Lernkulturen
Vorbereitung auf ein Studium in Deutschland

Von der Vielfalt profitieren
Von der Vielfalt profitieren | © Nejron Photo

Nur sechs von zehn ausländischen Studierenden gehen mit einem Abschluss von einer deutschen Hochschule. Schwierig ist für viele der Umgang mit verschiedenen Lernkulturen. Wie können sie sich besser auf das Studium in Deutschland vorbereiten?

Was unterscheidet ein Seminar von einer Übung? Was zeichnet eine gute wissenschaftliche Argumentation aus? Was gilt es, beim Zitieren und beim Erstellen einer Bibliografie zu beachten? – Wer an eine deutsche Hochschule kommt, muss zunächst die grundlegenden Fertigkeiten des wissenschaftlichen Arbeitens erlernen. Das gilt für deutsche wie für ausländische Studienanfänger gleichermaßen. Doch letztere bringen aus ihren Heimatländern häufig bereits eine Vorstellung von gutem wissenschaftlichen Arbeiten mit, die sich nicht immer mit der ihrer deutschen Dozenten deckt.

Was ist gute Wissenschaft?

„Der Begriff ‚science‘ verdankt sich dem indogermanischen Wortstamm ‚skei-‘, der auf ‚Trennung‘ verweist“, erklärt Jürgen Bolten, Professor für Interkulturelle Wirtschaftskommunikation an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Moderne Wissenschaft versucht in unserer Vorstellung also zu differenzieren und Details aufzuzeigen. Dieser Ansatz ist für viele ausländische Studierende nicht nachvollziehbar. Denn in anderen Teilen der Welt steht in Schulen und Hochschulen statt der Analyse das ganzheitliche Denken im Vordergrund.“ Yvonne A. Henze hat an der Georg-August-Universität Göttingen Studierende in interkultureller Kompetenz trainiert. Sie erläutert: „Chinesische Studierende gehen oft davon aus, dass, sobald sie etwas Gelesenes auswendig gelernt haben, diese Ideen oder Gedanken ihr geistiges Eigentum sind und daher ohne Quelle verwendet werden dürfen. Das beruht auf einer anderen Lernkultur, in der reproduzierendes Lernen eine wichtigere Rolle spielt.“

Dazu kommt, dass deutsche Abiturienten interaktive Unterrichtsformen wie Gruppenarbeiten und Rollenspiele aus der Schule kennen. Sie wissen, dass kritisches Nachfragen und eine aktive Beteiligung am Unterricht von ihnen erwartet werden. „Viele ausländische Studierende dagegen empfinden es als respektlos, wenn Studenten ihren Professoren oder Kommilitonen widersprechen“, sagt Henze.

Unterschiede bewusst machen

Die deutschen Hochschulen bemühen sich im Rahmen ihrer Internationalisierungsstrategien um einen bewussteren Umgang mit den unterschiedlichen Lernkulturen: Sie bieten beispielsweise vor Studienbeginn, in der Studieneingangsphase oder studienbegleitend entsprechende Trainings an oder organisieren eine Lernbegleitung und Beratung durch interkulturelle Peer-Tutoren. Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert im Rahmen seines Qualitätspakts Lehre Projekte an Hochschulen, die sich teilweise auf internationale Studierende fokussieren. Und das Nexus-Programm der Hochschulrektorenkonferenz legt einen Schwerpunkt auf die Gestaltung der Studieneingangsphase.

Vorteile haben ausländische Studierende, die schon in ihren Heimatländern früh mit deutschen Lernkulturen in Berührung kommen: Dazu zählen etwa die Absolventen von sogenannten PASCH-Schulen. Hier arbeiten beispielsweise Lehrkräfte, die in Deutschland ausgebildet wurden oder die an Weiterbildungen von den Goethe-Instituten oder der Zentralstelle für Auslandsschulwesen teilnehmen.

Es gibt bereits Bemühungen, eine breitere Gruppe von ausländischen Studierenden schon in ihren Herkunftsländern an den Umgang mit unterschiedlichen Lernkulturen heranzuführen: Das Programm Studienbrücke des Goethe-Instituts etwa soll osteuropäische und zentralasiatische Schüler ab der neunten Klasse sprachlich und interkulturell auf das Studium in Deutschland vorbereiten, wobei die Sensibilisierung für verschiedene Lern- und Wissenschaftskulturen eine wichtige Rolle spielt.

Von der Vielfalt profitieren

Das weltweite Hochschulnetzwerk für interkulturelles Lernen „Intercultural Campus“ schließlich hat 2014 eine Ringvorlesung zu „Academic Styles“ entwickelt, die an über acht Hochschulen in fünf Ländern gehalten und für alle Studierenden online gestellt wurde: „Die Dozenten vertreten verschiedene National- und Fachkulturen. Schon die Art und Weise, wie unterschiedlich sie in das Thema einsteigen, zeigt die Unterschiede der akademischen Kulturen“, erklärt Bolten, der den „Intercultural Campus“ entwickelt hat, um mit Studierenden an grenzübergreifenden Projekten zu arbeiten.

Ziel der verschiedenen Projekte ist es, die Schüler und Studierenden überhaupt dafür zu sensibilisieren, dass es verschiedene Lernkulturen gibt und dass dies eine Bereicherung sein kann. „Dafür muss man auch wissen, warum die Dinge gemacht werden, wie sie gemacht werden: Die Kompetenz zum Querlesen zum Beispiel ist an deutschen Unis wichtig, weil das Literaturpensum sehr hoch ist. Und man muss an der Uni Referate halten, weil man in vielen Berufsfeldern häufig vor größeren Gruppen frei sprechen muss“, erklärt Henze. Im Idealfall versuchen auch die deutschen Dozenten die Lernkulturen ihrer Studierenden zu verstehen und somit ihre eigenen Prinzipien kritisch zu hinterfragen: Sie werden dann möglicherweise sehen, dass interkulturelle Teams, wenn sie gut zusammenarbeiten, bessere Lösungen entwickeln können.
 

Literatur

Gwenn Gundula Hiller: „Internationalität und Grenzlage als Lernressource“. In: Berkenbusch, G./v. Helmolt, K./Jia, W. (Hg.): Interkulturelle Lernsettings: Konzepte – Formate – Verfahren. ibidem-Verlag Stuttgart, Reihe „Kultur -Kommunikation - Kooperation“. S. 109–136. 2013.

Niels Klabunde: Wettlauf um internationale Studierende. 2014.

Dietrich von Queis: Interkulturelle Kompetenz: Praxis-Ratgeber zum Umgang mit internationalen Studierenden. 2009.