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Das ist Demokratie - langweilig wird sie nie

Andreas Dorau. Nicht vom Jupiter, dafür mit Blume.
Andreas Dorau. Nicht vom Jupiter, dafür mit Blume. | © Sönke Held

Manchmal kommt Liedern eine völlig andere Bedeutung zu, als eigentlich geplant. Andreas Dorau ging es mit seinem Song Demokratie so: Erdacht als lustiges Popstück, wird der Song bis heute gespielt, wenn es darum geht, demokratische Werte hochzuhalten. 

Von Linus Volkmann

Ein Frühlingstag im Jahre 2017, vor dem Brandenburger Tor ist eine eindrucksvolle Bühne aufgebaut. Hier findet heute ein Solidaritätskonzert statt, das auf die Lage der Pressefreiheit in der Welt aufmerksam machen will. Denn freie Presse ist keine Selbstverständlichkeit, nirgendwo, selbst in europäischen Staaten nicht. Davon erzählen auch die Plakate auf der Bühne und in der Besuchermenge, viele zeigen das Konterfei des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel. Er ist für seine kritische Berichterstattung zu jener Zeit in einem türkischen Hochsicherheitsgefängnis nahe Istanbul inhaftiert.

Bei der Protestkundgebung in Berlin tritt eine Größe des deutschsprachigen Electro-Pops auf: Andreas Dorau. Er spielt zu dem Anlass ein altes Stück, das noch aus der Zeit deutscher Zweistaatlichkeit stammt und auf das Jahr 1988 datiert ist. Der Titel lautet: Demokratie. Was auf den ersten Blick wirken mag wie der Aufritt eines gesellschaftlich engagierten Musikers, ausgestattet mit angemessen engagiertem Liedgut, ist in Wahrheit allerdings weit ungewöhnlicher. Andreas Dorau gibt zu Protokoll, seine Kunst vor dieser Veranstaltung noch nie unter aktivistischer Klammer performt zu haben – und wenn man genau hinhört, klingt das Stück Demokratie auch überhaupt nicht nach agitationstauglicher Demo-Folklore. Es wirkt viel eher verstörend uneindeutig.


Um Andreas Dorau und den Song Demokratie besser erfassen zu können, hilft eine Reise zurück in die 1980er-Jahre. 1981 ist Dorau nicht nur 16 Jahre alt, sondern vor allem von einem Augenblick zum nächsten ein Popstar geworden. Während einer Schulprojektwoche komponierte er Fred vom Jupiter, eine Mischung aus Kinderlied und Disco-Hit. Als der Pop-Zeitgeist jener Tage dieses Songs habhaft wird, gibt es kein Halten mehr.

Neben Acts wie Nena, Spider Murphy Gang, Fehlfarben oder Trio wird auch Andreas Dorau Anfang der Achtzigerjahre ein Gesicht der NDW, also des Pop-Phänomens der „Neuen Deutschen Welle“. Es ist eine Phase des Aufbruchs, Hurra-Stimmung weht durch die deutsche Musikindustrie. Vor der NDW hatte Deutschland nicht gerade den Ruf, eine Pop-Nation zu sein – im Gegenteil. Interessante, aufregende Musik sang englisch und kam idealerweise aus Amerika oder England. Deutsche Texte waren dem Schlager vorbehalten: Heino, Freddy Quinn, Alexandra oder Heintje waren die Interpret*innen – und man konnte ihnen viel nachsagen, aber irgendwie cool oder modern zu sein, gehörte ganz sicher nicht dazu. Die NDW ändert das schlagartig, Andreas Dorau mittendrin. Doch zur Geschichte dieser Welle gehört auch, dass sie fast ebenso abrupt verebbt, wie sie hochgeschäumt ist. Was viele Acts bedauern, die bis heute noch ihre alten Hits auf Stadtfesten reanimieren, kommt Andreas Dorau damals gerade recht.

Den Hamburger faszinieren die avantgardistischen Strömungen der NDW, Acts wie Der Plan, Die Geisterfahrer, Die Radierer. In die Charts jener Tage allerdings spült es andere, kommerzielle Acts – oft ehemalige Rockcombos, die auf alberne deutsche Texte umsatteln. Der Hype versiegt und Andreas Dorau passt es gut, nicht mehr den Fred vom Jupiter geben zu müssen, er schreibt sich an der Universität München für das Fach Film ein.

Demokratie, Herr Bundeskanzler,
ist Herrschaft auf Zeit!

Es dauert, bis bei Andreas Dorau die Begeisterung fürs Musikmachen wieder aufflammt. Dem 1988er-Album Demokratie mit dem gleichnamigen Titelstück geht eine lange Findungsphase voraus. Dorau selbst spricht von einer „Zangengeburt“.

