Sterbehilfe
„Deutschland hat eine moderate Lösung gefunden“

Für Ärzte und Pflegepersonal in Deutschland herrscht heute mehr Klarheit zum Thema Sterbehilfe
Für Ärzte und Pflegepersonal in Deutschland herrscht heute mehr Klarheit zum Thema Sterbehilfe | Foto: © Robert Kneschke/Fotolia

Wie in Deutschland heute über Sterbehilfe diskutiert wird und was es bedeutet, eine Kultur des Sterbens zu entwickeln, erklärt Palliativmediziner Lukas Radbruch

„Sterbehilfe“ ist ein verwirrender Begriff. Er umfasst die unproblematische „passive Sterbehilfe“, die in Begrenzung oder Abbruch von bestimmten Therapien am Lebensende besteht. Aber sie bezeichnet auch die in Deutschland verbotene „Tötung auf Verlangen“ und den ärztlich assistierten Suizid. Dazu gibt es in Deutschland seit Ende 2015 eine neue gesetzliche Regelung. Haben die zum Teil sehr kontroversen Diskussionen damit ein Ende gefunden?
 
Lukas Radbruch Lukas Radbruch | Foto: © privat Tatsächlich wurde das Thema seitdem ein knappes Jahr lang öffentlich so gut wie gar nicht diskutiert. Die Änderung des Strafgesetzbuchs, das nun ausdrücklich die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid verbietet, schien für Ruhe zu sorgen. Erstaunlicherweise fängt die Diskussion allerdings gerade wieder an. Es liegt eine ganze Reihe von Verfassungsbeschwerden vor, zu denen auch Stellungnahmen von Experten eingeholt wurden. Die Situation ist von Unsicherheit geprägt, immer wieder fürchten Ärzte, es könne wesentliche Einschränkungen bei der Betreuung unheilbar Kranker geben. Die Diskussion entzündet sich an dem Begriff „geschäftsmäßig“.
 
Im neuen Paragraphen 217 des Strafgesetzbuches heißt es: „Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Straffrei bleibt demnach, wer „selbst nicht geschäftsmäßig handelt“ und Angehöriger des Patienten ist oder ihm nahesteht. Sind Mediziner, die einem Sterbenden beistehen, nun vermehrt in Gefahr, sich strafbar zu machen?
 
Ich denke nicht. „Nahestehen“ im Sinne des Gesetzes kann einem Kranken schließlich auch sein Hausarzt oder ein Palliativmediziner. Wenn ich einem Patienten einmal im Monat ein Rezept für eine stattliche Menge Morphin ausstelle, betreibe ich als Arzt professionelle Schmerzlinderung, keinesfalls Beihilfe zum Suizid. Auch wenn dieser Patient früher womöglich einmal gesagt hat, seine Lage sei so fürchterlich, dass er lieber sterben wolle. Dass Patienten mit ihrem Arzt darüber sprechen, ist nicht ungewöhnlich. Und es ist möglich, mit ihnen über selbstbestimmte Wege wie den freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit zu sprechen. Auch zum Verzicht auf lebenserhaltende Therapien hat der Patient ein Recht.

„Es ist gut, dass die Schwelle hoch liegt“

Wurde denn der neue Paragraph im Strafgesetzbuch gebraucht? Selbst der Deutsche Ethikrat befand, dass die geltende Rechtslage im Grund ausreichend war.
 
Wir, als Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin haben anfangs gesagt: Wir brauchen kein Gesetz, die vorhandenen standesrechtlichen Regelungen reichen aus. Bundesärztekammer und Landesärztekammern sagen, dass aktive Sterbehilfe ohnehin nicht Aufgabe des Arztes oder sogar verboten ist. Mittlerweile glaube ich allerdings, dass es gut ist, dass wir den Paragraphen 217 des Strafgesetzbuchs haben. Die Debatten, die im Vorfeld über die verschiedenen Entwürfe geführt wurden, haben auch bei Ärzten für mehr Klarheit gesorgt. Als Palliativmediziner können wir sehr gut mit dem Gesetz leben. Und es ist gut, dass die Schwelle hoch liegt: Länder wie Belgien zeigen deutlich, dass selbst die Tötung auf Verlangen selbstverständlicher wird, wenn man einmal eine Tür öffnet. Wenn wir mit dem assistierten Suizid liberaler umgingen, könnten wir in ein falsches Fahrwasser geraten.
 
