Ein Leitartikel von Johannes Ebert
Die Wechselwirkung von Politik und Kultur
Der Angriff Russlands auf die Ukraine, die Kriege im Nahen Osten und im Sudan nehmen kein Ende. Die Politik der amerikanischen Regierung stellt die Stabilität der transatlantischen Beziehungen infrage. Die größte Oppositionspartei in Deutschland wird vom Verfassungsschutz als „rechtsextremer Verdachtsfall“ eingestuft: Die Welt hat sich in einem Maße verändert, wie dies noch vor drei Jahren nicht vorstellbar war.
Ein Leitartikel von Johannes Ebert
Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Unter dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ hat die Bundesregierung ihren Koalitionsvertrag vorgelegt. Dieses wichtige Dokument wirkt sich auch auf die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) aus: Welche Bedeutung kommt diesem Politikfeld darin zu? Welches Kulturverständnis wird vermittelt? In welchen der sechs Kapitel ist das Goethe-Institut gefordert?
Das Goethe-Institut ist seit über 70 Jahren das größte kulturelle und gesellschaftliche Außennetzwerk der Bundesrepublik. Sein Auftrag ist es, die deutsche Sprache zu stärken, den internationalen Kulturaustausch zu fördern und über Deutschland zu informieren. 150 Goethe-Institute weltweit, rund 1.100 Anlaufstellen mit Sprachlernzentren oder Kulturgesellschaften, ein weit verzweigtes Netzwerk von Partnern aus Kultur, Bildung, Wirtschaft und Gesellschaft auf der ganzen Welt, jährlich rund 270.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den digitalen oder physischen Sprachkursen, über eine Million abgelegte Prüfungen, fast sieben Millionen Follower in sozialen Medien – all diese Zahlen belegen die weltumspannende Reichweite des Goethe-Instituts. Wir sind eine international bekannte und starke Marke für Deutschland, die für Dialog und Kooperation, für Glaubwürdigkeit und Wertschätzung steht. Das Motto des Goethe-Instituts „Für Vielfalt, Verständigung und Vertrauen“ ist gerade in diesen unruhigen Zeiten von höchster Aktualität.
Befragt man den Koalitionsvertrag zur Rolle von Kultur und internationalem Kulturaustausch, so finden sich zwei Dimensionen: „Die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist ein zentraler Bestandteil der deutschen Außenpolitik, wichtiges Element der Soft Power Deutschlands und damit ein strategisches Instrument im globalen Wettbewerb um Ansehen, Einfluss, Narrative, Ideen und Werte. Wir werden sie als geopolitisches Instrument noch wirkungsvoller an unseren Werten und Interessen ausgerichtet einsetzen“, heißt es im Absatz „Verantwortungsvolle Außenpolitik, geeintes Europa, sicheres Deutschland“. „Unsere Kultur ist das Fundament unserer Freiheit. Kunst inspiriert, irritiert und eröffnet neue Perspektiven. Ohne freie und kraftvolle Kunst verkümmert, was jedem Fortschritt zugrunde liegt: die Fähigkeit, unser Leben zu reflektieren und uns ein besseres vorzustellen … Wir wollen deshalb internationale Kooperationen, Kulturaustausch, Kulturdiplomatie und Kulturtourismus intensivieren“, so formulieren die Koalitionspartner im Kapitel „Starker Zusammenhalt, standfeste Demokratie“.
Die AKBP wird auf der einen Seite instrumentell gesehen, um freiheitliche Werte und Interessen Deutschlands im Ausland zu vertreten, auch durch eine Stärkung des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandorts. Auf der anderen Seite gelten Kunst und Kulturaustausch als eigenständige gesellschaftliche Bereiche eines global eingebetteten „Kulturstaats“. Sie stellen die Basis des gesellschaftlichen Lebens und des Fortschritts dar. Die freie Entfaltung von Ideen und die Freiheit der Kunst sind sein Fundament. Das gilt auch für die internationale Wahrnehmung Deutschlands: „Unser Land soll ein Leuchtturm für freie Kunst und Kultur in der Welt sein.“ Begriffe wie „Soft Power“ und die stärkere Ausrichtung an Werten und Interessen machen deutlich, wie sich die weltweite Systemkonkurrenz in den vergangenen Jahren verstärkt hat. Die Verteidigungsfähigkeit herzustellen, um einen „Frieden in Freiheit und Sicherheit“ zu bewahren, ist ein wichtiges Ziel. Eine gesunde Wirtschaft, sozialer Zusammenhalt, die Herstellung eines handlungsfähigen Staates und eine bessere Steuerung der Migration – das sind weitere Interessen Deutschlands laut der Präambel des Koalitionsvertrags.
