Christo
Die Kunst steht über allem

Running Fence 1972-76 (Ausschnitt)
Running Fence 1972-76 (Ausschnitt) | Foto (Ausschnitt): © Christo und Jeanne-Claude

Er ist vermutlich der erfolgreichste Bulgare überhaupt. Obwohl die erfolgreiche Flucht ein fester Bestandteil dieses Erfolgs ist. Man ist erfolgreich, wenn man sich über alle Grenzen hinweg verwirklicht hat. Wenn man die ganze Welt überzeugt hat, dass die eigene Kunst wichtiger als alles andere ist. Wenn man, anstatt zu besitzen, einfach sein kann. Wenn man frei ist.

Christo und Jeanne-Claude: Grafiken und Objekte ist die erste große Ausstellung der beiden Künstler in Bulgarien. Die Sammlung wurde von Christo persönlich zusammengestellt. Am 14. September öffnet die Sofioter Stadtgalerie ihre drei Räume für Besucher mit einer Ausstellung von 130 original nummerierten Abdrucken und Auflageobjekten von Christo und Jeanne-Claude, dazu Fotografien ihrer Werke von 1963 bis 2014 von Wolfgang Volz.

Anlässlich der Ausstellung gab Christo sein bisher einziges Interview für das bulgarische Publikum.
Mit der Unterstützung der Sofioter Stadtgalerie, des Bulgarischen Nationalfernsehens, des Teams des Künstlers und Skype steht Christo plötzlich vor mir. Wir können uns gut hören und sehen. Christo beruhigt mich, dass es er und kein anderer ist und dass er bereit ist, sich mit mir zu unterhalten. Ich frage ihn, ob er auch heute gemalt hat. Er sagt, dass er den ganzen Tag mit den Ingenieuren in Italien wegen des Projekts The floating Piers (Schwimmende Stege) am Telefon war. Wir unterhalten uns auf Englisch.

Wie haben Sie diese Ausstellung zusammengestellt?
Ich erstelle meine Originalwerke allein, mit meinen eigenen Händen, ich habe keinen Assistenten im Atelier. Ich habe einige kleinere Projekte vom Ende der 50-er, Anfang der 60-er Jahre gewählt, sowie Zeichnungen und Modelle unserer großen temporären Werke. Die Umsetzung der Projekte haben wir durch den Verkauf von Originalskizzen finanziert. In den letzten 50 Jahren haben Jeanne-Claude und ich 22 Projekte realisiert, für weitere 37 Projekte haben wir keine Genehmigung bekommen. Von den nicht umgesetzten Projekten haben wir nur wenige Originalskizzen, deswegen haben wir davon Drucke fertigen lassen. Wir verkaufen diese Drucke nicht selbst, die Verlage kommen zu uns und kaufen sie alle auf. Wir behalten als Autoren nur eine kleine Stückzahl, die wir Freunden schenken. In den letzten 50 Jahren haben wir viele solche Drucke erstellt. Diese Ausstellung zeigt mehr als 170 Werke, die unsere Arbeit während eines halben Jahrhunderts widerspiegeln. Die Ausstellung braucht keine teure Versicherung und ist logistisch unkompliziert. Deswegen ist sie eine gute Lösung, wenn eine Universität oder ein Museum eine Retrospektive unserer Arbeit machen wollen, ohne sich in eines unserer großen Projekte zu vertiefen. Das ist auch die Idee dieser Ausstellung – sie soll unsere Werke vom Anfang der 60-er Jahre bis heute präsentieren.

Sie verteilen selbst die Werke auf dem Grundriss der Räume der Galerie und machen das für jede Ausstellung. Was bringt Ihnen diese Anstrengung?
Das stimmt, ich mache es für alle meine Ausstellungen. Es gefällt mir, sie zu gestalten. Ich mache es, weil ich immer noch lebe und weil ich es liebe, zu entscheiden, wie meine Ausstellungen auszusehen haben, das macht mir Spaß.

