Kunst und Werte
Ein Gespräch mit Rick Lowe

Rick Lowe
Rick Lowe | Foto: Courtesy of the John D. & Catherine T. MacArthur Foundation

Das Goethe-Institut engagiert sich für die öffentliche Finanzierung des internationalen Kulturaustauschs und verschafft zu diesem Zweck Stimmen aus seinen Gastländern Gehör, insbesondere von Personen und Organisationen, die einen außerordentlichen Beitrag zu Kunst und Kultur leisten. Rick Lowe ist der Gründer von „Project Row Houses“, einer gemeinnützigen Kunstorganisation in Houston, Texas. Er ist aktueller Stipendiat des prestigeträchtigen MacArthur Fellowships. Im Rahmen des von ihm 1995 im „Northern Third Ward“, einem der ältesten Schwarzenvierteln von Houston, gegründeten Project Row Houses organisiert er seither ununterbrochen umfassende Kunst-, Sozial- und Bildungsprogramme, und hat darüber hinaus mit dem „Young Mothers' Residential Program“ ein System zur Unterstützung junger Mütter ins Leben gerufen. Lowe hat das Konzept der sozialen Plastik des deutschen Künstlers Joseph Beuys für Project Row Houses angepasst, um Kunst und Kultur als Mittel für alle zugänglich zu machen, sich aktiv mit der Welt auseinanderzusetzen. In unserem Interview äußert sich Lowe zur Bedeutung öffentlicher Förderung im Bereich Kunst und Kultur.

Herr Lowe, wie können Kunst und Künstler angesichts der experimentellen Natur des Konzepts der sozialen Plastik für den öffentlichen Diskurs und die sozialen Herausforderungen von heute relevant sein?

Ich betrachte soziale Plastik als Katalysator, der allgemein der Kreativität in Gemeinden bzw. im sozialen Kontext zuträglich ist. Da Arbeit dieser Art außerhalb des traditionellen wirtschaftlichen Rahmens steht, fällt es oft schwer, sie zu unterstützen. Häufig ist sie in Gemeinden am wichtigsten, in denen es keinerlei Tradition der Unterstützung und der Kulturförderung gibt. Für Künstler wie mich, für Organisationen, die in der Gemeinde arbeiten, ist es daher sehr schwierig, an Unterstützung und öffentliche Gelder zu kommen.

Sind Sie der Ansicht, dass öffentliche Finanzierung im Bereich Kunst und Kultur wichtig ist, um ein größeres und vielfältigeres Publikum zu erreichen? Auf welche Weise hat Project Row Houses von öffentlicher Finanzierung profitiert?

Ich bin der Ansicht, dass wir in den USA nicht einmal ansatzweise das Maß an öffentlicher Förderung haben, das wir benötigen. Ich weiß um die die Bedeutung öffentlicher Finanzierung, da wir Project Row Houses mithilfe der Finanzierung durch das National Endowment for the Arts an den Start bekommen konnten. In Gemeinden wie diesen gibt es nur wenige Ressourcen, woher sollen wir sie also sonst nehmen? Nachdem wir anfangs durch öffentliche Gelder unterstützt wurden, konnten wir später auf private Ressourcen zugreifen. Daher schreibe ich die gesamte Gründung von Project Row Houses dem Zugang zu öffentlichen Geldern zu. Und es gibt Fälle dieser Art im ganzen Land - verschiedene Organisationen und verschiedene Künstlerprojekte, die ohne öffentliche Förderung niemals hätten verwirklicht werden können. Bei näherer Betrachtung gibt es auf Bundesebene nur extrem wenig davon. Es gibt wirklich sehr wenig. In manchen Städten ist die Lage ganz gut, aber in den meisten Staaten gibt es kaum Möglichkeiten.

Sie sitzen im National Council for the Arts, dem Beratungsausschuss des National Endowment for the Arts. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht und was hoffen Sie, zu erreichen?

Wir möchten der neuen Vorsitzenden Jane Chu die Möglichkeit geben, uns darin anzuleiten, wie wir sie in ihrer Arbeit und ihren Vorstellungen unterstützen können. Ich habe viele Erfahrungen in der Projektarbeit vor Ort gesammelt und kenne die Herausforderungen. So gesehen ist es wunderbar, dass wir das National Endowment for the Arts haben. Jeder Dollar, der in die Gemeinde fließt, wird dringend benötigt und wir sind für jeden Pfennig dankbar. Aber es ist schon recht traurig, dass das Maß der Finanzierung so gering ist. Heute liegen wir etwa 30 Mio. Dollar unter dem Spitzenwert Anfang der Neunzigerjahre. Und das war vor 20 Jahren. Was ich mir erhoffe, ist eine Möglichkeit, den Dialog wieder aufzugreifen - den Dialog über Kunst und ihren Wert in unserer Gesellschaft neu aufleben zu lassen, und zu versuchen, das Denken und die Dynamik hinsichtlich ihrer Förderung zu verändern.

