd, wo ergaben sich interessante Einsichten?

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