Kulturpolitik in Deutschland
Die Freiheit der Kunst sichern

Theaterstück „Amerika“ am Deutschen Theater Berlin.
Theaterstück „Amerika“ am Deutschen Theater Berlin. | Foto (Ausschnitt): © picture alliance / Eventpress Hoensch

Von Subkultur im Hinterhof bis Hochkultur im Opernhaus – Deutschland bedient mit seiner vielfältigen Kulturszene die unterschiedlichsten kulturellen Vorlieben. Doch wie ist die Förderung dieser bunten Kulturlandschaft in Deutschland eigentlich organisiert?

Der Bau der Elbphilharmonie in Hamburg für rund 800 Millionen Euro, die Museumsinsel in Berlin, die Semperoper in Dresden: Dies sind nur einige wenige Beispiele für Deutschlands – durchaus wörtlich zu nehmenden – Reichtum an Kultur. Mit ihrer Vielfalt und Dichte deckt die deutsche Kulturlandschaft die verschiedensten kulturellen Vorlieben ab. Doch wie ist die Förderung dieser bunten Kulturlandschaft eigentlich organisiert?

Monika Grütters, von 2013 bis 2017 die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, erklärt das Prinzip der deutschen staatlichen Kulturförderung so: „Politik hat nicht die Aufgabe, Kultur zu planen, vielmehr muss sie deren Freiheit sichern.“ Grütters bezieht sich auf die Kunstfreiheitsgarantie, die im deutschen Grundgesetz festgeschrieben ist. Sie gewährleistet, dass der Staat die Autonomie von Künstlern sichern muss, indem er Kunst und Kultur fördert und sie vor den Zwängen des freien Marktes schützt. Dies schließt private Förderung durch Unternehmen jedoch nicht aus. Vielmehr ist in Deutschland ein Zusammenwirken zwischen öffentlicher und privater Kulturförderung zu beobachten.

Die staatliche Kulturförderung

In Sachen staatlicher Kulturförderleistungen ist Deutschland weltweit Spitzenreiter – laut Kulturfinanzbericht hat die öffentliche Hand im Jahr 2016 rund 9,9 Milliarden Euro dafür ausgegeben. Dennoch hat der Bund, die oberste staatliche Ebene, nur 17 Prozent davon verantwortet. Denn das Besondere an der deutschen Förderlandschaft ist, dass sie dezentral organisiert ist. Das Schlüsselwort lautet „Kulturhoheit der Länder“: Die Zuständigkeit für Kultur und Bildung liegt bei den Bundesländern und Kommunen. Sie verwalten das Budget für Kulturförderung selbst, lediglich die Förderung von Kultur im Ausland und gesamtstaatlichen Angelegenheiten obliegt dem Bund. Neben den Bundesländern mit rund 40 Prozent trugen 2016 die Städte und Gemeinden mit 45 Prozent den größten Anteil an den Kulturausgaben.

Die dezentrale Struktur hat Vor- und Nachteile. In der Regel bezuschussen die Bundesländer vor allem Projekte in ihrem Hoheitsgebiet, was sich durchaus auf das Kulturangebot auswirkt. Laut Birgit Mandel, Professorin für Kulturvermittlung und Kulturmanagement an der Universität Hildesheim, neigt so jedes Bundesland dazu, eigene repräsentative Kulturstätten fördern und aufbauen zu wollen. Dies kann man kritisieren, hat aber durchaus auch positive Auswirkungen: Durch diese Konkurrenzsituation ist eine große kulturelle Vielfalt entstanden, wie man auch an der schieren Menge an etwa Museen, Theatern und Orchester in Deutschland erkennt. Ein Viertel aller professionellen Musikorchester weltweit befinden sich in Deutschland, so Mandel im Interview mit goethe.de/kultur.