Manchmal hat man das Gefühl, dass öffentliche Kunstförderung nur einer kleinen Gruppe von Kunstinteressierten zugute kommt. Wie können wir den öffentlichen Wert der Kunst am besten vermitteln?

Ich glaube nicht, dass seit Anfang der Neunzigerjahre ein legitimer Dialog auf nationaler Ebene über Kunst geführt wurde. Der Dialog Anfang der Neunzigerjahre war genau das, was Sie beschrieben haben - es war der Dialog darüber, dass Kunst angeblich einem winzigen, elitären Teil des Gesellschaft zugute kommt.

Kunst galt nicht nur als elitär, sondern als anstößig. Über die Robert Mapplethorpe Ausstellung in der Corcoran Gallery of Art wurde ein regelrechter Kulturkrieg geführt.

Ja. Es war jedoch eine kleine Gruppe, die diese wichtigen Unterhaltungen führte, die zu mehr Vielfalt in der Kunst beigetragen hat.

Kommen wir zu den Bedenken des Goethe-Instituts, dass ein Freihandelsvertrag wie das Transatlantische Freihandelsabkommen das EU-Mandat zum Schutz und zur Förderung der kulturellen Vielfalt im Rahmen der UNESCO-Konvention aus dem Jahr 2005 aushöhlen könnte, indem er die Möglichkeit begrenzt, Kulturgüter und -dienste unter wirtschaftlichem Druck öffentlich zu finanzieren.

Es ist gut, dass es Kräfte gibt, die sich für Kultur und öffentliche Kulturförderung stark machen. Obwohl es hervorragende Projekte gibt, die Kunst in die Gemeinden bringen und eng mit diesen zusammenarbeiten - mit breiten, äußerst vielfältigen Gemeinden, wie wir das zuvor noch nie erlebt haben - könnte damit ein Stein ins Rollen gebracht werden und sich die Überzeugung verbreiten, dass öffentliche Kulturförderung überflüssig ist. Wenn tolle Dinge in unseren Gemeinden gemacht werden und das über den Markt abläuft, warum sollte man das nicht einfach dem Markt überlassen? Tatsache ist, dass das getan wird und wir einige Erfolge verzeichnen. Allerdings geschieht das auf eine Art und Weise, die nicht nachhaltig ist. Sie ist nicht nachhaltig und nicht skalierbar.

Und dann wäre da noch die Frage der Rechenschaft, die ebenfalls für die Kunst wichtig ist. Mit öffentlichen Finanzmitteln ist auch eine öffentliche Rechenschaftspflicht verbunden.

Ja. Wenn uns etwas wirklich wichtig ist, müssen wir uns überlegen, wie wir es mit einer breitangelegten Vision dessen unterstützen können, was wir uns davon erhoffen, welchen Wert wir daraus schöpfen können und wie wir es unterhalten können. Das Umdenken in Bezug auf unsere Haltung zur Kultur und das, was wir uns davon erhoffen, wird eine entscheidende Rolle spielen.

Es ist wichtig, experimentelle Projekte verfolgen zu können. Man hat das Gefühl, als käme der finanzielle Druck in immer kürzer werdenden Zyklen und als gäbe es immer mehr kritische Begutachtung. Wie Sie sagten gibt es Künstler und Projekte, die für kurze Zeit sehr erfolgreich sind. Doch wie viel Raum und Zeit bleibt dann für das Experimentieren und für längerfristiges Engagement?

Eine der aktuellen Herausforderungen wurde durch den Ansatz geschaffen, den viele als „creative place-making“, also kreative Platzgestaltung bezeichnen. Das ist auch die Weise, in der sich viele Künste sich im Rahmen des Gemeindeaufbaus und des Umgangs mit Fragen der Identität positionieren. Die Herausforderung bei der kreativen Platzgestaltung liegt jedoch in den verfügbaren Ressourcen, da die verfügbare Finanzierung meist auf irgendeine Weise mit privater Entwicklung verknüpft ist. Auf gewisse Weise schränkt das die Art des Experimentierens und der Erkundung im Werk von Künstlern und Kunstgruppen tendenziell ein. Sie sehen Dinge vielleicht etwas anders, was möglicherweise nicht den Wert einer künftigen Entwicklung wiederspiegelt, aber entscheidend für den Kontext einer bestehenden Bevölkerung sein könnte. Es geht also um diese Art von Freiheit, sowohl direkt innerhalb der Struktur sich verändernder und in Entwicklung befindlicher Gemeinden zu arbeiten, aber auch die Grenzen auszutesten, um Dinge voranzutreiben, die vielleicht nicht exakt in das Status-Quo-Denken passen, sondern auch alternative Lebensformen fördern.

Danke, Rick.

Die Fragen stellte Kirsten Weiss.