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Februar 2021
Neues aus dem Fach – Eine Ethnologin an der Spitze des Goethe-Instituts

Das Gespräch führten die DGSKA Vorsitzende Prof. Dr. Dorle Dracklé sowie der Schriftführer und Herausgeber der DGSKA-Mitteilungen Dr. Martin Gruber.


Martin Gruber:  Wie wird man Präsident*in des Goethe-Instituts? Wird man angerufen?
Ja, man wird tatsächlich angerufen. Es ist ein Ehrenamt, man wird gewählt vom Präsidium. Ich wurde von meinem Vorgänger Klaus-Dieter Lehmann angerufen. Ob ich mir vorstellen könne, Präsidentin des Goethe-Instituts zu werden. Ich bin aus allen Wolken gefallen. Eigentlich wollte ich noch ein paar Bücher schreiben und ein großes Forschungsprojekt durchführen. Aber dann begann der Gedanke in mir zu arbeiten. Ich habe erst einmal bei Herrn Lehmann nachgefragt, was das Amt im Einzelnen bedeutet, und mich dann eigentlich sehr schnell entschlossen. Das war im September 2019. Danach habe ich fast ein Jahr lang Vorbereitungszeit gehabt. 

Martin Gruber: Und können Sie uns sagen, wie die Wahl auf Sie gefallen ist?
Ich glaube, dass das Goethe-Institut schon seit längerem in einer Art und Weise arbeitet, die in der Präsident*innenschaft einer Ethnologin münden kann. Einerseits gestaltet das Institut seine kulturellen Programme sehr stark im Austausch mit seinen Partnerinnen und Partnern in aller Welt. Wir haben 157 Standorte in 98 Ländern, aufgeteilt in zwölf Regionen. Die Regionen haben eine hohe Autonomie in der Organisation und können sehr gut auf konkrete Themen eingehen, die die Menschen vor Ort umtreiben. Andererseits gibt es Fragen, die quer zu den Regionen von vielen Instituten bearbeitet werden, wie etwa die nach dem Umgang mit dem kolonialen Erbe und der Restitution von der in kolonialen Kontexten von Europa angeeigneten Objekte. Zentrale Fragen sind: Wie muss sich das Goethe-Institut in einer postkolonialen Welt aufstellen? Wie können wir an diesem Prozess der Veränderung mitwirken? Ich glaube, diese Fragen haben zu der Offenheit geführt, jemanden als Präsidentin anzufragen, der nicht aus dem traditionellen Kulturbetrieb kommt – jemanden, der eher eine Karriere hat wie die meisten Goethe-Mitarbeiter*innen. Insofern ist die Antwort auf die Frage, wie man auf mich gekommen ist, eher struktureller Natur.

Dorle Dracklé: Haben Sie die Ethnologie schon in Ihre Arbeit einbringen können?
Ja, das ist wirklich eine spannende Erfahrung mit dem ethnologischen Handwerkszeug. Ich bin ja Politik-Ethnologin und Organisations-Ethnologin, und das kommt mir sehr zupass. Dank meiner Forschungserfahrungen mit verschiedenen Organisationsformen in aller Welt kann ich ziemlich schnell sehen, wo bei so einer großen, weltweit aufgestellten Organisation wie dem Goethe-Institut wichtige Herausforderungen liegen: zum Beispiel in der internen Kommunikation — was hält eine so dezentral arbeitende Organisation zusammen —, und in der Kommunikation mit den weltweit sehr unterschiedlichen kulturellen Umwelten. Ich gehe wirklich mit einer Politik des Zuhörens in mein Amt hinein. Das Goethe-Institut ist eine hochgradig selbstreflexive Institution. Ich begleite und unterstütze es bei diesen Reflexionsprozessen. Außerdem setze ich aus meiner Expertise heraus Impulse für verschiedene Themen, wie zum Beispiel Erinnerungspolitik, Postkolonialismus oder Afrika. Eine weitere Aufgabe ist natürlich, in Deutschland in verschiedenen politischen Kreisen präsent zu sein und dafür zu sorgen, dass die Mittel weiterfließen. 

Dorle Dracklé: Und wie sieht Ihr Arbeitsalltag als Präsidentin des Goethe-Instituts aus?
Ich sitze aktuell ungefähr sechs bis sieben Stunden am Tag am Computer in Mainz, manchmal auch in München, und habe eine Videoschaltung nach der anderen. Zwischendurch versuche ich, als gute Ethnologin mein Arbeitsjournal zu schreiben, um zu sehen, dass ich diese Eindrücke auch verarbeiten und reflektieren kann. Zum einen gibt es Gremiensitzungen, die ich gestalten und bei denen ich präsent sein muss. Zum anderen habe ich viele Termine mit Bundestagsabgeordneten im Unterausschuss für Auswärtige Kultur und Bildungspolitik. Und dann habe ich, um das Institut erst einmal besser kennenzulernen, mit allen Abteilungsleiter*innen in München und mit den Regionalleiter*innen in aller Welt Gespräche geführt. Inzwischen bin ich da ganz gut angekommen und muss sagen: Meine Begeisterung dafür, was das Goethe-Institut macht, wächst in dem Maße, wie ich es kennenlerne.

