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DC Dyke March
„Dyke ist eine Geschichte“

Die Spitze des Marsches
Die Spitze des Marsches | Foto (Detail): Courtesy of Tut Shoots © TutShoots

Als Protest gegen die Kommerzialisierung der Pride-Paraden erlebte 2019 der Dyke March in Washington eine Neuauflage. Mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Premiere ist es offenbar wieder Zeit für politische Statements der Queer-Szene.

Von Mary Claire Phillips

Es ist kein Geheimnis, dass Pride in den Mainstream übergegangen ist. Die Reihe an festlichen Umzugswagen von Firmen in Regenbogenfarben, die während der Capital Pride Parade in Washington DC queeres Geld in heterosexuelle Taschen fließen lassen, verleiten dazu, zu überlegen, ob die Veranstaltung nicht eher in Capital(ism) Pride umbenannt werden sollte. Es fällt schwer zu ignorieren, dass die, die ihre Sicherheit und ihr Leben in den Stonewall-Protesten riskiert haben, sich sicherlich nicht sicher zwischen den lächelnden Polizeistaffeln fühlen würden, die auf den die Straßen patrouillieren. Manche mögen argumentieren, dass dieses Regenbogenspektakel eine enorme Verbesserung gegenüber den gewaltsamen Konflikten in der Christopher Street ist. Während sich unser Verständnis von Intersektionalität erweitert, muss sich gleichermaßen unsere Anerkennung erweitern, wie ungleich die Queer Community und ihre Feierlichkeiten sind.
  Protestschilder Foto: Courtesy of Tut Shoots © TutShoots Eine Bewegung, die sowohl auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam machen als sie gleichsam bekämpfen will, ist der DC Dyke March. Der Dyke March, wiederaufgenommen von der Landeshauptstadt nach einer zwölfjährigen Auszeit, ist eine Basisbewegung, geleitet von der Gemeinschaft selbst, die versucht, eine Vision für die queere Befreiung im Distrikt durchzusetzen. Am 7. Juni 2019 sind mehr als 1.000 Lesben durch die Straßen von Washington DC marschiert – nicht als Parade, sondern als Protest. Obwohl Lesbenmärsche auf der ganzen Welt auftauchen: an Orten wie Mexiko-Stadt, Berlin und – wahrscheinlich am bekanntesten – New York City, so verdanken sie alle den Start dieser reichhaltigen Tradition Washington DC.

Keine Parade, sondern Protest

Der Dyke March bildet die Hintergrundfolie zu dem, was Pride heute ist. Während Pride‑Paraden von der Polizei kontrolliert werden, sind Lesbenmärsche traditionell ohne Genehmigung durchführbar und werden von Ordnungskräften, die in Deeskalation und friedlichen Lösungen trainiert werden, begleitet. Unternehmen hängen sich vor allem an Pride‑Festivitäten, um Geld zu verdienen, während der Dyke March nur Geld macht, um dieses zurück in die Gemeinschaft fließen zu lassen. Das Thema des Marsches 2019 war „Dykes Against Displacement“ („Lesben gegen Vertreibung“) als Antwort auf einen Bericht aus dem gleichen Jahr, der dokumentiert, dass die Landeshauptstadt die höchsten Gentrifizierungsraten hat. Außerdem knüpften sich durch den Marsch neue Partnerschaften und es wurden 6.500 US‑Dollar Spenden eingenommen, die lokalen Organisationen wie Black Lives Matter DC, No Justice No Pride, HIPS und Empower DC zugutekommen.

