Arbeitsmarkt: Gute Prognosen

So viele Menschen wie nie haben eine Arbeitsstelle in Deutschland. Auch in den nächsten Jahren wird der Arbeitsmarkt wachsen, so die Voraussagen.

„Der Arbeitsmarkt befindet sich in einer sehr guten Verfassung“ heißt es in der „Einschätzung zur wirtschaftlichen Lage“ von Februar 2015, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit jeden Monat herausgibt. „Die Beschäftigung folgt weiter ihrem stabilen Aufwärtstrend, und auch die Zahl der gemeldeten Stellen steigt weiter.“ Etwas über drei Millionen Menschen sind in Deutschland momentan arbeitslos. „Im Frühjahr wird die Zahl sogar unter drei Millionen gehen“, sagt Dr. Sabine Klinger vom IAB. „Im Winter ist sie wegen der Witterung immer etwas höher.“ Ohne solche Saisoneffekte sei die Arbeitslosigkeit so niedrig wie seit Anfang der Neunziger Jahre nicht mehr.

Die Beschäftigung wächst stärker als die Arbeitslosigkeit sinkt

Auch der Beschäftigungsausblick der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) von September 2014 bescheinigt dem deutschen Arbeitsmarkt im Vergleich zu anderen Industrieländern eine gute Lage. Die Verfasser sprechen allerdings auch die hohe Zahl von Langzeitarbeitslosen in Deutschland an. Fast 45 Prozent aller Arbeitslosen in Deutschland sind dem Bericht zufolge schon länger als ein Jahr ohne Job, 10 Prozent mehr als in anderen europäischen Ländern. Die Bundesregierung solle mehr in Beratung und Weiterbildung investieren, so dass auch diese Menschen am Arbeitsmarkt teilnehmen können.
Arbeitslose profitieren in der Regel wenig von der steigenden Beschäftigung. Zwar sinkt die Arbeitslosigkeit, jedoch nicht so stark wie die Beschäftigung wächst. Denn: Neue Stellen werden meistens nicht von Arbeitslosen besetzt. „Das geschieht vor allem durch Zuwanderung“, sagt Sabine Klinger vom IAB, „und durch Personen, die zwar vorher schon in Deutschland waren, aber nicht am Arbeitsmarkt teilgenommen hatten“.

Der flexible Arbeitsmarkt

Die Gründe für die gute Beschäftigungslage der letzten Jahre sieht Klinger auch in den so genannten „Hartz-Gesetzen“, die zwischen 2003 und 2005 den Arbeitsmarkt und die Arbeitsvermittlung reformierten. Der Kündigungsschutz wurde gelockert, Mini-Jobs von der Sozialversicherungspflicht befreit und so für Unternehmen attraktiver, die Unterstützung bei Arbeitslosigkeit gekürzt. Außerdem verzichteten viele Beschäftigte auf Lohnerhöhungen, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten. „Durch die Reformen wurde die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähiger, und das in einer Zeit als die Wirtschaft international florierte“, sagt Klinger. Es entstanden viele neue Jobs: vor allem als befristete Stellen, als Teilzeitstellen, Mini-Jobs oder Zeitarbeit. Die Anzahl der so Beschäftigten stieg in den Jahren von 2002 bis 2012 um fast zwei Millionen auf knapp acht Millionen Beschäftigte.

Die Kehrseite des Jobwunders

Prof. Dr. Gerhard Bosch, Leiter des Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen sieht genau da die negative Seite des deutschen Jobwunders. „Mit der Beschäftigung hat auch der Anteil von prekär Beschäftigten stark zugenommen“, sagt er. „Also von Menschen, die von ihrer Arbeit nicht leben können.“ Ende 2013 waren laut des Statistischen Bundesamtes rund 3,1 Millionen Beschäftigte armutsgefährdet. „Der Erfolg der deutschen Wirtschaft ist bei einem großen Teil der Beschäftigten nicht angekommen“, sagt Gerhard Bosch vom IAQ. „Zum Beispiel im Dienstleistungssektor.“ Dort ist aber der größte Teil der Erwerbstätigen beschäftigt, im Gesundheitswesen, im Gastgewerbe, Verkehr oder im Einzelhandel. Viele von ihnen werden vom neuen Mindestlohn von 8,50 Euro profitieren, der im Januar 2015 eingeführt wurde. „Er sorgt dafür, dass am unteren Ende Minimalstandards eingehalten werden“, so Bosch. „Das ist ein wichtiger Fortschritt.“ Kritiker dagegen befürchten, dass der Mindestlohn viele Arbeitsplätze kosten wird.

Eher Bedarf an Fachkräften als Mangel

Ein Dauerthema in deutschen Medien ist der vermeintliche „Fachkräftemangel“. Allerdings fand die Bundesagentur für Arbeit 2014 in einer Analyse heraus, dass es momentan keinen generellen Mangel an Fachkräften gibt, sondern eher Engpässe in bestimmten Branchen und Regionen. Betroffen davon sind 19 Berufsgruppen, vor allem in technischen Branchen sowie im Bereich Gesundheit und Pflege vor allem in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Dieser Fachkräftebedarf soll auf lange Sicht durch Zuwanderung gedeckt werden. In einem Bericht des IAB zum Arbeitskräftebedarf von Februar 2015 rät das Institut Unternehmen, die momentan Probleme haben, leere Stellen zu besetzen, in Bildung zu investieren, um neue Mitarbeiter zu gewinnen, oder die Arbeitsbedingungen zu verbessern und familienfreundlicher zu gestalten, um für neue Mitarbeiter und vor allem für Frauen attraktiver zu werden.

Gute Aussichten

Mittlerweile steigt auch die Zahl der festen Arbeitsverhältnisse, und die Qualität der Jobs in Deutschland verbessert sich. „Seit sechs Jahren wächst die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung besonders stark, während die Zahl der Selbständigen sich schleppend entwickelt, und geringfügige Beschäftigung schrumpft“, sagt Sabine Klinger von IAB. „Es entstehen zwar mehr Teilzeit- als Vollzeitstellen, aber beide wachsen.“ Die Zeitarbeit nehme dagegen nicht mehr überdurchschnittlich zu.
Auch für 2015 sieht Klinger einen „starken Anstieg bei der Beschäftigung“ und das, „obwohl die Konjunktur wechselhaft ist“. Wie sich der Mindestlohn auf den Arbeitsmarkt auswirken wird, sei allerdings noch nicht zu sagen.  VG Wort