Titanic und Charlie Hebdo
Das völkerverständigende Satire-Massaker

„Titanic“ und „Charlie Hebdo“
„Titanic“ und „Charlie Hebdo“ | © TITANIC/Hintner/Riegel

Deutsche und französische Mitarbeiter der Satiremagazine „Titanic“ und „Charlie Hebdo“ treffen sich zum „endgültigen völkerverständigenden Satire-Massaker“: Wer immer schonmal wissen wollte, wie sicher Satiriker heute leben und was für Franzosen eigentlich lustig ist – hier die Antworten der deutschen und französischen Spitzfedern.

Im Januar 2015 hielt die westliche Welt den Atem an, als bewaffnete Islamisten die Redaktion von Charlie Hebdo stürmten und dort ein Blutbad anrichteten. Das bis dahin nur regional bekannte französische Satiremagazin war plötzlich in aller Munde und der Satz „Je suis Charlie“ wurde zum Slogan einer weltweiten Solidaritätswelle.

Mittlerweile hat das Magazin auch einen deutschen Ableger. Anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2017 lud das deutsche Satiremagazin Titanic seine Redakteure und eine Karikaturistin von Charlie Hebdo Deutschland zu einer öffentlichen Lesung ein. Natürlich war das Attentat immer noch DAS beherrschende Thema, aber die Satiriker gingen auch auf andere Inhalte ein:
 
„Nur tote Satiriker sind gute Satiriker“, oder: Wieso kennt man in Deutschland eigentlich „Charlie Hebdo“?
„Beliebt wurde das Heft in Deutschland wohl vor allem deshalb, weil elf Mitarbeiter wegen Mohammed-feindlicher Karikaturen von Islamisten ermordet wurden“, stichelt Tim Wolff, Chefredakteur der Titanic. „Ein Vorgang der hierzulande als Auszeichnung für Satiriker zu gelten scheint, in missverstandener Anerkennung der alten Tucholsky-Maxime ‚Nur tote Satiriker sind gute Satiriker‘.“
 
Seit Dezember 2016 erscheint eine deutsche Ausgabe von Charlie Hebdo, für die ein deutschsprachiges Grafikteam eigene Karikaturen entwirft. Allzu deutsch will man dann aber doch nicht sein: Die deutschen Texte sind allesamt Übersetzungen aus der französischen Ausgabe, und auch das deutsche Redaktionsteam sitzt beim großen Bruder in Paris.
 
Was hat die deutsche Ausgabe mit dem Attentat in Paris zu tun?
Die große Solidarität der Deutschen gab den Ausschlag, auch hierzulande einen Ableger zu veröffentlichen: Weil die „Je suis Charlie“-Bewegung in Deutschland so stark gewesen sei, habe die Redaktion eine deutschsprachige Ausgabe in Betracht gezogen, erklärt Teresa Habild, Cartoonistin für Charlie Hebdo Deutschland. Die Solidarität schlug sich damals auch in den Absatzzahlen nieder: Verkaufte sich Charlie Hebdo vor dem Anschlag bundesweit nur wöchentlich rund 1.000 mal, so fand die „Ausgabe der Überlebenden“ nach dem Attentat ganze 70.000 Abnehmer.
 
Die Veranstaltung ist ausverkauft, aber sind wir hier heute Abend überhaupt sicher?
Voll und ganz, möchte man meinen: In der Straße vor dem Veranstaltungsort stehen jede Menge Polizisten, jeder Zuschauer muss durch eine Personenkontrolle. „Nachdem wir die Information über diese Veranstaltung an die Polizei Frankfurt gegeben haben, war sie innerhalb von zwei Stunden ausverkauft“, erzählt Oliver Maria Schmitt, Moderator und ehemaliger Titanic-Chefredakteur. „Deswegen haben wir den Verdacht, dass hier ausschließlich Mitarbeiter und Beamte der Frankfurter Polizei sitzen.“ Merke: Frankfurter Polizeibeamte haben Sinn für Humor.

Wie erging es der „Titanic“-Redaktion nach dem Anschlag auf ihre französischen Kollegen?
Seit dem Attentat auf Charlie Hebdo weiß auch das Titanic-Team, was es bedeutet, unter Polizeischutz zu stehen: Ein Jahr lang wurde die Redaktion von einer Hundertschaft der Polizei bewacht, zwei Beamte mit Maschinenpistolen waren anfangs direkt vor der Redaktion postiert. „In unserem Haus war auch ein Zahnarzt. Der meinte dann, ob man nicht zumindest die Polizisten mit den Maschinengewehren abziehen könne, die Menschen hätten schon genug Angst, wenn sie zum Zahnarzt gehen“, erinnert sich Oliver Maria Schmitt.