Das Goethe-Institut steht bereit, in diesem Sinne die Interessen Deutschlands in der Welt zu vertreten. Im Rahmen des Transformationsprozesses der vergangenen drei Jahre hat sich die Institution schlagkräftig aufgestellt. Auf der Basis einer stabilen Finanzierung, die auch weltweite Kostensteigerungen berücksichtigt, will es seinen Beitrag leisten zu Zukunftsfeldern wie Sicherheitspolitik, Fachkräfteeinwanderung und zur Vernetzung Deutschlands in einer Welt, in der stabile Partnerschaften unverzichtbar sind. Sicherheit für Deutschland heißt einerseits, in die militärische Verteidigungsfähigkeit zu investieren. Doch Sicherheit entsteht auch, wenn die internationalen gesellschaftlichen Netzwerke stark sind. Dies ist im globalen Kontext gewährleistet, wenn auf der einen Seite die Menschen in Staaten und gesellschaftlichen Gruppen, die freiheitliche Werte teilen, in ihrer Resilienz und ihrer Verbindung zu Deutschland gestärkt werden.
Ein Beispiel dafür ist die große Unterstützung des Goethe-Instituts für die Kultur- und Bildungsszene der Ukraine. Denn diese steht für die Hinwendung der Ukraine zu Europa, fördert die demokratische Identität und stärkt die gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit. Andererseits schaffen wir Sicherheit auch, wenn die Begegnung mit Ländern und gesellschaftlichen Gruppen, die konkurrieren und sich ideologisch von uns abgrenzen, intensiv gefördert wird. In beiden Fällen bietet der internationale Kultur- und Bildungsaustausch große Chancen. Dieses umfassende Verständnis von Sicherheit hat deshalb ganz direkte Folgen für die deutsche AKBP: „Wir werden in Europa mehr in die Sicherheit investieren müssen, aber während wir das tun, sollten wir gleichzeitig in Kultur- und Bildungsprogramme investieren, die wesentlich kostengünstiger sind und eine bedeutende Wirkung entfalten können“, sagte der CEO des British Council, Scott McDonald, auf der Münchner Sicherheitskonferenz bei der Veranstaltung „Resilient Roots: The Role of Culture in European Stability“, organisiert vom Goethe-Institut und seiner britischen Schwester.
Wie das Goethe-Institut zur Entstehung internationaler Netzwerke beiträgt und Freunde für Deutschland gewinnt, zeigen mehrere Beispiele in diesem Jahrbuch: Die Internationale Deutscholympiade steht für die 100.000 Schulen mit Deutschunterricht, für die das Goethe-Institut Angebote bereithält. Die 15 Millionen Schülerinnen und Schüler, die dort Deutsch lernen, setzen sich im Unterricht mit unserer Gesellschaft, Kultur und Sprache auseinander. So nähern sie sich Deutschland an und entwickeln oftmals eine hohe Empathie für unser Land. Auch das Europanetzwerk Deutsch, das – gefördert vom Auswärtigen Amt – seit 30 Jahren europäische Spitzenbeamtinnen und -beamte mit Deutschkenntnissen vereint, oder die Residenzprogramme für Kulturschaffende, Ausgangspunkt vieler internationaler Partnerschaften, stellt dieses Jahrbuch vor. Eine starke Initiative ist das Programm „Culture Moves Europe“, mit dessen Durchführung die EU das Goethe-Institut betraut hat: 7.000 Kulturschaffende aus Europa waren seit 2022 zu Residenzen, Workshops und Forschungsaufenthalten an Kulturinstitutionen außerhalb ihrer Länder in ganz Europa zu Gast. Die dabei entstehenden Netzwerke sind ein wichtiger Beitrag zum europäischen Zusammenhalt.