Der erste Dyke March fand am Abend des 1993 durchgeführten Marsches in Washington für das Recht von Lesben, Schwulen und Bisexuellen auf Gleichheit und Freiheit (man achte auf die Exklusion von ‘T’ aus dem Akronym) statt. Der Marsch in Washington wollte vor allem als Reaktion auf Präsident Clintons Aufrechterhalten der Praxis „Don’t Ask, Don’t Tell“ verstanden werden. Das Organisationsteam wollten die queere Gemeinde als besonders patriotisch darstellen und ließ sie deshalb von Mitgliedern des Militärs anführen. Unzufrieden mit diesem militanten Fokus, hatte Lesbian Avengers die Idee, einen radikalen Protest als politisches Statement zu organisieren gegen einen Marsch, der sich am Ende des Tages an eine ziemlich heteronormative Zielgruppe wandte. Nach intensiver Vorbereitung durch die Avengers und andere lesbische Organisationen marschierten während des ersten Dyke Marsches ca. 20.000 Dykes zum Dupont Circle.  

Den Verkehr blockieren Foto: Courtesy of Tut Shoots © TutShoots Um die Erlebnisse und politischen Prioritäten, die die Menschen inspirieren, zum Dyke Marsch zu gehen, besser zu dokumentieren, hat das DC-Team gemeinsam mit der Liberary of Congress eine Archivsammlung sowie ein dokumentarisches Projekt mit dem Titel „The D‑Word“ gegründet. Kurze Erlebnisberichte finden sich auf den Social-Media-Kanälen des Dyke Marches und sollen in Zukunft zu einem Film über den DC Dyke weiterentwickelt werden. Diesen historischen Marsch zum 50. Jubiläum der Stonewall‑Proteste zurückzubringen, ist den Organisatoren sehr bewusst gewesen und die Dokumentation von Erlebnissen eine Möglichkeit, der Geschichte der Community etwas zurückzugeben. Kaia (they/them, @StrangeBirdProductions) – ein/eine nicht-binär/e identifizierende/r Filmemacher/in, der/die auf dem Dyke-Fest interviewt wurde – fasst dieses Sentiment besonders gut zusammen: „Dyke ist eine Geschichte. Dyke sein hat nichts mit deinem Geschlecht, sondern mit deinen Erfahrungen zu tun.“

Ein Meer an Regenbögen

In einer Zeit, in der man den Blick über ein Meer an Regenbogen schweifen lassen kann, ist es besonders einfach, sich auf den Lorbeeren der Aktivist*innen der Vergangenheit auszuruhen. Jetzt ist jedoch nicht die Zeit, um sich selbstgefällig zurückzulehnen. Wir leben in einer Zeit, in der gleichgeschlechtliche Paare stolz ihre Eheringe tragen, während die Sexarbeiter*innen, die Pride ermöglicht haben, im Schatten arbeiten müssen. Einer Zeit, in der mehr Menschen als jemals zuvor die Pride‑Paraden ihrer Stadt besuchen und mehr Amerikaner*innen eher behaupten, einen Geist gesehen zu haben als eine*n Transsexuelle*n. Einer Zeit, in der die Polizei sich für jene Nacht im Juni 1969 in der Christopher Street entschuldigt und gleichzeitig Mordfälle an Dutzenden von transsexuellen, dunkelhäutigen Frauen im Jahr 2019 ungelöst bleiben.
 
Die Zeit, sich für unsere Gemeinschaft einzusetzen, ist nicht an einen bestimmten Monat gebunden. Stattdessen ist es ein jahrelanger Kampf, der erfordert, der Gemeinschaft kontinuierlich zuzuhören, Vorzugsbehandlungen zu identifizieren, Unbehagen auszuhalten und hartnäckig gegen den Status quo anzugehen. Ziviler Ungehorsam ist nicht dafür gedacht komfortabel zu sein, seine grundlegende Natur ist es zu provozieren. Solange große Unternehmen und die Polizei Pride‑Paraden dominieren, solange wird es immer notwendig sein, Veranstaltungen zu organisieren, die Menschen, die diese Institutionen ignorieren, wieder neu zusammenbringen. Proteste wie der Dyke March sind nicht nur wichtig, um vergangene Geschichte zu betrachten, sondern auch, weil es immer noch gilt, Geschichte zu machen.
          

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