Interview
Deutschlands Marke

Thomas Zielke, Jake Jones, Charles Lane
Thomas Zielke ©RGIT/Jake Jones ©Daimler North America/Charles Lane ©The Washington Post

Das „deutsche“ Image befindet sich in den USA seit einigen Jahren in einer Hochphase. Dies ist vor allem auf den Erfolg der deutschen Industrie und dem Handel zurückzuführen. Wie belastbar ist die deutsche Marke und wie kann das Vertrauen wieder hergestellt werden, wenn es wie jüngst durch den VW-Skandal in Mitleidenschaft gezogen wurde?

Die englischsprachige Diskussionsreihe How’s It Going, Germany? des Goethe-Instituts Washington bietet eine Plattform für Perspektiven und Einblicke führender Persönlichkeiten aus der deutschen Wirtschaft, Kultur und Politik sowie den deutschen Medien. Moderiert werden diese zwanglosen Diskussionsrunden von dem bekannten Leitartikler der Washington Post, Charles Lane, der auch Mitglied des Council on Foreign Relations ist. Hier äußern sich seine Gäste zu aktuellen Themen rund um die Frage „Wie geht’s, Deutschland?“

Lange Zeit genoss Deutschland in den USA ein ganz hervorragendes Image. Man verband die „Marke Deutschland“ bis vor Kurzem nicht nur mit Zuverlässigkeit und Haltbarkeit, sondern auch mit technischer Innovation und Umweltschutz. Das galt sowohl für deutsche Produkte als auch für die Glaubwürdigkeit deutscher Unternehmen. Der Fall VW hat sich jedoch zweifelsfrei auf die Marke „Made in Germany“ ausgewirkt. Daher stellten wir zwei Experten aus der deutschen Wirtschaft die Frage: Wofür steht Deutschland als Markenzeichen heute?

Hier einige Auszüge aus dem ernsthaften und dennoch unterhaltsamen Gespräch über Deutschlands Marke, das Charles Lane als Moderator mit Thomas Zielke, dem Delegierten der Deutschen Wirtschaft (RGIT), und Jake Jones, Geschäftsführer bei Daimler North America Inc. führte.

Charles Lane (CL): Wo wir gerade bei den Automobilherstellern sind, möchte ich auf die Angelegenheit mit VW zu sprechen kommen, weil ich das an diesem Punkt für relevant halte.

Jake Jones (JJ): [witzelt] Wie viel Zeit haben wir noch?

CL: Jede Menge natürlich!

Sie verdeutlicht die Anfälligkeit der gesamten Marke Deutschland aufgrund des Verhaltens eines einzigen, sehr prominenten Unternehmens. Wenn wir uns die Ergebnisse einer Umfrage ansehen, die von der deutschen Botschaft in Auftrag gegeben wurde, haben 46% der befragten Amerikaner das Vertrauen in die Marke VW verloren. 30% gaben an, dass sie das Vertrauen in deutsche Autos insgesamt verloren hatten, und bei 36% war kein Vertrauensverlust festzustellen. Das kann man nun so oder so sehen. Allerdings gaben 28% gaben an, dass sie Vertrauen in die Marke „Made in Germany“ verloren hatten, 39% dagegen nicht. Wenn ich Chef eines deutschen Autoherstellers wäre und mir Sorgen um die Marke insgesamt machen würde, fände ich schon 1% ziemlich bedenklich. Aber die Angelegenheit bei VW ist deren Sache und die Klage läuft. Unterhalten wir uns also über die Herausforderung, die das darstellt.

JJ: Ich würde lügen, wenn ich nicht zugeben würde, dass der Ruf der Branche in letzter Zeit gelitten hat. Davon müssen wir uns alle erholen, auch die deutschen Marken. Aktuell beschreibt man diese Angelegenheit gelegentlich als Dieselproblem und nicht als VW-Problem. Daher mussten alle Dieselhersteller darauf reagieren – nicht unbedingt, um zu beweisen, dass diese Technologie brauchbar und relevant ist, aber doch zumindest, um Kunden und Behörden zu beruhigen.