In den Niederlanden und Belgien ist nicht nur die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung, sondern sogar die Tötung auf Verlangen unter bestimmten Umständen legal. Sehen Deutsche eigentlich jede Art von Sterbehilfe aufgrund ihrer Vergangenheit besonders kritisch?
 
Ich denke ehrlich gesagt, dass dieser Zusammenhang zu den Euthanasie-Programmen in der Zeit des Nationalsozialismus heute nicht mehr hergestellt wird. Die Diskussionen verlaufen in unseren Nachbarländern ähnlich. Wir haben in Deutschland eine moderate Lösung gefunden. Ich sehe eher die Benelux-Länder als die Ausnahmen, uns im Mainstream.
 
Wie akzeptiert sind inzwischen in Deutschland Patientenverfügungen?
 
Sie werden heute noch deutlich seltener als etwa in den USA ausgestellt. Seit dem Betreuungsgesetz von 2009 ist die Zahl der Verfügungen allerdings gestiegen, in einigen Krankenhäusern werden die Patienten bei der Aufnahme routinemäßig danach gefragt. Konkrete Details festzulegen ist natürlich schwierig, wenn man noch keine lebensbedrohliche Krankheit hat. Ohne sie ist eine Verfügung aber nicht wertlos, sondern hat als klarer Hinweis auf den mutmaßlichen Willen des Verfassers hohen Stellenwert, wenn der sich nicht oder nicht mehr äußern kann.

„Man darf anderen auch zur Last fallen“

In einer Empfehlung vom Dezember 2014 äußerte der Deutsche Ethikrat die Befürchtung, die Debatte könne sich auf das Thema Selbstbestimmung und die Rolle bestimmter Sterbehilfevereine verengen. Dabei sei es wichtig, eine „Kultur des Sterbens“ zu entwickeln und die Palliativmedizin zu stärken. Da werden Sie als Präsident der zuständigen Fachgesellschaft wohl nicht widersprechen?
 
Nein, denn in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle haben wir Palliativmediziner wirklich etwas anzubieten: Schmerzen bekommen wir praktisch bei allen Patienten in den Griff, Luftnot kann man gut behandeln. Etwa einer von 100 Patienten, die in spezifischen Einrichtungen behandelt werden, braucht am Lebensende eine palliative Sedierung, also Medikamente, mit denen er unter Umständen auch das Bewusstsein verliert. Trotz allerbester Palliativversorgung werden der Wunsch nach dem assistierten Suizid und die gesellschaftliche Diskussion darüber aber nicht aufhören. Es wird immer den einen oder anderen geben, der sagt: „Für mich ist das, was Ihr anbietet, keine Option, ich möchte nicht von anderen abhängig sein.“ Unsere Aufgabe besteht dann darin, das auszuhalten. Und dabei genau hinzuschauen: Oft zeigt sich dann, dass die Angehörigen oder die Behandler es nicht mit ansehen können oder dass der Todkranke ihnen nicht zur Last fallen will. Wir sind allerdings eine Solidargemeinschaft, in der man anderen auch zur Last fallen darf.
 
Lukas Radbruch
ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Inhaber des Lehrstuhls für Palliativmedizin an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität Bonn, Direktor der Klinik für Palliativmedizin am dortigen Universitätsklinikum und Leiter des Zentrums für Palliativmedizin am Malteser Krankenhaus Seliger Gerhard Bonn/Rhein-Sieg.