Enzio Wetzel im Gespräch
„Hier ist es europäischer geworden“

Enzio Wetzel, Institutsleiter vom Goethe-Institut Bulgarien
Foto: © Photo-Corps

In diesem Jahr feiert das Goethe-Institut Bulgarien zugleich mit anderen Jubiläen sein eigenes Jubiläum – nämlich seine 30 Jahre aktive Tätigkeit in der Förderung des kulturellen Austauschs und der Zusammenarbeit zwischen Bulgarien und Deutschland. Elisaveta Stancheva im Gespräch mit Enzio Wetzel, Leiter des Goethe-Instituts Bulgarien, über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft des Instituts.

Das Goethe-Institut in Bulgarien wird dieses Jahr 30. Was kommt Ihnen ins Gedächtnis, wenn Sie an 1989, das Jahr der Gründung sowie der Wende, zurückdenken?

Für mich war das erstmal nicht so aufregend, ich hatte keine Familie oder Freunde in der DDR, war immer in Süddeutschland gewesen. Aber ein Freund, ein Münchener Jurist, war total aus dem Häuschen und kaufte sich ein Flugticket nach Berlin und war noch rechtzeitig dabei, als die Mauer wirklich fiel!

Wann ist Ihnen ein erster Begriff von unserem Land begegnet, könnten Sie sich vielleicht daran erinnern?

Der erste Begriff war „Tursko Robstvo“. Ich fragte meine Mitarbeiterin: Was ist denn das für ein Joch bitte? Und sie erklärte es mir, es war wie im bulgarischen Schulunterricht und ich ein schlechter Schüler. Danach habe ich überall in der Haltung und der Körperhaltung der Bulgar_innen dieses Joch wiedergefunden.

Sie sind Leiter des Goethe-Institutes in Sofia seit 2014, wo haben Sie bisher beruflich gelebt, wohin geht es weiter?

Wir waren als Familie (Paar und 3 Kinder) viele Jahre in Kairo, Ägypten. Das war eine prägende Zeit. Danach war ich lange in München, in der Zentrale, und Bulgarien war dann die erste Stelle im Ausland ohne unsere Kinder. Nun geht es nach Kyoto/Osaka, ein Verbund-Institut und zugleich eine Künstler_innenresidenz – und wir treffen zugleich unseren ältesten Sohn, der mit seiner Familie in Tokio lebt.

Enzio Wetzel, Institutsleiter vom Goethe-Institut Bulgarien Foto: © Photo-Corps Wie waren Ihre erste Eindrücke von Bulgarien? Hat sich, Ihrer Meinung nach, etwas an dem Land in diesen 5 Jahren geändert?

Ja, es ist einfach normaler, europäischer geworden, man muss nicht mehr Bulgarien „für immer“ verlassen und es kommen auch mehr Leute zurück. Wirtschaftlich geht es aufwärts. Die freien Szenen sind noch selbständiger und selbstbewusster geworden. Die Jungen nehmen die etablierten, zum Teil verkrusteten alten Strukturen nicht mehr ernst, das ist gut und schlecht zugleich.

In dieser Zeit hat das Institut mehrere Veranstaltungen und Initiativen unterstützt, erzählen Sie uns was von der Küche, was haben Sie persönlich miterlebt?

Einer meiner ersten Besucher war Galin Popov. Niemand in meinem etablierten Team kannte ihn, ein junger Kerl aus Veliko Tarnovo. Er hatte aber dort die Bar TAM gegründet und suchte spannende Leute. Ich sollte Stefan Goldmann, DJ am berühmten Club Berghain in Berlin einladen. Stefans Vater war ein bekannter Komponist – Friedrich Goldmann – gewesen, aber seine Mutter war aus Sofia. Das war der Punkt. Stefan kam, machte eine abenteuerliche Tournee – und kommt seitdem immer wieder.

Ich erinnere mich gerne an ein absolut klassisch balkanisches Essen, wo dann drei Klischee-Musiker an unseren Tisch kamen und so lange geblasen und gehupt und geschluchzt haben, bis ich offenbar genug bezahlt habe. Das Essen war total gut, ich bin Vegetarier, und von mir aus könnte ich mich auch weiterhin von weißem und gelbem Käse und Salat und Grill-Gemüse ernähren.