Sicher gibt es einiges an Bedenken bezüglich der Folgen, aber es geht dabei weniger um kurzfristig negative Entwicklungen am Markt als um weitreichendere Auswirkungen. Unser CEO hat es meiner Meinung nach am besten ausgedrückt. Er wurde gefragt, ob er überrascht war, dass es dazu kam. Seine Antwort: „Wir leben in der Automobilbranche in einer so stark reglementierten Welt, dass man sich nicht wundert, wenn jemand die Standards erfüllt – das  erwartet man einfach von allen. Überraschend ist, wenn jemand sie nicht erfüllt.“ Es war für uns alle ein gewisser Schock und eine Überraschung. Persönlich glaube ich nicht, dass dies langfristige Folgen für deutsche Marken oder unsere Branche haben wird. Im Augenblick stellt das natürlich ein besonderes Problem dar, dem wir größte Aufmerksamkeit widmen. US-Handelsministerin Penny Pritzker sagte jedoch kürzlich, dass sie denkt: „Wenn Unternehmen Fehler machen, müssen sie sich dazu bekennen, Verantwortung übernehmen und sich um Wiedergutmachung bemühen. Genau das tut VW.“ Ich fand, das war eine sehr ehrliche, faire und wichtige Aussage seitens der US-Regierung. Unsere Branche muss mit dieser Angelegenheit und anderen fertig werden, ohne dabei den Blick auf die Zukunft zu verlieren. Wie sieht Mobilität im Jahr 2030 oder 2050 aus? Diese Herausforderungen werden am Ende bestimmen, ob wir als Gewinner oder als Verlierer dastehen.

Thomas Zielke (TZ):  Es ist nicht einfach, das zu kommentieren. Keiner von uns kann für VW sprechen. Natürlich hatten wir Kontakt zu VW, und deren Anwälte empfahlen dringend, Stillschweigen zu wahren, bis das Problem behoben ist. Aber wir wissen natürlich, wie es VW in dieser schwierigen Situation gehen muss und wir kennen die Denkweise in unseren Organisationen. Es ist klar, und wir haben das auch wiederholt gesagt, dass die Aussicht auf Geschäfte nicht darauf beruht, dass man gegen Gesetze oder Ethik verstößt. Das ist ganz klar. Wir haben von Anfang an gesagt, dass die Angelegenheit gründlich und schnell behoben werden muss, um den Ruf der Marke und auch den Ruf der Marke „Made in Germany“ wiederherzustellen. Dabei handelt es sich natürlich um keine offizielle Marke. Sie hat sich von selbst von irgendwoher entwickelt. Niemand ist gezwungen, sie zu verwenden, und in manchen Fällen ist sie ganz und gar nicht hilfreich.

Dabei ist jedoch ganz klar, dass dieses Technologieproblem in den USA aufgrund der hohen Umweltschutzstandards, die Sie hier haben, und aufgrund der stringenten Verfahren aufgetreten ist, die einen Verstoß vollkommen unmöglich machen. Dafür wird man zur Rechenschaft gezogen. Mit diesem Argument kann man verdeutlichen, dass die US-Standards ganz und gar nicht so lax sind, wie das einige Leute im Kontext der laufenden TTIP-Verhandlungen behaupten – ein Thema, das besonders von den Deutschen kritisch betrachtet wird. Das Argument könnte man heranziehen, wenn man nicht in einem Industrieverband wäre.

In den USA werden jährlich ca. 12,5 Mio. Autos produziert, in China 21 Millionen und in Deutschland ca. 3 Millionen. In den USA liegt der Marktanteil von Pkw mit Dieselmotoren bei ca. 3%, in Deutschland bei 47%. Man kann sich also vorstellen, wie empört die Menschen dort angesichts dieser Marke sein dürften, von der alle dachten, dass sie das beste Beispiel für eine grundsolide Firma ist, die grundsolide Produkte herstellt. Jetzt hat sie den Verbraucher enttäuscht, und wir müssen uns die Frage stellen: Wo liegt der Schaden? Die Umwelt wurde geschädigt, der Ruf hat gelitten, und man muss sich auf die Erwartungen neu einstellen. Dabei stellt sich heraus, dass es im Spannungsfeld zwischen Umwelt und Technik immer schwieriger wird, die Umweltanforderungen zu erfüllen und sie mit den vorhandenen Erwartungen der Verbraucher in Einklang zu bringen. Viele Verbraucher erwarten einfach einen schnellen, spritzigen Wagen mit geringem Kraftstoffverbrauch und null Schadstoffausstoß. Das ist natürlich nicht machbar. Technisch gesehen könnten Elektroautos das Problem eines Tages lösen. In den USA sind etwa 400.000 der erwähnten 12,5 Millionen Pkw Elektroautos, in China haben wir um die 200.000 Elektroautos, in Deutschland sind es 55.000. Im Augenblick lässt sich das Problem also nicht durch Elektroautos lösen. Und es bleibt die Frage nach der Nachhaltigkeit: Woher kommt der Strom? Welche Art von Batterien werden verwendet? Wir müssen uns über die Erwartungshaltung, das technisch Machbare und die gesetzlichen Rahmenbedingungen unterhalten. Natürlich hat der Verbraucher das Recht, hohe Erwartungen zu haben, doch alles hat seinen Preis. Wenn ein Unternehmen versucht, seiner eigenen Erwartungshaltung auf illegale Weise gerecht zu werden, ist das keine Lösung.