Sie haben das Wort Liebe fallen lassen. Die Ausstellung präsentiert das 50-jährige Schaffen des Tandems Christo und Jeanne-Claude. Wieviel Prozent Ihrer Kunst sind Liebe?
Liebe ist etwas Allgemeines. Künstler ist kein Beruf, der Künstler kann nicht in Rente oder in die Ferien gehen. Kunst ist eine Lebensweise und nicht nur Liebe. Der Künstler atmet und lebt durch die Kunst. Es ist nicht wie ins Büro zu gehen und dann nach Feierabend etwas völlig anderes zu machen. Einige Künstler können es, ich persönlich meine aber, dass meine Werke mein wahres Leben sind. Eben deswegen hängt die Liebe mit dem Leben zusammen, mit dem Leben, in dem wir das sind, was wir sind. Oft sind wir unruhig oder zornig, in uns brodelt viel Energie und eigentlich ist die Liebe nie einfach Liebe, in der Liebe gibt es auch Angst und Probleme – und all das macht unser Leben so lebendig.


Aus der Perspektive dieser Ausstellung und ihrer Werke – worin, glauben Sie, waren Sie während dieser Jahre und worin weniger erfolgreich?
Jedes der Projekte ist sehr schwierig und hat seine eigene Dimension. In den letzten 50 Jahre hatten wir 37 Projekte, die wir nicht umsetzen konnten. Für einige haben wir eine Absage bekommen und wir haben es wieder versucht. Für das Berliner Reichstagsprojet haben wir beispielsweise drei Absagen bekommen und wir haben es wieder versucht. Zwei Absagen haben wir für Pont Neuf und eine für The Gates (Die Tore) bekommen. Für einige Projekte haben wir zunächst eine Absage und danach eine Genehmigung bekommen, aber dann hatten wir das Interesse verloren (Ein solches Projekt war die Verhüllung des Christophers Columbus Denkmals in Barcelona – Anmerkung des Autors). Andere Projekte wurden uns abgesagt und sie blieben für immer in unseren Köpfen und Herzen. Ein Beispiel dafür ist das Projekt The Floating Piers – 1971 haben wir die erste Absage bekommen. Eines soll man allerdings über unsere Projekte wissen: sie werden alle im Freien, in ihrem natürlichen Umfeld umgesetzt und befinden sich immer in besiedelten Gebieten.

Wir haben Projekte sowohl in Städten, als auch in ländlichen Räumen gemacht, es waren aber immer Orte, an denen Menschen lebten, an denen es Häuser, Telefonleitungen, eine Eisenbahn gab, weil man immer die Menschen als Maßstab braucht, um die eigentliche Größe des Projekts zu erkennen. The Floating Piers war eines dieser Projekte, bei denen die Idee einen geeigneten Platz erforderlich machte. Wenn Sie unsere Projekte der letzten 50 Jahre anschauen, so wird Ihnen auffallen, dass viele davon mit den Elementen Wasser und Erde zu tun haben. Die verhüllte Küste des Südpazifiks in Australien, die Surrounded Islands (Die umsäumten Inseln), der Verhüllte Pont Neuf. Die Beweglichkeit des Wassers und die Stabilität der Erde sind Bestandteil vieler unserer Projekte. 1971 haben wir den argentinischen Kunsthistoriker Jorje Romero Brest kennengelernt, dem unsere Arbeit gefiel und der uns nach Argentinien einlud, um dort ein Projekt zu machen. Ich war damals noch nie in Argentinien gewesen und von der Idee begeistert. So kam der erste Vorschlag für The Floating Piers am Flussdelta des Rio de la Plata in der Nähe von Buenos Aires – ein weiterer großer Raum. Ich habe damals einige Skizzen gezeichnet, es kam aber nie zu einer Umsetzung.