Martin Gruber: Was waren die größten Überraschungen für Sie bei diesem Kennenlernen? 
Für mich war eine Überraschung, dass das Goethe-Institut enorm sensibel und offen für die Impulse ist, die aus den lokalen kulturellen Szenen kommen. Die Themen werden nicht in der Programmzentrale in München generiert und diffundieren dann sozusagen in alle Standorte der Welt. Ich finde das Konzept der travelling models von Andrea Behrends, Richard Rottenburg und anderen hilfreich: Die Themen werden an einem Standort generiert – in der Auseinandersetzung mit lokalen oder regionalen Anforderungen und Bedürfnissen gemeinsam mit Menschen vor Ort. Von dort aus wandern sie möglicherweise zu einem anderen Standort. Aus dieser Verflechtung zwischen verschiedenen Standorten entstehen teilweise auch Verflechtungen zwischen Regionen. Bestimmte Themen werden dann von mehreren Regionen bearbeitet. Schließlich kommen sie im „Zentrum“ an und verändern sich noch einmal. Das wird ganz praktisch dadurch befördert, dass unser Personal rotiert. Jens Adam, der nun an der Uni Bremen ist, hat sich sehr genau mit der Entsendungspolitik und mit der Personalpolitik des Goethe-Instituts beschäftigt. Ich finde sein Buch dazu sehr interessant und einsichtsreich. Jetzt lerne ich das Prinzip der Rotation aus der Leitungsperspektive kennen. Und wenn man jetzt in diesem Bild des Reisens weiterdenkt, dann reisen natürlich mit den Entsandten auch Impulse und Ideen. 

Dorle Dracklé: Welche Rolle spielt das Thema Postkolonialität in Ihrer Arbeit?
Postkolonialität heißt natürlich auch, um auf dem Feld der Personalpolitik zu bleiben, dass das Goethe-Institut in seiner Führungslaufbahn verstärkt Offenheit und Durchlässigkeit für Menschen mit anderen Biografien und möglicherweise auch anderen Nationalitäten und Staatsangehörigkeiten schafft. Und je diverser die Erfahrungen sind, die die Mitarbeiter*innen in das Goethe-Institut oder andere Organisationen hineintragen, desto reicher kann eine Diskussion in der Organisation ausfallen. Und wir müssen aufpassen, dass wir nicht einfach postkoloniale Debatten aus dem globalen Norden den ehemals kolonisierten Gesellschaften überstülpen. Insofern ist es wirklich ein sehr ethnologisches Arbeiten. In der Programmarbeit schauen wir zunächst, womit sich Künstler*innen und zivilgesellschaftliche Aktivist*innen befassen. Beispielsweise sind Fragen von politischen Verhältnissen und Illiberalismus mindestens genauso wichtig wie Postkolonialität. Wie können wir als kulturpolitische Organisation, die für Demokratie, Meinungsfreiheit, Vielfalt und Offenheit steht, in solchen Kontexten arbeiten? Und wir erleben im Moment überall auf der Welt, wie Populismus, Illiberalismus und Unterdrückung von Meinungsfreiheit zunehmen. Das bereitet uns Schwierigkeiten. Wobei das Goethe-Institut durch seine Spracharbeit und durch die Orientierung auf Kultur oft noch im Land bleiben kann, wenn andere deutsche – politische – Stiftungen schon des Landes verwiesen werden. Das ist vielleicht ein Vorteil: Wir sind in den meisten Ländern durch binationale Kulturabkommen geschützt. Zum Thema Restitution kann man zunächst antworten, dass wir ja keine Objekte besitzen. Die Aufgabe des Goethe-Instituts ist es eher, Formate anzubieten, um dieses Thema künstlerisch und wissenschaftlich-intellektuell zu bearbeiten. Wir nutzen unsere Netzwerke, um Akteur*innen miteinander in Kontakt zu bringen, das ist unser Beitrag zu dieser Debatte. Vielleicht ist noch nteressant, dass es ein Kooperationsabkommen des Goethe-Instituts mit dem Humboldt Forum gibt. Ich hatte neulich mein Antrittsgespräch mit dem Intendanten Hartmut Dorgerloh, wir sind in einem engen Austausch. Es gibt auch eine von Goethe-Institut und Humboldt Forum gemeinsam finanzierte Koordinationsstelle, die am Humboldt Forum angesiedelt ist. Sie nutzt unsere Netzwerke für Residenzprogramme und für Ausstellungsformate usw. 

