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6. Dezember 2020
Afrikaner lehren uns Flexibilität

Interview mit der Präsidentin des Goethe-Instituts Prof. Dr. Carola Lentz in der "Neuen Osnabrücker Zeitung"

Sie sind 1987 von einer ghanaischen Familie adoptiert worden. Wie hat diese Familie auf Ihre Berufung zur Präsidentin des Goethe-Instituts reagiert?

Die Familie hat begeistert reagiert. Dabei ist der Älteste jener weit verzweigten Familie, die mich damals adoptiert hat, bereits gestorben. Auch seine Ehefrau, meine ghanaische Mutter sozusagen, lebt nicht mehr. Einer meiner älteren neuen Brüder wurde zum Anschauen des Live-Streams von meiner Amtseinführung in das ghanaischGoethe-Institut eingeladen. Er hatte 1996 die Goethe-Medaille für seine Verdienste um die deutsche Sprache erhalten. Er schrieb mir nun im Auftrag der Großfamilie eine Mail und berichtete, dass die Familie einen kollektiven Jubel angestimmt habe.

Das Goethe-Institut ist ein Aushängeschild für die Bundesrepublik Deutschland. Welches Bild Deutschlands soll das Institut in der Welt vermitteln?

Deutschland ist in den letzten 30 oder sogar 50 Jahren diverser geworden. Es leben immer mehr Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen in diesem Land. Zu dem Bild Deutschlands, das das Goethe-Institut vermitteln will, gehört auch, diese Vielfalt von verschiedenen kulturellen Prägungen in unserem eigenen Land sichtbar zu machen. Das Bild unseres Landes wird dadurch differenzierter. Das betrifft auch die vielstimmigen Erinnerungskulturen, die in unserem Land präsent sind. Das hat auch die Debattenlage bei uns verändert. Auch das wollen wir vermitteln.

Ist insofern das Bild des Goethe-Instituts als eines Botschafters überhaupt noch zeitgemäß?

Das Institut hat sich im Lauf seiner Geschichte entwickelt, vom Kulturexporteur zum globalen Netzwerker. Wir arbeiten heute viel stärker multilateral. Dazu gehört auch der Aufbau gemeinsamer Kulturinstitute mit europäischen Partnern. Aber wir haben durchaus Botschaften zu vermitteln. Sie betreffen die europäischen Werte, die wir ja teilen. Dazu gehören Demokratie, Meinungsfreiheit, auch die Freiheit der Entfaltung
unterschiedlicher kultureller Prägungen. Wenn wir uns als Botschafter dieser Werte verstehen, gehen wir aber nicht mehr von einem festgelegten Kulturkanon aus.

Zum 70. Geburtstag des Goethe-Instituts im nächsten Jahr wollen Sie ein Buch zur Geschichte des Instituts vorlegen. Hat auch das Goethe-Institut seine Geschichte kritisch aufzuarbeiten?

Es kann nie eine bloße Beschreibung der Geschichte geben. Wir wählen Wegmarken der Entwicklung aus, schauen dabei auf gegenwärtige Fragestellungen und wollen Orientierung für die Zukunft anbieten. Wir hoffen, damit ein Stück Erinnerungsarbeit in eigener Sache zu leisten. Verschiedene Historiker haben zur Geschichte des Goethe-Instituts schon sehr viel aufgearbeitet, etwa im Hinblick auf die Vorläuferinstitution, die in der Weimarer Republik gegründete Deutsche Akademie, die sich dann im Nationalsozialismus an das Regime angepasst hat. Diese Akademie, als deren Abteilung 1932 das „Goethe-Institut zur Fortbildung ausländischer Deutschlehrer“ gegründet wurde, wurde nach Kriegsende von den Amerikanern abgewickelt. 1950 wurde die Akademie aber wieder in das Münchener Vereinsregister eingetragen, und 1951 wurde das Goethe-Institut neu gegründet, mit einigen personellen Kontinuitäten. Es fehlt bislang ein Buch, das eine kompakte Zusammenschau bietet, die man auch während einer Bahnfahrt von Berlin nach München durchlesen kann. Unsere Darstellung soll durchaus auch selbstkritisch sein. Wir wollen etwa darauf schauen, wie sich das Goethe-Institut während des Ost-West-Konfliktes in der Systemkonkurrenz verstanden hat, nämlich auch als Teil des, wie es damals manchmal hieß, demokratischen Bollwerks. Generell wollen wir die einschneidenden Veränderungen des Instituts nachzeichnen.