1995, nachdem wir die Verhüllung des Reichtags abgeschlossen hatten, versuchten Jeanne-Claude und ich die Idee von The Floating Piers in der Bucht von Tokio wiederzubeleben, in der sogenannten Region von Daiba, dort wollten wir zwei schwimmende Stege von je 100 Metern Länge bauen, die zwei künstliche Inseln verbinden sollten. Nach zweieinhalb Jahren Arbeit haben wir eine Absage bekommen, das Projekt wurde nie genehmigt. Ich erkläre all das, weil viele nicht wissen, wie so etwas vor sich geht und einfach sagen „Ah! Christo hat ein neues Projekt.“ Vor einem Jahr, 2014, wurde ich vom Gericht vorgeladen, da ich von der föderalen US-Regierung eine Genehmigung für das Projekt Over the River (Über dem Fluss) erhalten habe, es aber Widerstand dagegen gab, später kam die Geschichte mit dem Thronfolger in der königlichen Familie in Abu Dhabi und das verzögerte auch das Mastaba-Projekt. Ich war damals 79, hatte mein achtzigstes Lebensjahr angefangen und sagte deswegen zu Vladimir Yavachev, Wolfgang Volz, Jeanne-Claudes Neffen Jonathan und unserem Kurator Josy Kraft: „Schaut, ich kann nicht mehr warten, ohne an einem Projekt zu arbeiten, lasst mich arbeiten, solange mein Körper noch lebt“. Deswegen wollte ich etwas machen, dass keinen komplizierten Genehmigungsprozess brauchte.

1958 – 1964 lebten wir in Paris, reisten aber oft nach Italien. Dort hatten wir viele Freunde und Kunden, die unsere Arbeiten kaufen, womit wir unsere Projekte finanzierten. Wir brauchten einen ruhigen See, und ich kannte die Geschichte der vier Seen (Lago Maggiore, Lago di Como, Lago d’Iseo und Lago di Garda) und deren prägende Wirkung auf die Umwelt der Alpen an der Grenze zwischen der Schweiz und Italien. Dann sagte ich zu meinen Freunden, dass wir in diese Region gehen und eine geeignete Wasseroberfläche suchen werden. Wir haben selbstverständlich den Iseo-See gewählt, weil er in vieler Hinsicht einzigartig ist – in der Mitte liegt eine Insel namens Isola, das ist die größte Insel in diesem See, dort leben ca. 2000 Menschen.  Sie wohnen zwar in einer wunderschönen mittelalterlichen Gegend, haben aber keine Brücke und können die Insel nur mit dem Boot erreichen. Im kommenden Jahr 2016 werden sie 16 Tage lang auf dem Wasser gehen und die Insel über eine Pontonbrücke erreichen können.

Wir können es kaum erwarten. Ich weiß, dass Sie nicht gläubig sind, dieses Projekt lässt aber die Assoziation mit einem der Wunder Jesu entstehen – als er auf dem Wasser ging.
Ja, das ist sehr lustig. Ich freue mich, dass ich dieses Projekt nicht früher verwirklicht habe – damals war die Technologie nicht so weit entwickelt, und heutzutage machen eben die Technologien das Projekt so sexy, so attraktiv. Man kann buchstäblich auf dem Stoff gehen, das Gewebe selbst hält einen auf der Wasseroberfläche.

Früher hat man üblicherweise die Stege aus großen Zylindern gebaut, die mit Luft gefüllt waren und auf der Oberfläche schwammen. In den letzten 15-20 Jahren hat man eine Technologie entwickelt, mit deren Hilfe etwas ziemlich banales möglich wurde – man hat eine spezielle Baumethode für Stege entwickelt und das hat das ganze Verfahren sehr stark vereinfacht. Im neuen Stoff hat man Fasern, die sich in verschiedene Richtungen kreuzen und das Schwimmen auf der Oberfläche erlauben. So hängt eigentlich das Projekt direkt mit dem Material zusammen. Wir verwenden auch kubische Konstruktionen, 50 mal 50 Zentimeter, die sich unter dem Stoff befinden und durch riesige Verbindungselemente miteinander verbunden sind (wir haben 200 000 Kuben und 200 000 Verbindungselemente). Wenn eine Welle kommt, so gleitet die ganze Konstruktion, die 60 Meter breit und an einigen Stellen bis zu einem Kilometer lang ist, auf der Wasseroberfläche, zusammen mit der Welle. Wenn man auf der Konstruktion läuft, wird man spüren, dass sie sich wie eine Welle und nicht etwa wie ein Boot bewegt. Man wird außerdem barfuß gehen sollen, um die Bewegung des Wassers unter den Füßen zu spüren.