Die staatliche Förderung in Deutschland reicht jedoch noch über die direkten Haushaltsausgaben hinaus. Freischaffende Künstler müssen beispielsweise nur den Arbeitnehmerteil von meistens rund 50 Prozent in die Künstlersozialkasse – eine eigens für Künstler geschaffene Sozialversicherung – einzahlen, die andere Hälfte übernehmen Staat und Unternehmen.

Der Bau der Elbphilharmonie in Hamburg kostete rund 800 Millionen Euro: Ein Beispiel für Deutschlands durchaus wörtlich zu nehmenden Reichtum an Kultur. Der Bau der Elbphilharmonie in Hamburg kostete rund 800 Millionen Euro: Ein Beispiel für Deutschlands durchaus wörtlich zu nehmenden Reichtum an Kultur. | Foto: Elbphilharmonie © Maxim Schulz Des Weiteren bietet der Staat Steuervergünstigungen für private Organisationen wie Unternehmen oder Stiftungen, die Kultur fördern. Hier spricht man auch von einer indirekten staatlichen Kulturförderung. Schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts gibt Deutschland privaten Unternehmen Anreize, kulturelle Angebote zu unterstützen, etwa um für Arbeitnehmer attraktiver zu werden. Heute fördern Unternehmen Kultur in Form von Stiftungsarbeit, Sponsoring oder Spenden. Ihre Motivation ist nicht nur, dass sie gesellschaftliche Verantwortung übernehmen möchten, sondern damals wie heute vor allem der Reputationsgewinn. Große Unternehmen verstehen sich als „Corporate Citizens“ und somit als gesellschaftliche Akteure. Auch Unternehmen fördern übrigens am liebsten im regionalen Bereich, und zwar an ihren jeweiligen Firmenstandorten.

Private Investoren versus staatliche Förderung

Die starke Rolle des deutschen Staates in der Kulturförderung ist nicht gänzlich unumstritten. Einige Kritiker fürchten, dass es die Kunstfreiheit untergraben könne, wenn der Staat sich zu sehr einmischt. Andere Stimmen betonen, dass sich Künstler auf diese Weise der Gesellschaft stärker verpflichtet fühlen.

Doch auch die Alternative – eine stärkere private Kunstförderung – ist ein zweischneidiges Schwert. Wenn zum Beispiel Kultureinrichtungen komplett privatisiert werden und die Finanzierung von einer Kosten-Nutzen-Rechnung abhängt, kann es sein, dass viele Kultureinrichtungen aus diesem Grund geschlossen werden.

Inhaltlich bewirkt die starke staatliche Förderung, dass der Fokus meist auf klassisch-bürgerlicher Hochkultur liegt: Personalintensive Institutionen wie Opern- und Schauspielhäuser nehmen den Großteil der Mittel Anspruch, in manchen Bundesländern sind das bis zu 95 Prozent. Subkulturen, neue Strömungen und Kunstformen klagen hingegen oft über stiefmütterliche Behandlung. Das deutsche Fördersystem bewirke „einerseits einen ausgeprägten Konservativismus in der Kulturinfrastruktur: Bestehendes hat Vorrang, Neues muss dagegen ankämpfen, um überhaupt zum Zuge zu kommen“, erklärt Kultur- und Medienwissenschaftler Norbert Sievers im Interview mit goethe.de/kultur. Andererseits übersteige das hohe Fördervolumen der großen Kulturinstitutionen zum Teil die staatlichen Kapazitäten. Dabei verliert die klassische Hochkultur für einen immer größer werdenden Teil der Bevölkerung ihre Relevanz. Nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung – vor allem Akademiker mit gehobenem sozialem Status – nutzen Kultureinrichtungen wie Konzerthäuser, Theater und Museen überhaupt. Private Unternehmen können hier in ihrer Förderung unabhängiger und ihren eigenen Vorlieben entsprechend agieren.

Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen der staatlichen und privaten Kulturförderung liegt in der zeitlichen Begrenztheit. Öffentliche Haushaltsetats müssen oft jährlich neu verhandelt werden; private Stiftungen dagegen können sich häufig längerfristig engagieren.