Der Begriff Kultur wird in letzter Zeit immer häufiger dazu benutzt, um sich abzugrenzen: Wir gegen die anderen. Was kann man tun, um Offenheit für andere Kulturen wieder stärker zu fördern?

Das Goethe-Institut macht da weltweit ja schon sehr viel. Und wir wollen die Präsenz vielfältiger kultureller Perspektiven aus aller Welt in Deutschland fördern. Das gelingt gut mit einigen bewährten Formaten wie dem Kultursymposium Weimar oder der Verleihung der Goethe-Medaille. Zu diesen Formaten gehörte auch das Festival Latitude im Juni dieses Jahres. Wir wollen aber an unseren zwölf deutschen Standorten noch systematischer Kulturarbeit betreiben. Es geht dann darum, solche Kulturarbeit an die einzelnen Orte anzupassen und mit den verschiedenen lokalen Partnern zu kooperieren.

Deutschlands Rolle in der Kolonialzeit ist lange Zeit nicht aufgearbeitet worden. Was ist heute zu tun?

Die Arbeit an dieser Frage läuft längst, allerdings in kleineren Öffentlichkeiten. Die Frage nach der kolonialen Vergangenheit und ihren Nachwirkungen heute sollte aber auch einem breiteren Publikum bekannt gemacht werden. Das Goethe- Institut ist dafür allerdings nicht der einzige Ansprechpartner. Ich begrüße sehr, dass inzwischen viel stärker wahrgenommen wird, dass Deutschland eben auch eine koloniale Vergangenheit hat und dass sich das letztlich nicht nur auf die Zeit der 1880er-Jahre bis zum Ende des Ersten Weltkriegs beschränkt. Die Begeisterung für koloniale Literatur etwa blühte gerade nach dem Verlust der Kolonien 1919 erst recht auf. Und im Nationalsozialismus gab es immer den Gedanken, dass Deutschland in aller Welt wieder expandieren müsste. Außerdem war der deutsche Kolonialismus keineswegs nur auf Afrika beschränkt. Auch die nationalsozialistische Expansion nach Osten könnte man unter dem Stichwort Kolonialismus fassen. Das alles gehört zusammen und sollte mehr in das Bewusstsein gehoben werden.

Was können wir Europäer von Afrikanern lernen?

Das ist eine spannende Frage, auch wenn man von „den Afrikanern“ nicht sprechen kann, weil der Kontinent doch sehr divers ist. Meine ghanaischen Freunde und Familienmitglieder haben mich mit ihrem überraschenden Optimismus beeindruckt, ungeachtet ihrer schwierigen Lebensbedingungen. Ohne das romantisieren zu wollen, gehört dazu auch eine ausgeprägte Gastfreundschaft und die Fähigkeit, angesichts unerwarteter Schwierigkeiten kreative Lösungen zu finden. Diese Frage betrifft mitten in der Corona-Pandemie nun auch uns. Wir sind gezwungen, flexibler zu sein und kurzfristiger zu reagieren. Afrika ist in dieser Hinsicht unsere Zukunft, weil das dort längst selbstverständlich ist. Die Leute dort sind oft nicht so abhängig von Routinen und festgefügten Ordnungen, ohne das glorifizieren zu wollen. Es geht darum, den optimistischen Blick zu behalten und menschliche Beziehungen zu pflegen. Das können wir von Afrikanern lernen.

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