Sind Sie der Meinung, dass die gegenwärtige Kunst soziale Probleme lösen oder die Gesellschaft verändern kann?
Diese Idee gab es schon immer – Sie kennen den sozialen Realismus in der Kunst der Nazis, den chinesischen Realismus. Ich stehe aber fern von diesen Sachen. Die Beziehung zwischen der Kunst und diesen Problemen interessiert mich überhaupt nicht. Die Kunst steht jenseits von all dem. Die Kunst ist größer als alles Denkbare. Die Kunst steht über allem. Und ist mit nichts verbunden.

Ja, aber das Projekt Mastaba ist von allen Ihren Projekten am meisten mit einem konkreten Objekt verbunden, das heutzutage sehr wichtig für die Zivilisation ist – mit dem Erdölfass. Hat dieses Projekt ein anderes Ziel?
Natürlich. Zweimal, die ganze Zeit eigentlich, haben wir daran gedacht, das Projekt in Texas oder in Holland zu realisieren, es war immer mit Ländern verbunden, die in der Erdölindustrie Tradition haben. Texas hat Erdöl, und aus Holland kommt der riesige Erdölkonzern Shell. Das Projekt Mastaba befindet sich in den Vereinigten Arabischen Emiraten, aber nicht weil sie sich etwa darum bemüht haben. Erdölfässer sind sehr einfache Industrieobjekte, aus denen man unglaubliche Abstraktionen machen kann. Das ist ebenfalls ein Bild.

Übrigens ist mastaba ein viel älteres Bild als man denkt. Mastaba bedeutet Sitzbank. Die Sitzbank ist Teil der ersten städtischen Räume der Weltzivilisation – im antiken Mesopotamien hat man vor den Häusern ganz einfache Bänke aus Lehm gebaut, die man mastaba nannte. Später entstanden daraus die Pyramiden – die Grabkammern der Pharaonen. Heutzutage haben die Beduinen in ganz Abu Dhabi solche Sitzbänke, die sie mastaba nennen. Die ganze Idee ist rein von der Form her mit etwas sehr Typischem für diese Region verbunden – mit der Form, die mastaba genannt wird. Und natürlich sind unsere Fässer, obwohl es ganz normale Fässer sind, der Rolls-Royce der Fässer, weil sie eigens für uns hergestellt wurden. Sie verwandeln sich in eine unglaublich abstrakte Form – die senkrechte Fläche ist fast wie ein impressionistisches Bild – keine Stempel, keine Motive, alles ist völlig chaotisch, die runde Fläche ist etwas eintöniger, in gelb und orange. Für die Ästhetik ist aber die Proportion wichtig – 2:3:4 (150:225:300 Meter). Diese Proportion ist ziemlich merkwürdig, erst später haben wir herausgefunden, dass es auch die Proportion des Bernini-Platzes im Vatikan ist.

Es gibt auch weitere Sachen dieser Art – viele Leute haben uns beispielsweise gefragt, warum wir den Iseo-See gewählt haben. Wir haben ihn gewählt, weil er eine einfache Form hat, lang im Norden, biegt im Süden in Richtung Westen wie der lateinische Buchstabe L im Spiegelbild. Erst später haben wir erfahren, dass Leonardo das Luftbild des Sees gemalt hat, als er im Mailand gearbeitet hat und es gibt eine Theorie, die behauptet, dass im Hintergrund von Mona Lisa eigentlich der Iseo-See abgebildet ist. Wir haben den See nicht aus diesem Grund gewählt, auf die Information sind wir erst später gestoßen.

