Popmusik und Theater
Vermischung kultureller Welten

Das Sun Ra Arkestra bei der Alien Disco der Münchner Kammerspiele
Das Sun Ra Arkestra bei der Alien Disco der Münchner Kammerspiele | Foto ⓒ Jörg Koopmann

Pop im Theatersessel – wie entspannend! Man muss nicht dazu zappeln, sondern kann bequem genießen, was nun nicht mehr kommerziell, sondern hochkulturell erscheint. Ob aber das Theater vom Pop profitiert oder andersherum, ist noch nicht entschieden.

Subventionierte Kultur als Pensionsersatz für alternde Rocker? So jedenfalls könnte man es provokativ fehlinterpretieren, wenn Altpunks à la Schorsch Kamerun von der Hamburger Band Die Goldenen Zitronen beginnen, auf subventionierten Bühnen zu inszenieren. Doch Künstler wie er, wie Knarf Rellöm oder Bernadette La Hengst haben neben ihrem Dasein als Musiker immer schon Theater gespielt. Und bisweilen haben die Künstler sogar in ihrer Rolle als Musiker Theater gespielt, Udo Lindenberg zum Beispiel, der, unterstützt von Schauspielern wie Ben Becker und Meret Becker, mit einer Revue im Münchner Residenztheater gastierte, wo er das Schicksal deutscher Auswanderer musikalisch aufbereitete.

Seine Rockshow wurde zuletzt sogar von dem renommierten Theaterregisseur Peter Zadek inszeniert. Pioniere waren auch die Einstürzenden Neubauten, die für eben jenen Peter Zadek 1987 am Hamburger Schauspielhaus den Soundtrack zum Stück Andi live spielten, in den teuersten, weil vom hauseigenen Schneider maßgearbeiteten „Billig-Klamotten“, die die Band selbst als Outfit vorgeschlagen hatte. Wohlgemerkt: Es ging dabei nicht um Musik-Theater, wie man es seit Monteverdi kannte, sondern um Musik im Theater, um den Import von Klängen und Haltungen, die sonst üblicherweise ihren Platz in Clubs und Konzerthallen hatten.

Anderes Publikum, anderes Flair

Aus den Versuchsballons wurde bald eine inspirierende Zweckgemeinschaft, die auf Gegenseitigkeit beruht. Theater zahlen Musikern die Miete, Musiker bringen anderes Publikum, anderes Flair in die Schauspielhäuser. Im Idealfall gelingt beides: die künstlerische Inspiration durch neue Gesichter, und andere Zugänge zum Metier und die Mobilisierung einer Fangemeinde, die sonst womöglich keinen Fuß ins Foyer gesetzt hätte. Wo den Musikern bereits eigener Ruhm anhaftet, mag das sogar die Aufmerksamkeit auf ein mit ihrer Hilfe inszeniertes Stück heben, etwa wenn Micha Acher, Bassist der Band The Notwist, am Münchner Volkstheater die Musik zu Brechts und Weills Dreigroschenoper arrangiert – wenn auch in dem für dieses Stück geltenden engen Korsett, das den Musikern so gut wie keine Bewegungsfreiheit lässt.

Aufregender ist es für den Fan allerdings, wenn The Notwist sich selbst auf der Bühne eines Theaters spielen. Etwa während der Alien Disco, die im Dezember 2016 in den Münchner Kammerspielen stattfand. Einige sehen in solchen Aktionen den Versuch, ein neues Publikum für das Theater zu rekrutieren. Christoph Gurk, der seit September 2015 als Kurator und Dramaturg für freies Theater und Musik an den Kammerspielen arbeitet, versteht das von The-Notwist-Sänger Markus Acher mit Unterstützung des örtlichen Veranstalters Club Zwei kuratierte Festival aber auch als Kulturangebot, das auf dem freien Markt ohne Förderung durch das Kulturreferat keine Chance hätte. „So eine Produktion wäre für sich allein viel zu teuer geworden“, betonte Gurk am Tag nach dem Festival, „und sie führt sogar das subventionierte Stadttheater an seine Grenzen.“

