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3. Juli 2023
Rede beim Sommerempfang des Goethe-Instituts

- Es gilt das gesprochene Wort - 

ich freue mich, Sie heute bei schönem Wetter zu unserem alljährlichen Sommerempfang zu begrüßen -erstmals bei „uns zuhause“, in den Innenhöfen des Goethe-Institut Berlin, den Kurt Berndt-Höfen, wie sie in Erinnerung an den Architekten der in den 1910er Jahre errichteten Gebäude genannt werden.

Ich beginne auch dieses Jahr mit einem Gedicht, diesmal von einer jungen afghanischen Lyrikerin, Mariam Meetra, in einer Nachdichtung der deutschen Schriftstellerin Sylvia Geist.

Ich bin noch wach
He, ihr müden Mädchen der Stadt des Schweigens und der Nacht!
Kann man in diesem dunklen Land
An den Mond glauben, der da vor dem Fenster hängt?
Oder im Schein eines enttäuschenden Sterns Gedichte lesen?
Als wäre ich schon gestorben,
Glauben die Wörter nicht an meine Stimme
Und die Jams (Weinbecher) sind leer von ihr.
Glaubt mir!
Ich bin noch wach!
Obwohl meine Kehle längst versagt,
Schreit meine Stimme sich seit Jahrhunderten wund:
Glaubt mir!
Dieser Schatten ist nicht ich!

Mariam Meetra wurde 1992 in Baghlan in Afghanistan geboren und studierte Journalismus und Public Relations in Kabul. 2013 erschien ihr erster Lyrikband Leben am Rand auf Persisch. Nach massiven Drohungen verließ sie 2015 ihr Heimatland und lebt seither in Deutschland. In deutscher Sprache veröffentlichte sie den Band Ich habe den Zorn des Windes gesehen, mit Gedichten über Afghanistan. Das Gedicht „Ich bin noch wach“ bringt eindringlich die hoffnungslose Situation in Afghanistan zum Ausdruck: Dunkelheit, Enttäuschung, Zweifel, die versagende Stimme, die leeren Becher—Tod. Doch dann bricht sich trotziger Widerstand Bahn: „Ich bin noch wach“; das lyrische Ich insistiert: es sei kein Schatten, sondern eine lebendige Person, die spricht und schreit und die Zuversicht aus einer langen Tradition des Widerstands zieht.

Wir alle wissen: Die Situation in Afghanistan war schon lange krisenträchtig, aber seit der erneuten Machtübernahme der Taliban im August 2021 ist sie insbesondere für Frauen und Kinder unerträglich geworden. Die Freiheitsrechte aller sind massiv eingeschränkt, aber auch das alltägliche Überleben wird immer schwieriger. Zahlreiche Afghaninnen und Afghanen haben das Land mittlerweile verlassen. Auch viele Kulturschaffende leben und arbeiten im Exil—so wie Mariam Meetra, die am vergangenen Wochenende beim Festival zur Eröffnung des Afghanistan-Schwerpunkts des Goethe-Instituts im Exil dabei war. Das außerordentlich gut besuchte Festival bot ein vielfältiges Programm der afghanischen Exil-Community und der deutsch-afghanischen diasporischen Kunstszene und vermittelte vor allem eines: wie wichtig es ist, die Hoffnung zu bewahren! Einige der Arbeiten und Künstler*innen können Sie heute Abend auch hier kennenlernen. Und bis zum Jahresende finden im ACUD Berlin noch zahlreiche Veranstaltungen zum Afghanistan-Schwerpunkt statt.

Mit Blick auf die Weltlage fällt es oftmals schwer, die Hoffnung zu bewahren: Afghanistan, der Iran, die Ukraine, der Sudan, Jemen…: die Liste der Länder, in denen kriegerische Zustände oder illiberale Kontexte vorherrschen, wird immer länger. Die Zivilbevölkerung in diesen Ländern, aber auch die Goethe-Institute vor Ort—wenn sie überhaupt vor Ort bleiben dürfen—brauchen viel Mut, Kraft und Durchhaltevermögen. Umso wichtiger sind Plattformen und Begegnungsformate wie das Goethe-Institut im Exil, um Bündnispartner*innen zu finden, Beziehungen zu stärken und so die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu bewahren.

Auch das Goethe-Institut braucht Widerstandskraft und Hoffnung. In Zeiten weltweiter geostrategischer Polarisierungen braucht es friedliche und die Menschen verbindende Spracharbeit und Kulturaustausch mehr denn je. Doch werden die finanziellen Ressourcen knapper, und das Goethe-Institut muss sich verändern, um die Verbindungsarbeit leisten und zukunftsfähig bleiben zu können—ich nenne nur die Stichworte Maßgabebeschluss, Transformationsprozess und „Goethe2025“. Ich bin aber trotz vieler Unsicherheiten und schwieriger Entscheidungen zuversichtlich, dass das Goethe-Institut den richtigen Weg finden wird.

Hoffnung habe ich vor allem, weil das Goethe-Institut ein starkes Netzwerk und treue Freunde und Partnerinnen hat, die an seine Arbeit glauben und den internationalen Kultur- und Bildungsaustausch stärken—sowohl mit unseren 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als auch mit unseren Partnerinnen und Partnern weltweit. Daher möchte ich mich an dieser Stelle bedanken:

…bei den krisenerprobten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Goethe-Instituts für ihren unermüdlichen Einsatz und ihr Ideenreichtum,

…beim Auswärtigen Amt für die Zusammenarbeit, Unterstützung und Förderung,

…bei den Parlamentariern und Parlamentarierinnen, die sich auch in schwierigen Zeiten für das Goethe-Institut einsetzen und es unterstützen. Danke für Ihr Vertrauen in unsere Arbeit!

…bei allen Mittlerorganisationen, darunter der DAAD, das ifa, die Alexander von Humboldt Stiftung, das Deutsche Archäologische Institut und die Deutsche Welle, für die partnerschaftliche Zusammenarbeit

…und natürlich bei allen Partnerinnen und Partnern aus Kultur, Bildung, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Ohne Sie wären viele unserer Vorhaben nicht möglich. Ich freue mich auf viele weitere Projekte und den regen Austausch mit Ihnen!

Zum Schluss meiner Rede noch ein paar Hinweise zum heutigen Abend: Einen kleinen Einblick in das Afghanistan-Programm vom „Goethe-Institut im Exil“ können Sie hier beim Sommerempfang erleben. Hier im dritten Hof sehen Sie das große Wandgemälde „Re-Set: Art in Exile“ des afghanischen Künstlerkollektivs ArtLords, das am Wochenende gemeinsam mit dem Publikum entstanden ist; die beiden Künstler Kabir Mokamel und Omaid Sharifi sind heute Abend übrigens auch hier bei uns—herzlich willkommen! Im Durchgang vom zweiten in den dritten Hof finden Sie die Ausstellung „The Incredible Child“; das sind Kinder-Zeichnungen, die im Rahmen einer Workshopreihe im Simurgh Centre in New-Delhi entstanden sind, einem Kulturort für die afghanische Exil-Community in Indien.

Nun übergebe ich das Wort an den Generalsekretär Johannes Ebert und wünsche Ihnen und uns einen vergnügten Abend und gute Gespräche!
 

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