„Mastaba“ in Abu Dhabi wird mit ihren 410 000 farbigen Fässern die weltweit größte Skulptur-Installation sein. Das wird auch Ihr erstes Projekt sein, das nicht vorübergehend, sondern auf Dauer aufgebaut wird. Steht das nicht im Widerspruch zu Ihrer bisherigen Herangehensweise, wie man Kunst macht?
Wir arbeiten eigentlich nie nur an einem einzigen Projekt, da wir nicht sicher sein können, ob wir eine Genehmigung dafür bekommen. Wir arbeiten immer an mehreren Projekten gleichzeitig, sonst wäre die Enttäuschung zu groß. Als Jeanne-Claude starb, waren The Gates in New York 2005 abgeschlossen, wir arbeiteten aber schon lange an zwei weiteren Projekten – eines davon war Mastaba, das wir bereits 1979 begonnen hatten, als wir zum ersten Mal in Abu Dhabi waren - das letzte Mal waren wir zusammen dort 2007, und, natürlich, das Projekt Over the River, das wir 1992 begonnen hatten, aber der eigentliche Beginn war 1996.

Der Prozess läuft aber so, dass wir immer, wenn wir eine Genehmigung für ein Projekt bekommen, die Arbeit an den restlichen vorübergehend abbrechen, um es abzuschließen. Nachdem wir also The Gates 2005 abgeschossen hatten, hatten wir diese zwei Projekte in der Pipeline. 2011 bekam Over the River die Genehmigung, die im Moment vor dem Bundesgericht der USA angefochten wurde.
Parallel arbeiteten wir jahrelang am Projekt Mastaba, irgendwann gingen wir nicht mehr nach Abu Dhabi, da die Situation dort instabil wurde, Mitte der 80-er gab es Krieg mit dem Iran, als wir aber mit der Verhüllung des Reichstags und den Toren fertig waren, haben wir die Arbeit an Mastaba wiederaufgenommen. Mastaba ist ein sehr kompliziertes Projekt, weil es im Gegensatz zu den anderen Werken im Freien als dauerhafte Struktur bleiben wird.

Die ursprüngliche Idee war nicht für Abu Dhabi gedacht (in der Ausstellung werden Sie diesbezüglich einige Skizzen und Entwürfe sehen), sondern für Texas. Mitte der 60-er Jahre wollten wir ein verkleinertes Modell von Mastaba zwischen den Städten Houston und Galveston in Texas bauen, haben aber keine Genehmigung dafür bekommen. 1972 haben wir wieder versucht, ein verkleinertes Modell in Holland, auf dem Gelände des Kröller – Müller Museums, das die größte Sammlung unserer frühen Werke (von Anfang der 50-er bis Ende der 60-er Jahre) hat, zu bauen, haben aber auch dort keine Genehmigung bekommen. Deswegen haben wir erst 1977 begonnen, Mastaba in Abu Dhabi zu entwickeln. Die Schwierigkeit besteht darin, dass man Platz braucht, auf dem das Projekt lange stehen kann. Ähnlich wie beispielsweise der Eiffel-Turm. Im Gegensatz zu den normalen Skulpturen (und Mastaba ist keine Skulptur) braucht das Projekt eine Fläche von 20 Quadratkilometern. Deswegen haben wir die Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate, genaugenommen den Sheikh von Abu Dhabi, gebeten, uns eine Fläche von 4 mal 5 Kilometern zur Verfügung zu stellen.

