Nachhaltiges Bauen
Über die Schönheit des Lehms

Hostel in Baoxi, China
Hostel in Baoxi, China | Foto (Ausschnitt): Jenny Ji

Als Diplomprojekt realisierte die Architektin Anna Heringer zusammen mit Eike Roswag die Meti School in Rudrapur, Bangladesh – einen Lehmbau. Dafür wurde sie mit mehreren internationalen Architekturpreisen ausgezeichnet, darunter dem Aga Khan Award for Architecture 2007. Auf der Architekturbiennale in Venedig 2016 errichtete die Spezialistin für nachhaltiges Bauen zusammen mit Martin Rauch und Andres Lepik eine Skulptur aus Lehm. Neben ihrer Tätigkeit als Architektin unterrichtet Anna Heringer als Gastprofessorin Entwerfen, derzeit an der Technischen Universität München.

Frau Heringer, Sie sind bekannt für das Zitat: „Nachhaltigkeit ist für mich ein Synonym für Schönheit“, was genau meinen Sie damit?

Echte Schönheit ist nur dann möglich, wenn auch der Prozess, der ganze Zyklus eines Gebäudes fair, gut, ja, nachhaltig ist. Die Gestaltung, das verwendete Material, Technik und Konstruktion müssen mit der Lage des Gebäudes, seiner Umgebung und den Bedürfnissen seiner Nutzer im Einklang stehen: Das ist es, was für mich den ästhetischen und nachhaltigen Wert ausmacht.

Desi Training Center, Rudrapur, Bangladesh Desi Training Center, Rudrapur, Bangladesh | © Kurt Hoerbst
Können Sie dieses Prinzip am Beispiel eines Ihrer aktuellen Projekte beschreiben?

2016 werden wir drei Hostels in Baoxi fertigstellen, einem Dorf rund 600 Kilometer südlich von Shanghai. Die Hostels bestehen aus Bambus und Stampflehm, fantastische regionale Baumaterialien. Auch gestalterisch beziehe ich mich auf lokale Traditionen, in dem Fall das Korbflechten: Die Hostels sind große skulpturale Objekte. Wir nutzen die Ressourcen und die Potenziale der Menschen in Baoxi, denn für Bambus- und Lehmbau braucht man sehr viele Arbeitskräfte und Handwerker. So entsteht nicht nur ein persönlicher Bezug zu den neuen Gebäuden, auch der wirtschaftliche Profit bleibt vor Ort. Das trägt zur sozialen und wirtschaftlichen Gerechtigkeit bei.

Aufbau Hostel in Baoxi, China, Foto und Ton: Jenny Ji


Architektur aus lokalen Ressourcen entwickeln und damit Bauwerke mit hohem ästhetischem und sozialem Anspruch schaffen: Funktioniert das auch in Industrieländern?

Ja! Bauen mit natürlichen Materialien wie Holz, Bambus, Lehm oder Stein und mit menschlicher Arbeitskraft ist überall möglich. Das bedeutet nicht, dass wir wieder zurück in die Steinzeit müssen. Aus Lehm kann man sehr zeitgemäße, gesunde und schöne Häuser bauen. Das beweisen zum Beispiel das Kräuterzentrum des Bonbonherstellers Ricola von Herzog & de Meuron in der Schweiz, ein Stampflehmbau, oder das Haus Rauch in Vorarlberg in Österreich, ein ausschließlich aus natürlichen Materialien errichtetes Wohngebäude. In Paris gibt es Pläne für ein Hochhaus aus Lehm. Vielleicht wird auch das Gebäude der deutschen Botschaft in Georgien aus Lehm gebaut, das ist in der Diskussion. Modernität ist nicht eine Frage des Materials, sondern der entwerferischen Fähigkeit, auf die Bedürfnisse der Gesellschaft einzugehen.

Warum halten Sie es für wichtig, natürliche Baumaterialien zu verwenden?

Es ist unmöglich, für sieben Milliarden Menschen auf der Welt Häuser aus Stahl und Beton zu bauen. Denn die Ressourcen unseres Planeten sind begrenzt und es gibt keinen Grund, warum ein Mensch in Deutschland mehr davon verbrauchen sollte als beispielsweise einer in Bangladesch. Deshalb sind natürliche Baumaterialien entscheidend für eine nachhaltige Entwicklung. Lehm ist fast überall vorhanden, lässt sich endlos recyceln und war jahrhundertelang weltweit ein gängiger Baustoff. Heute wird er in Industrieländern kaum mehr verwendet. Das sollte sich ändern. Denn Lehmbauten schonen die Ressourcen, sorgen für mehr Vielfalt in der Architektur – und schaffen sinnvolle Arbeit, gerade auch für viele niedrig qualifizierte Menschen, deren Jobs durch die Digitalisierung verloren gegangen sind.

DESI Trainingcenter, Rudrapur, Bangladesh DESI Trainingcenter, Rudrapur, Bangladesh | © Kurt Hoerbst

Was muss geschehen damit mehr gute Architektur aus Lehm entsteht?

Wir brauchen mehr Forschung und Investition in Lehmbau – und innovative Bauherren, die dabei helfen, dieses fast überall vorhandene Baumaterial besser in der zeitgenössischen Architektur zu verankern. Schließlich geht es nicht um Nostalgie, sondern darum, traditionelle Baumaterialien und -techniken mit dem Know-how von heute zu verbinden und weiterzuentwickeln.

Zusammen mit Martin Rauch und Andres Lepik haben Sie für die Architekturbiennale 2016 in Venedig eine Lehmskulptur errichtet. Wie sind die Erfahrungen?

Wir haben dafür 25 Tonnen Lehm aus Venedig verarbeitet, und es ist faszinierend zu erleben, wie die Besucherinnen und Besucher reagieren. „How peaceful“, sagen viele, wenn sie aus der begehbaren Skulptur herauskommen und die Strahlkraft, die Stabilität und die archaische Kraft dieses Materials unmittelbar erfahren haben. Viele Menschen haben heute ja gar keinen Zugang mehr zu Erde, höchstens noch in Form eines Blumentopfs auf dem Fensterbrett. Lehm bewirkt ein sehr gutes und gesundes Raumklima, Lehm reguliert die Luftfeuchtigkeit und wirkt wohltuend auf unsere Psyche.

Lehmbau, Biennale Venedig Lehmbau, Biennale Venedig | Stefano Mori
Ich bin überzeugt, dass mehr Lehmbauten die Lebensqualität in unseren hektischen Städten deutlich erhöhen würden. Meine Erfahrungen mit nachhaltigem Bauen in Bangladesch, China oder Zimbabwe möchte ich gerne auch in Europa einbringen. Man muss im Übrigen auch nicht immer neu bauen. Alte Bausubstanz in meiner Heimat Bayern mit Lehm veredeln: Da kann ich mir viele interessante Projekte vorstellen.
 

Ausstellung „Think Global – Build Social“

Die Ausstellung Think Global, Build Social! – Bauen für eine
bessere Welt
widmet sich der Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung zeitgenössischer Architektur. Konzipiert wurde sie vom Architekturzentrum Wien und dem Deutschen Architekturmuseum. Als Tournee-Ausstellung ist sie an Goethe-Instituten weltweit zu sehen:

2016

  • August bis September: Johannesburg, Santiago
  • Oktober bis Dezember: Ouagadougou, Lima/Montevideo

2017
 
  • Januar bis Februar: Kinshasa, Caracas
  • März bis April: Addis Abeba, Buenos Aires
  • Mai: Amman
  • Juni bis  Juli: St. Petersburg
  • September: Sofia
  • Oktober bis November: Helsinki