Es gibt hier überraschende Begegnungen und auch plötzliche kommunikative Sperren, beispielsweise wenn ein ehemaliges Mitglied der Derzhavna Sigurnost auf dem Podium auf der Buchmesse sitzt, den ahnungslosen deutschen Autor eines Werks über die deutschen Vergangenheiten mit freundlichen Worten umgarnt – alle wissen es und niemand sagt was.

An welche Initiativen des Goethe-Institutes in Sofia denken Sie, wenn Sie die vergangenen 30 Jahre kurz überblichen sollten?

Also Joachim Gauck war hier, als er noch Leiter des Archivs der Staatssicherheit und der entsprechenden Behörde war, auch Karlheinz Stockhausen, Herta Müller, oft Wim Wenders, aber was dem Goethe-Institut immer wichtig ist, auch Künstler, Musikerinnen, Autorinnen und Architekten, die (noch) nicht international bekannt sind, und die dadurch mit ihren bulgarischen Gesprächspartner_innen eine anderen Weltsicht, Methodik, einen anderen Stil, andere Herausforderungen und Lösungen kennenlernen, wie die Künstlerin Anna Witt, der urbane Aktivist und Kulturmanager Christophe Knoch, oder der Musiker Andreas Martin Hofmeir, der mit seiner Tuba anlässlich der 30 Jahre mit dem Sofia Symphonie Orchester im Oktober im berühmten Sala Bulgaria spielen wird.

Die Initiative, die das prototypisch über meine gesamte Zeit begleitet hat, ist die Akademie Kulturmanagement, die, von der Stadt Sofia begonnen, inzwischen auch junge Kulturschaffende aus Bukarest, Sarajevo und Thessaloniki beteiligt, und die nächste Woche auf Einladung der Kulturhauptstadt 2019 in Plovdiv das erste große Netzwerktreffen veranstaltet. Mit dabei sind Mentorinnen aus den Kulturinstituten von Großbritannien, Polen, Tschechien und Frankreich. Und ganz aktuell gibt es jetzt endlich, im dreißigsten Jahr seines Bestehens, „Deutsch in Aktion“, das Sommerprogramm für Kinder.

Sommerfest: 30 Jahre Goethe-Institut Bulgarien, Zhar Theater Foto: © Photo-Corps Am 22. Juni, anlässlich des Jubiläums, hat ein Sommerfest in und vor dem Gebäude des Goethe-Instituts stattgefunden. Die Budapesta Straße 1-3 wurde für den Verkehr gesperrt und für die Kultur geöffnet. Wie sind die Festlichkeiten gelaufen?

EW: Es war ein tolles Fest, das Sofioter Blasorchester unter Juli Dаmyanov – der schon mit meinem Vorvorvorvorgänger Hans-Günther Nagel in den 90er Jahren gespielt hatte – sorgte für wunderbare Blasmusik,  wunderbare weiße Kunstgestalten begeisterten die Kinder am Nachmittag, später kam ein klasse DJ, und im Innenhof lief eine Kurzfilmreihe.

Das Goethe-Institut war das erste „westliche Institut“ in Bulgarien, wie es damals bezeichnet wurde, und hatte dadurch eine besondere Verantwortung. Wo sehen Sie das Institut heute und was wünschen Sie sich für die Zukunft? 

Heute haben wir immer noch eine besondere Rolle: Natürlich beim Deutschunterrichten und der Information über Deutschland – aber auch beim Thema der Vergangenheit, des Geheimdienstes, der Verquickung von gesellschaftlichen Entwicklungen und nationalistischen Ideen – und vielleicht ab und an bei der zeitgenössischen Kunst, der Musik und dem Tanz: wenn sich Künstler*innen aus den beiden Ländern treffen und etwas miteinander zu tun bekommen.

Sommerfest: 30 Jahre Goethe-Institut Bulgarien Foto: © Photo-Corps Dieses Interview ist zuerst erschienen in actualno.com (Juli 2019).