Das Projekt wird sich in der schönsten Gegend im südwestlichen Teil Abu Dhabis, nahe der Grenze zu Saudi-Arabien und der Liwa-Oase befinden; die Gegend wird „Das leere Viertel“ genannt. Diese Gegend hat hohe Dünen, die sich nicht bewegen und mit Wildpflanzen bewachsen sind; dort gibt es selbstverständlich auch Städte und Dörfer, in denen Menschen leben. Die Dünen sind bis zu 50 Metern hoch und damit Mastaba sowohl aus der Tiefe, als auch aus der Höhe gesehen werden kann, soll es verschiedene Perspektiven haben. Deswegen wollen wir an diesem Ort eine Art Schutzgebiet errichten. Das Projekt wurde der Königsfamilie, den Söhnen von Sheikh Saied, vorgestellt, momentan steckt es aber wegen der Streitigkeiten um den Thronfolger in einer Sackgasse. Der Genehmigungsprozess ist außerordentlich kompliziert und hat nichts mit den normalen demokratischen Prozessen in den Ländern, die wir kennen, zu tun. Nichtsdestotrotz arbeiten wir weiter am Projekt, ich fliege Ende November nach Abu Dhabi, das Arbeitstempo ist dort allerdings ganz anders, es hängt mit vielen Entscheidungen zusammen, die ganz anders als in der westlichen Welt getroffen werden.

1957 fliehen Sie vor dem Kommunismus in den Westen. Jahre später nannte New York Times den verhüllten Reichstag „ein Denkmal der Demokratie“. Was würden Sie zu den Leuten sagen, die immer noch nicht die Gespenster und das Trauma des Kommunismus abschütteln können?
Jeanne-Claude sagte, wir sprechen nicht gern über Politik, sprechen wir also lieber über Kunst. Es stimmt, ich habe 1957 Bulgarien und später auch die Tschechoslowakei, die ebenfalls ein Satellitenstaat der Sowjetunion war, verlassen. Ich bin gegangen, weil ich Künstler sein wollte. Aus dem gleichen Grund habe ich heute keine Galerie, ich bin mit keiner Organisation verbunden, niemand steht über mir. Wir überleben dank unserer eigenen Bemühungen. Wir bitten niemanden um Geld, wir finanzieren uns selbst, indem wir das kapitalistische System bis zur letzten Möglichkeit ausnutzen, allerdings nach unseren eigenen Regeln. Das ist Freiheit. Ich habe meine Heimat mit 21 verlassen, weil ich echter Künstler sein wollte, weil ich das machen wollte, was ich liebte und weil ich keine Fragen der Art „warum steht das hier und nicht dort“ beantworten wollte. Wir haben kein einziges Auftragsprojekt. Keiner hat uns gebeten, in Abu Dhabi, auf dem Iseo-See, in Japan, Kalifornien oder Australien zu arbeiten – wir haben all diese Projekte selbst initiiert.

Einer der Vorteile, Künstler zu sein, besteht darin, dass man machen kann, was man will. Alle Werke von Jeanne-Claude und von mir sind völlig nutzlos, völlig sinnlos, kein Mensch braucht sie. Die Welt kann ohne Valley Curtain (Tal-Vorhang) oder Running Fence (Laufender Zaun) leben. Wir tun nichts Gutes oder Böses, alle moralischen Diskussionen sind hier völlig fehl am Platz. Die Arbeit des Künstlers ist die absolute Freiheit und steht fern von Politik, Moral und sonst etwas. Ein Projekt nutzt selbstverständlich die Politik und alles andere als Mittel zu seiner Umsetzung, hat aber nichts mit diesen Themen zu tun. Deswegen machen wir keine Aufträge, weil sich ein Projekt durch den Genehmigungsprozess selbst entfaltet.

Es wäre falsch, Ihnen zu erzählen, wie wir das Reichstag-Projekt zur Zeit der Entstehung der Idee 1972-1973 gesehen haben, weil es 25 Jahre brauchte, um den Reichstag tatsächlich verhüllt zu sehen. Die Größe des Projekts entfaltet sich im Genehmigungsprozess, deswegen ist es wichtig, dass das Projekt eben in diesem Prozess seine Identität entwickelt. Wir sagen oft, dass dies die Software unserer Arbeit ist – sie ist nicht physisch präsent, sondern fasst den Intellekt von Tausenden von Menschen zusammen, die uns zu bremsen oder zu unterstützen versucht haben.