CL: Haben Sie irgend etwas in den Verkaufszahlen oder in Unterhaltungen innerhalb der Branche bzw. auf Verbraucherebene festgestellt, das Rückschlüsse auf breitere Auswirkungen zulässt?

JJ: Wissen Sie, dass solche Unterhaltungen zwischen Unternehmen gegen das Kartellrecht verstoßen würden?

CL: Gut, also …

JJ: Dem US-Markt geht es blendend. In einigen anderen Märkten wie z.B. in Russland, Brasilien und Argentinien haben wir aus verschiedenen Gründen rückläufige Zahlen verzeichnet. Regierungsbehörden in aller Welt haben mehr ermittelt. Aber insgesamt waren die Märkte selbst sehr gut zu uns. Ich weiß nicht, ob sich das in Zukunft ändern wird. Es gibt viele Faktoren, die Märkte beeinflussen könnten, aber es gibt keinen klaren Hinweis darauf, dass dieser hier ein solcher Faktor ist.

CL: Ich hätte angenommen, dass das für Deutschland eine sehr schmerzliche Sache ist. Schließlich geht es um zwei Dinge, auf die Deutschland sehr stolz ist: a) den Umweltschutz b) sein Wesen als Rechtsstaat mit enormer Integrität. Hier haben wir einen Fall von Betrug, der unter der Hand gelaufen ist und zu mehr Umweltverschmutzung geführt hat. Hat sich das in der öffentlichen Reaktion niedergeschlagen? Es ist fast schon ein Kompliment an Deutschland, dass Leute so enttäuscht sind, weil das zeigt, wie hoch die Messlatte der Erwartungen ist.

TZ: Und das Dritte, worauf wir sehr stolz sind, ist, dass wir Fußballweltmeister sind. Aber Sie haben Recht. In einem Rechtsstaat, der auf Gesetz und Verfassung fußt, sollte diese Angelegenheit sehr ernst genommen werden. Aber es zeigt auch, dass das Rechtssystem funktioniert. Das Unternehmen wird für seine Taten zur Rechenschaft gezogen. Das ist auch in den USA der Fall, wo wir ein anderes strafrechtliches System haben. Hier haben wir Sammelklagen, die es in Deutschland nicht gibt, aber natürlich wird man auch in Deutschland bestraft, wenn man gegen das Gesetz verstößt. Ein Unternehmen muss die Folgen tragen, aber in den USA kommt es einen teurer zu stehen. Die Angelegenheit beweist jedoch, dass das System funktioniert, d. h. dass die gesetzlichen Institutionen und die Kontrollmechanismen funktionieren. Das verstärkt die Motivation, in Zukunft das Richtige zu tun. Zumindest hoffe ich das.

Was das „Grünsein“ angeht: Hier stellt sich wieder die Frage danach, wie ein Auto heute beschaffen sein sollte. Das weist in die Zukunft. Manche sagen, dass wir Autos eigentlich gar nicht mehr brauchen, aber das hängt von der jeweiligen Situation ab, in der wir uns befinden. [In den letzten Jahrzehnten] sind die Autos kraftstoffsparender und effizienter geworden als zum Beispiel in den 70er und 80er Jahren. Es gibt also Fortschritt, man bekommt mehr Geschwindigkeit, Effizienz und so weiter. Aber natürlich geht es auch um den tatsächlichen Lifestyle. Wer verhält sich wirklich so grün, dass er kein Auto hat, kein Auto fährt, und nur öffentliche Verkehrsmittel nutzt? Man kann das weiterdenken und nach der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur wie Straßenbahnen und Metro-Systemen fragen. Und wie wird der Strom gewonnen, der sie antreibt? Wenn der Strom aus Kohle gewonnen wird, wäre man vielleicht mit einem Auto mit geringem Kraftstoffverbrauch besser dran – oder mit dem Bus. Es hängt alles von der Art des Systems und dem infrastrukturellen Umfeld ab, in dem man sich befindet und von den eigenen Lebensbedingungen. Wenn wir in die Zukunft blicken, sollten Unternehmen den Innovationsprozess fördern und neue Produkte entwickeln, die den Anforderungen gerecht werden. Dann stehen wir besser da.

CL: Jetzt muss ich doch noch etwas anmerken: Meine deutschen Freunde sind immer alle sehr „grün“. Aber sobald sie in den USA ankommen, wo wir einen Benzinpreis von zwei Dollar haben, kaufen sie sich als erstes einen SUV. Ich ziehe sie ständig damit auf. Eigentlich sollte ich Fotos von den SUVs machen und sie in Deutschland auf Facebook posten, damit es alle sehen können.

TZ: Ich muss zugeben, dass ich auch einen habe.