Die Interessen der Bundesregierung, sowohl die deutsche Wirtschaft zu stärken als auch die Migration aktiv zu gestalten, verbinden sich bei der Fachkräfteeinwanderung. So heißt es im Koalitionsvertrag: „Die Sicherung der Fachkräftebasis ist ein entscheidender Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes. Deshalb ziehen wir alle Register, damit Fachkräfteeinwanderung in den nächsten Jahren gelingt.“ Dabei spielt auch die sprachliche und interkulturelle Vorbereitung im Herkunftsland eine wichtige Rolle. Diese sogenannte Vorintegration ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg auf dem deutschen Arbeitsmarkt und in der deutschen Gesellschaft. Das Goethe-Institut verfügt über eine große Bandbreite von Maßnahmen, die hier zum Gelingen führen. Der Jahrbuch-Artikel „Deutschlehrende als Schlüsselfiguren“ beschreibt einige davon.
„Unser Land soll ein Leuchtturm für freie Kunst und Kultur in der Welt sein“, schreibt die Koalition. Deutlicher kann man den Anspruch nicht formulieren, weltweit für freiheitliche Werte zu stehen. „Die Universalität, Unteilbarkeit und Unveräußerlichkeit der Menschenrechte bilden das Fundament der regelbasierten internationalen Weltordnung“, heißt es weiter im Koalitionsvertrag, und dass die Europäische Union die Garantin für Freiheit, Frieden, Sicherheit und Wohlstand sei. Diese Werte gerieten angesichts historischer Umwälzungen massiv unter Druck. Das Goethe-Institut engagiert sich für diese freiheitlichen Werte und setzt gleichzeitig auch in weniger freiheitlichen Gesellschaften ein Zeichen der Resilienz: Die Institute im Ausland sind Orte der Begegnung mit Deutschland, Orte des Lernens und des Austauschs. Sie sind aber auch Räume der offenen Diskussion und zensurfreier Debatten.
Mit Programmen zur Förderung von Medienkompetenz stärkt das Goethe-Institut die Widerstandsfähigkeit gegenüber populistischer Propaganda und Fake News. Der Artikel „Gegen Populismus“ beschreibt dies. Mittels Programmen zur Erinnerungskultur setzen wir uns mit den dunklen Seiten der deutschen Geschichte auseinander – auch das ist im Koalitionsvertrag gefordert – und stellen uns aktiv gegen jede Form von Antisemitismus, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung.
„Soft Power“ ist ein Begriff, den der amerikanische Politikwissenschaftler Joseph Nye in den 90er-Jahren geprägt hat. Er besagt, dass die Anziehungskraft eines Landes entscheidend ist für sein Potenzial, in der Welt Einfluss zu nehmen. Die Kultur, das Bildungswesen und die Werte eines Landes spielen dabei eine wichtige Rolle. Was aber heißt dieser Begriff für Deutschland? Was ist eine „Soft Power made in Germany“? Gerade die Werte, die der Koalitionsvertrag betont, wie Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit, Gerechtigkeit oder Pluralismus, machen unser Land attraktiv. Die AKBP funktioniert in unserer unruhigen Welt nur, wenn sie sich an diesen Werten messen lässt. Wenn wir die Kultur, geleitet von diesen Werten, für die Außenpolitik nutzen möchten, muss sie die notwendige Luft zum Atmen haben. Wenn wir möchten, dass Kunst „inspiriert, irritiert und neue Perspektiven eröffnet“, muss sie auch im internationalen Kontext die ihr eigene Freiheit zum künstlerischen Experiment und zum offenen Ausgang verkörpern. Gerade die Tatsache, dass die Bundesregierung die Umsetzung der AKBP an eigenständige Mittlerorganisationen wie das Goethe-Institut übertragen hat, ist ein Ausdruck dieser demokratischen Wertvorstellungen. Denn dieses System spiegelt den gesellschaftlichen Pluralismus und die Unabhängigkeit von Kultur und Bildung wider, für die Deutschland steht.
Freiheitliche Werte erfordern gerade in Zeiten, in denen sie unter Druck geraten, im kulturellen Austausch Mut und die Bereitschaft zum kritischen Dialog und zur partnerschaftlichen Kooperation. Sie brauchen die Fähigkeit, eigene Haltungen aktiv darzustellen, dabei aber gleichzeitig zuzuhören und das Gegenüber mit seinen Anliegen wahrzunehmen. Nur dann entstehen Glaubwürdigkeit und Vertrauen, die auch eine Annäherung unterschiedlicher Positionen erlauben. Diese Offenheit, die Bereitschaft zum Austausch und die Kommunikations- und Diskursfähigkeit in den internationalen Kulturbeziehungen machen diese „Soft Power made in Germany“ aus und begründen den Erfolg der deutschen AKBP. Dafür steht das Goethe-Institut!