Ein Teil der Software Ihrer Kunst wird in der Sofioter Stadtgalerie, zum ersten Mal in Bulgarien, zu Gast sein. In Bulgarien mögen viele Ihre Kunst. Was würden Sie zu ihnen sagen?
Ich bin glücklich, dass viele unsere Arbeit mögen, sie sollen etwas Zeit mit unseren Werken in der Ausstellung verbringen, dort sind sie sehr leicht zugängig. Es werden auch einige Dokumentarfilme gezeigt. Die Leute sollen es selbst sehen und sich eine Meinung bilden. Alle 170 Exponate sollen aber entziffert werden. Sie sind keine gewöhnlichen Zeichnungen, die aus der Ferne betrachtet werden können. Sie brauchen Entzifferung, Assoziationen, Verbindungen, man soll die Geschichte des Werkes kennen.

In gewisser Hinsicht ist dieses Projekt sehr persönlich. Es gibt zum Beispiel eine verhüllte Zeitung, das ist die erste Seite einer New-York-Times-Zeitung von 1985, man soll aber wissen, dass das Datum nicht irgendein Datum ist – der 13. Juni 1985 war mein und Jeanne-Claudes 50. Geburtstag, da wir beide am selben Tag und im selben Jahr geboren sind. Ein weiteres lustiges Detail ist, dass in einer Überschrift eine Entscheidung des Präsidenten Reagan erwähnt wird, in dem er das Wort „verhüllt“ verwendet. Viele Details sind also mit ganz persönlichen Momenten unseres Lebens verbunden.

Sie sagen, dass jeder Künstler richtig glücklich ist. Woher kommt das Glück?
Ein Künstler ist glücklich, wenn er Schöpfer ist. Dabei geht es nicht um reines Glück, weil man Zweifel und Besorgnis spüren kann, weil man verschiedene Emotionen oder Probleme haben kann, sie sind aber alle Teil des schöpferischen Prozesses. Ich habe das Kommando. Auch wenn ich Stress habe, habe ich selbst diesen Stress oder diesen Zorn verursacht, alles ist Teil des schöpferischen Prozesses. So bin ich natürlich nicht glücklich, weil der Stress von etwas kommt, dass nicht gelöst werden konnte, von einer widersprüchlichen Idee, die mir zu denken gibt – von all diesen Dingen, die man nicht einfach so „Glück“ nennen kann. Diese Chemie findet aber ununterbrochen statt und Glück heißt nicht, einfach zu lächeln, sondern das Leben zu genießen.

Auf welcher Art und Weise nimmt Jeanne-Claude heute an Ihrer Arbeit teil?
Jeanne-Claude fehlt mir die ganze Zeit. Sie war sehr kritisch und hat immer alles mit Argumenten kritisiert. Das fehlt mir jetzt. Ich habe die kritische Meinung von Jonathan, Vladimir, Wolfgang Volz, Josy Kraft, es ist aber nicht dasselbe, weil das vielleicht der wichtigste Teil des Prozesses war – wir entscheiden nicht im Studio, wie der Prozess auszusehen hat. Manchmal hatte Jeanne-Claude Ideen, manchmal ich, dann habe ich selbst die Skizzen für alle Werke gezeichnet, die ich später mit dem Namen Christo unterzeichnete.