Wurde die Arbeit der „Titanic“ dadurch bekannter?
Zumindest am Anfang war die Aufmerksamkeit enorm und für Tim Wolff erschlossen sich durchaus Lerneffekte: „Ich hatte keine Erfahrung, wie man mit einer solchen Situation umgeht. Ich gab hunderte Interviews, in denen ich in Einklang mit einer alten internen Feiglingsregelung vor allem zwei Botschaften subtil in die Öffentlichkeit zu bringen versuchte. Erstens: Die Polizei ist gar kein so schlechter Haufen (bitte schützt uns). Zweitens: Muslime haben wirklich Humor, doch doch (bitte tötet uns nicht).“ Mit dem Satz „If you shoot at a satirist, you only make our work more relevant“ (Wer einen Satiriker erschießt, macht unsere Arbeit nur noch relevanter) landete er für eine Weile auf Platz 2 der weltweiten Twittercharts.

Und was hat die große Aufmerksamkeit gebracht?
„Die Diskussion hat zumindest ein reflektierteres Verhältnis zu Satire geschaffen“, meint Tim Wolff. Das Grundproblem sei, dass in einer globalisierten Gesellschaft unterschiedliche Kulturen aufeinander prallen. „All diese Aufregung um Mohammed-Karikaturen beruht auf einem Kommunikationsmissverständnis. Die dänischen oder französischen Karikaturisten zeichnen Mohammed genauso wie jeden Staatspräsidenten oder Minister: Sie behandeln die Figur so, wie sie es in ihrem Karikaturenhandwerk gelernt haben. Auf der anderen Seite steht eine Gesellschaft von Muslimen, die gelernt haben, dass der Prophet unantastbar ist und ihn zu zeichnen – unabhängig vom Kontext – diffamierend ist. Das ist ein Zusammentreffen, das schief gehen muss.“ Das bedeute nicht, dass muslimische Gesellschaften keine Satire verstünden. „Das ist ein Problem des Globalen: Es prallen verschiedene Öffentlichkeiten aufeinander.“
 
Arbeiten deutsche und französische Satiriker nun zusammen?
„Wir arbeiten unablässig seit mehreren hundert Jahren an unseren Beziehungen zum Erzfeind“, nimmt Oliver Maria Schmitt Bezug auf die lange, teils schwierige Geschichte der beiden Länder. Aber eine Kooperation zwischen den Satiremagazinen? „Aufgrund der Anschläge hat es natürlich Anteilnahme gegeben, ansonsten gibt es aber fast keinen Austausch“, erklärt er. „Satiremärkte beziehen sich, das liegt in ihrer Natur, auf ihre eigenen Länder. Für uns als deutsche Satiriker ist mit Charlie Hebdo einfach eine weitere Konkurrenz auf den eh schon heiß umkämpften Satiremarkt gekommen – die aber natürlich auch ein guter Sparringspartner ist.“
 
Was ist eigentlich typisch französischer Humor?
Oliver Maria Schmitt und Teresa Habild analysieren ein Coverbild von Charlie Hebdo: „Ein bisschen Geschlechtsteile gepaart mit Religionskritik, das funktioniert immer gut.“ Oder wie der ehemalige Titanic-Chefredakteur Hans Zippert es formuliert: „Die Franzosen können selbst die kompliziertesten politischen Phänomene mittels einer Zeichnung darstellen, auf der zwei Personen Analverkehr haben, während die Deutschen immer eine Kuh zu Hilfe nehmen müssen, auf die sie ‚Europa‘ schreiben.“
 
Charlie Hebdo habe aber selbst für Frankreich einen besonderen Humor, der sehr derb und drastisch sei, erklärt Teresa Habild. „Das haben wir in einer Ausgabe selber aufs Korn genommen: Auf einer Seite waren nur abgehackte Köpfe zu sehen. Das ist eine Spezialität der Redaktion, und damit spielt sie auch.“ Damit steht die Redaktion in guter Tradition der französischen Revolution, Luis XVI und Marie Antoinette könnten ein (enthauptetes) Liedchen davon singen …
 

Die Frankfurter Buchmesse ist die weltweit größte Messe zum Thema Buch, Literatur und Verlagswesen und findet regelmäßig im Oktober in Frankfurt statt. Jedes Jahr stellt ein ausgewähltes Gastland seine Kultur und Literatur in einem eigenen Pavillon vor. Ehrengast im Jahr 2017 ist Frankreich. Rund um die Buchmesse werden zudem in der ganzen Stadt Lesungen und Events veranstaltet, zu der auch die Satire-Lesung der Titanic-Redaktion gehört.