Welche Rolle spielen Süd-Süd Beziehungen in der Arbeit des Goethe-Instituts? 
Eine große Rolle! Ein Beispiel dafür ist ein großes Projekt in Afrika: „Museum Futures Africa“. Das ist ein Programm, für das sich Museen bewerben konnten, die über ihre zukünftige Aufstellung nachdenken wollten: Was können Museen in ihrer Gesellschaft, in ihrem Umfeld erreichen? Was wollen sie erreichen? Die teilnehmenden Museen aus beispielsweise Kenia, Südafrika und Uganda machen das jetzt im Austausch untereinander. Und dann können auch Inputs aus deutschen Museen dazu kommen. Es werden Hospitationen oder Ausbildungelemente für Restaurator*innen angeboten. Bei diesem Programm beraten sich Afrikaner*innen gegenseitig. Die Jury, die die Projekte ausgewählt hat, bestand aus lokalen Kunst- und Museumsexpert*innen. Früher hat es bereits ein solches Format zum Südatlantik mit Kontakten zwischen Südafrika und Brasilien gegeben – dieses Format ist nicht nur auf einen Kontinent beschränkt. Ein ähnliches Projekt gibt es in Südostasien, dabei geht es um Erinnerungspolitik. Generell kann man beobachten, dass im Sinne von reisenden Modellen, travelling models, zum Beispiel die Black-Lives-Matter-Bewegung in Südafrika und an anderen Orten aufgegriffen und lokal angeeignet und weiterverarbeitet wird. Natürlich werden auch kosmopolitische Intellektuelle wie etwa Achille Mbembe oder Felwine Sarr von Künstler*innen und zivilgesellschaftlichen Aktivist*innen in Afrika, vor allem aber auch in Europa wahrgenommen. Der Vorteil des Goethe-Instituts ist es aber, mit Menschen vor Ort zu arbeiten, die international vielleicht noch nicht so bekannt sind. Bei der Rückvermittlung globaler Themen nach Deutschland schwingt sich das Feuilleton hierzulande sehr schnell auf drei, vier herausragende Personen ein. Durch unsere Arbeit vor Ort haben wir Kontakt zu Personen, deren Namen hier noch nicht zirkulieren. Diese Stimmen hier in Deutschland hörbarer zu machen, ist spannend, weil es die Vielfalt von Perspektiven erweitert. 

Dorle Dracklé: Inwieweit spielt eigentlich das Thema „Gender“ eine Rolle beim Goethe-Institut? Wird darüber gesprochen? 
Ja, sehr viel. Zum einen in den Bereichen Rekrutierung und Personal des Goethe-Instituts. Ich freue mich, dass ich Präsidentin einer Institution bin, die inzwischen 50 und mehr Prozent der Leitungspositionen weiblich besetzt hat. Gut, der Vorstand — der Generalsekretär und der kaufmännische Direktor — im Moment noch nicht, aber das wird sicherlich über kurz oder lang kommen. Es gibt viele sehr, sehr kreative Köpfe und darunter auch viele Frauen am Institut. Zum anderen ist das Thema Frauenförderung in unseren verschiedenen regionalen Programmen präsent. Und unter den Partner*innen, mit denen wir in vielen Regionen der Welt zusammenarbeiten, Künstler*innen und Musiker*innen usw., sind mindestens genauso viele Frauen wie Männer. Darüber hinaus ist das Thema Feminismus eines unserer Schwerpunktthemen für die kommenden Jahre. Beispielsweise ist für 2022 ein Festival zu Feminismen geplant. Mein erster öffentlicher Auftritt als Gewinn, auch im Interesse der Nachhaltigkeit. Wir hatten bislang einmal im Jahr eine mehrtägige, sehr wichtige Regionalleiter*innen- und Abteilungsleiter*innen-Tagung in München. Dort versammelt sich sozusagen die Weltorganisation, auch informell. Jetzt ist die Tagung gezwungenermaßen in den digitalen Raum umgezogen. Die großen jährlichen Treffen wollen wir weiterhin präsentisch organisieren, sobald das wieder möglich ist. Aber für die Zeit dazwischen werden wir sicherlich auch zukünftig durch die regelmäßigen Online-Konferenzen mit Teilnehmer*innen aus aller Welt viel mehr Austausch haben. 

Hier geht es zum gesamten Interview.

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