Es ist aber unmöglich, im Studio zu entscheiden, wie etwas aussehen wird. Dazu brauchen wir die echten Bedingungen, den echten Wind, die echte Sonne, den echten Regen. Jeanne-Claude sagte immer, dass jeder Ideen haben kann, das Schwierige aber der physische Aufbau ist. Es ist sehr wenigen bekannt, dass wir aus diesem Grund für alle unsere Projekte an einem heimlichen Ort Modelle in Originalgröße, mit Originalmaterialien, aus Originalteilen, in Originalfarbe usw. gebaut haben, um zu entscheiden, wie sie aussehen werden. Vor der Umsetzung der Projekte wissen wir nicht, wie sie sein werden. Wir können nicht wissen, wie sie zum Schluss sein werden, weil sie so Vieles absorbieren.

Es wird uns immer ein stark geregelter, durch Urbanisten, Politikern und allen möglichen Faktoren bestimmter Ort aufgezwungen. Das ganze Umfeld wird durch die Einbindung einer Menge unterschiedlicher Ziele geprägt. Jeanne-Claude hat immer gesagt, dass wir uns an diesen Ort begeben müssen, wir sollen dort ein paar Tage unterwegs sein und eine zarte Unruhe entstehen lassen. Vom Ort bekommen wir alles, was für seine künstlerische Verwandlung notwendig ist. Wir erfinden nicht die Politik im Reichstag, wo sich die echte Politik befindet. Wir erfinden nicht die Umwelt im Biscayne Bay in Florida, weil es dort eine echte Umwelt gibt. Ich sage Ihnen, was das Wort „echt“ bedeutet – ein Film über den Krieg bleibt einfach ein Film über den Krieg, die Skizzen und die Recherchen zum verhüllten Reichstag bleiben einfach Skizzen des verhüllten Reichtags. Für 14 Tage im Jahr 1995 gab es aber DEN Reichstag – das ist nun echt. Echt wie der echte Raum – ein echter Fluss, ein echtes Gebirge. Deswegen meine ich, dass die meiste Kunst in erster Linie ein Abbild ist. Wir haben das Fernsehen, wir haben Filme, Bilder etc., diese Bilder sind aber nur eine Erzählung über das echte Ding. Sie selbst sind nicht das echte Ding. Das echte Ding ist das echte Ding.

Sie haben enorme Energie. Woher kommt sie?
Viele Menschen haben Energie, ich genieße sie aber. Vielleicht weil Jeanne-Claude und ich froh waren, das zu machen, was wir liebten. Unsere Arbeit ist nicht langweilig, sie ist wie eine Entdeckungsreise, weil wir nie ein und dasselbe machen, sondern jedes unserer Projekte ein völlig unbekanntes Gebiet erforscht. Nicht dass wir den gesunden Verstand abgeschaltet haben, nein, es gab aber Dinge, die wir unmöglich vorhersehen konnten. Ein Brückenbauer weiß, wie man eine Brücke baut, ein Architekt weiß, wie man einen Wolkenkratzer baut. Bei uns ist aber jedes Projekt dermaßen unterschiedlich, dass wir immer alles neu entdecken müssen. Wir müssen neuen Sinn schaffen, viele Leute treffen, was selbstverständlich zu einer Reihe von Problemen und Widersprüchen führt.

Schließlich hat das unser Leben bereichert. In der Welt der Kunst kommuniziert man normalerweise nur mit der professionellen Kunstszene: mit Künstlerkollegen, Kuratoren, Museumsleitern, Kunsthistorikern und Schriftstellern… Wir haben aber so viele Menschen kennengelernt, die nichts mit Kunst zu tun haben.

Für das Projekt The Umbrellas (Die Schirme) haben wir uns monatelang mit japanischen Bauern, die Reis anbauen, unterhalten: der jüngste war 62, und der älteste um die 90 Jahre alt; keiner von ihnen sprach eine Fremdsprache, wir hatten aber einen großartigen Dolmetscher. Diese Gespräche waren ganz anders als die Diskussionen mit den deutschen Politikern vom Bundestag in Zusammenhang mit der Verhüllung des Reichstagsgebäudes. Die Tatsache, dass wir so viele unterschiedliche Sachen machen, hat unser Leben angeregt und bereichert.