Zum Schutz werden Ohrenstöpsel verteilt

Es sei außerdem nicht seine Absicht, eine Konkurrenz zu freien Veranstaltern aufzubauen, betont Gurk. Dass etwa die britische Band Tindersticks 2016 in den Kammerspielen konzertierten, lag an den Vorgaben der Tournee, bestuhlte Vortragssäle zu bevorzugen. Nun könnte man selbst die Innenräume von Stadionkonzerten bestuhlen, doch ein Schauspielhausambiente reizt umso mehr, als dass es zunächst so gar nicht zum gewohnten Popkonzert-Ambiente passen will. In den Münchner Kammerspielen funktionierte das im Übrigen auch, als man die Stühle aus dem Zuschauerraum entfernt hatte, bevor dort Die Goldenen Zitronen oder Die Sterne, ebenfalls eine Hamburger Band, auftraten.

Als Bianca Casady, die gemeinsam mit ihrer Schwester das Indie-Pop-Duo CocoRosie bildet, im Jahr 2015 auf der Ruhrtriennale in Bochum ihre Konzert-Performance aufführte, standen die Zuschauer wiederum. Ebenso zwei Jahre zuvor, als Massive Attack mit dem Filmemacher Adam Curtiz die Kraftzentrale in Duisburg bespielten. Popmusik wurde hier übrigens auch jenseits von regulären Schauspielhäusern als Theater begriffen und entsprechend auch von einem ganz anderen Publikum als sonst goutiert. Von einem Theaterpublikum nämlich, das vor der Performance wiederholt vor gesundheitsgefährdender Lautstärke gewarnt wurde. Zum Schutz wurden dabei reichlich Ohrenstöpsel verteilt. Sodann erfuhren die Zuschauer endlich eine Nutzanwendung von Antonin Artauds Theater der Grausamkeit mit allen seinen technischen Möglichkeiten.

Verkunstung gegen Verkrustung?

In Zeiten, in denen der Pop-Diskurs schon lange intellektualisiert ist und Popmusik studiert werden kann – man also durchaus auch von einer Akademisierung des Populären sprechen kann –, ist es auch gar nicht mehr provokant, Pop im Theaterkontext zu denken. Nicht mal die Umkehrung, Theater in Pop zu verwandeln und Romeo und Julia etwa als Punks oder Hip-Hop-Kids auftreten zu lassen, kann heute noch irritieren. Eine Hierarchie wird aber deutlich, wenn man vergleicht, wieviel in den Neubau oder die Instandhaltung von Schauspielhäusern im Vergleich zu Pophallen investiert wird. Für die gibt es kaum Budget – Pop soll sich nach gängiger Meinung selbst finanzieren können. Nicht zuletzt die Struktur der Subventionsmodelle legt daher die Vermischung der kulturellen Welten nahe. Schließlich ist Pop auch nicht mehr die Milchkuh von früher, die munter Profite produziert. 

Klassik und klassiknaher Jazz im Theaterraum hatten bislang ja auch keine Probleme. Neu ist, dass nunmehr zuweilen Popmusik eine öffentliche Förderung erfährt, der bis dato abverlangt wurde, ausschließlich nach den Gesetzen des Marktes zu agieren. Subventionen aber könnten den Pop durch die Hintertür des Institutionellen auf eine Ebene mit der sogenannten Hochkultur stellen. Bob Dylan bekommt den Literaturnobelpreis, Sting singt in der Oper, die Erfahrungskultur der Babyboomer besetzt Plätze, die bislang der hehren Tradition vorbehalten waren. So sie denn im Kontext des Theatralen stattfindet, werden ihr damit Projekte wie die Alien Disco ermöglicht, die auch die gesellschaftliche Wertschätzung des einst nur als kommerziell wahrgenommenen Gernes verändern – eine Entwicklung, deren Ergebnis noch offen ist.