Mit dem Thema Demokratie wird er die Musikwelt dieser Zeit überraschen. Demokratie steht in jenen Jahren nicht gerade im Verdacht, ein Pop-Thema zu sein. 1987 kommt es zur ersten Wiederwahl von Bundeskanzler Helmut Kohl, weitere werden folgen. Die SPD, die mit dem späteren Bundespräsidenten Johannes Rau antritt, ist chancenlos. Demokratie scheint in der Gestalt des Pfälzers Kohl eher bräsig denn faszinierend, ist aber im Westen komplett alternativlos. „Kohl hielt ich zwar für einen Idioten, aber machte mir keine Hoffnung, mit meiner Stimme gegen seine Wahl etwas auszurichten. Da war ich Pragmat,“ erinnert sich Andreas Dorau an seine ersten Begegnungen mit einem der Kernstücke der Demokratie: dem Wahlrecht.

Dass Andreas Dorau die Demokratie in seiner Musik aufgreift, ja, sich sogar mit Pfeife und Prinz-Heinrich-Mütze auf dem Cover der Single im Helmut-Schmidt-Reenactment übt, geht auf die Mutter des Sängers Holger Hillers von der Band Palais Schaumburg zurück. Dorau schätzt ihre Gedichte und darf sich für seine Songs bedienen. Er pickt jenes über die Demokratie heraus, wiederholt ein paar Zeilen, um einen Refrain zu haben, und ergänzt das Stück um die monolithischen Stimm-Samples von Politikern. Dafür nutzt er eine damals erstandene Doppel-LP voller Polit-Sprüche.

Bleib im Garten Eden
und hör dir an die Reden

Heute resümiert er: „Ich habe den Titel nie als politisch gesehen, dafür ist er zu läppisch. Für mich spricht der Titel mehr über Menschen und ihr Zusammenleben – nicht über Tagespolitik. Der Song sieht Demokratie in einem größeren und nicht diesem politischen Sinne.“

Vermutlich liegt es genau daran, dass dieses spielerisch anmutende Stück seine Zeit so nachhaltig überdauert hat. 1988, im Erscheinungsjahr, werden allerdings andere Songs zu Hits. Den Toten Hosen beispielsweise gelingt mit ihrer Platte Ein kleines bisschen Horrorshow der Durchbruch. Zwar scheinen Doraus Zeilen „Demokratie hat viele Gesichter / ... / dann wieder schlägt sie zu“ mit „Jedem Querkopf ein Gummigeschoss“ (aus 1000 gute Gründe von den Toten Hosen) zu korrespondieren, doch ästhetisch wie inhaltlich könnten die Acts nicht unterschiedlicher sein. Dorau schwebt verschmitzt über einem gesellschaftlichen Diskurs, in den die Band um Campino markig einzugreifen gedenkt. Die letzten Erfolgsaussichten am Markt nimmt dem Song dann – der Legende nach – sein kongeniales Video mit hineinmontierten Politiker-Cameos.

In der Redaktionskonferenz der damals tonangebenden Pop-Sendung Formel Eins hat der Clip ein gutes Standing. Bis ein Entscheider dann doch die Reißleine zieht. Dorau erinnert sich, dass jener glaubte, in dem Video den ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß beim Ausführen des sogenannten „Hitler-Grußes“ auszumachen. Dass es sich hierbei um einen Irrtum handelt, kann heute jeder auf YouTube nachprüfen – für die Formel Eins-Konferenz aber ist der Clip damit vom Tisch. Andreas Dorau lächelt milde: „Damit waren alle Hitchancen dahin.“

Das ist Demokratie
langweilig wird sie nie

Im kollektiven Gedächtnis hat das Stück dennoch überdauert, genauso wie im Repertoire des Künstlers. Auch wenn er es selten zur Aufführung bringt, verschwunden ist es nie. Und wie jedem wirklich bedeutenden Song gelingt es dem Stück, immer wieder Aussagen über das jeweilige Jetzt zu treffen.

So wirkt die smarte Pop-Miniatur, als sie 2017 für Deniz Yücel und andere Opfer totalitärer Regierungen erklingt, plötzlich gar nicht mehr so harmlos oder gar ironisch. Demokratie erzählt hier nun viel eher davon, welch Privileg es darstellt und welche Kraft es besitzt, über das Thema Volksherrschaft schmunzeln zu dürfen. Diese Selbstverständlichkeit zu bewahren oder gar zu verteidigen, schwingt in diesem Moment am Brandenburger Tor mit dem Song mit. Der Journalist Deniz Yücel verblieb über ein Jahr ohne Anklageschrift in Haft und kam erst im Frühjahr darauf frei. 
 

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