Oktoberfest
Die Zapfhähne bleiben zu

Bayerische Bierkultur
Bayerische Bierkultur | © Studioworkstock, Colourbox

Auf der Theresienwiese mitten in München sollte es in ein paar Monaten nur so wimmeln von Transportern, die Bierzeltkonstruktionen anliefern. In diesem Jahr werden sich allem Anschein nach aber höchstens vereinzelte Radfahrer hierher verirren. Am 21. April gaben die Organisatoren des Oktoberfests bekannt, dass das weltweit größte Bierfestival für das Jahr 2020 abgesagt wird. Wirtschaftlichen und kulturellen Einschnitten zum Trotz.

Von Lucie Römer

Ganz oder gar nicht

Deutschland hat in der zweiten Aprilhälfte ähnlich wie Tschechien und weitere europäische Länder damit begonnen, die wegen der Covid-19-Pandemie verhängten Maßnahmen zu lockern. Geschäfte mit bis zu 800 Quadratmeter Fläche dürfen wieder öffnen, in einigen Regionen gehen Kinder und Jugendliche teilweise bereits wieder zur Schule. Die letzten Bundesländer haben allerdings gleichzeitig nun auch eine Maskenpflicht eingeführt (in einigen Ländern nur im öffentlichen Nahverkehr, anderswo auch in Geschäften) und das Durchführen von Kulturveranstaltungen bleibt bis Ende August verboten. Zunächst hatten die Veranstalter des Oktoberfests, das in diesem Jahr am 19. September beginnen sollte, eine finale Entscheidung über das (Nicht-)Stattfinden erst für Mitte Juni avisiert, dem letztmöglichen Termin zur Vertragsunterzeichnung mit dem Sicherheitsdienst des Oktoberfests.

Auf dem Volksfest, auf dem ein nicht gerade geringer Teil der sechs Millionen Besucher*innen ein paar Promille im Blut hat, die vorgeschriebenen Abstandsregeln einzuhalten, wäre eine Herausforderung gewesen. Die Maß Bier durch einen Mundschutz zu trinken würde jedoch nicht einmal Chuck Norris schaffen und daher haben sich die Organisatoren dazu entschieden, nicht weiter abzuwarten, sondern das Volksfest für dieses Jahr abzusagen.

„Wir hätten normalerweise ein großes Interesse, dass dieses Fest stattfindet. Aber wir leben in besonderen Zeiten. Und auch mit Corona zu leben, heißt, vorsichtig zu leben“, sagte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder auf der Pressekonferenz am 21. April, der gemeinhin als Verfechter von strengeren Maßnahmen gegen das Coronavirus bekannt ist. Es heißt, man habe sich mit den Organisatoren darauf geeinigt, dass das Risiko einfach zu groß sei.

Das Oktoberfest wird jährlich von Gästen aus ungefähr 50 Ländern besucht. Und Deutschland hat leider erst kürzlich Erfahrung mit einem deutlichen Anstieg der Zahl der Infizierten gerade an Orten gemacht, an denen sich Menschen aus aller Welt treffen, wie den Skiarealen in den Alpen und bei den beliebten Karnevalsfeiern. „Mit Corona zu leben, heißt vorsichtig zu leben, bis es Impfstoff oder Medikamente gibt“, schrieb Söder auf Twitter. „Das Gesamtkunstwerk Oktoberfest gibt es entweder ganz – oder gar nicht“, bestätigte Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner. Eine Verschiebung oder ein verkleinertes Fest sei keine Option gewesen.

Eine bittere Pille

Der Münchner Bürgermeister Dieter Reiter schätzte die Umsatzausfälle auf knapp 1,3 Milliarden Euro (32,6 Milliarden Tschechische Kronen) und nannte die Situation „eine bittere Pille“, deren Folgen die Münchner nicht nur finanziell zu spüren bekommen werden. Die septemberliche Bierorgie hat zwar sicherlich zahlreiche Gegner, aber viele Einheimische lieben all die Maßkrüge, Brezn, saftigen Brathendln, die Geselligkeit und den Trachtenumzug einfach.

Das Oktoberfest findet seit 1810 statt und seit dieser Zeit wurde es zu einem Teil der Identität vieler Bayern – es ist also kein Zufall, dass ungefähr 70 Prozent der Volksfestbesucher Einheimische sind. Zugleich gilt, dass das Oktoberfest die Nummer eins der Münchner, der bayerischen aber auch der deutschen Touristenattraktionen ist, von der es nicht umsonst Kopien in Tokio oder Mexico City und von Alaska bis Cape Town gibt. Es ist das wichtigste internationale Werbemittel für die lokalen Brauereien, die jedes Jahr auf der Theresienwiese über sieben Millionen Liter Bier zapfen. Das wurde zwar für das Oktoberfest noch nicht gebraut – damit wird traditionell erst im Juli begonnen –, die Einbußen spüren die bayerischen Brauereien allerdings umso mehr, da sie langfristig mit dem Rückgang des Bierkonsums zu kämpfen haben.

Und die wirtschaftlichen Auswirkungen der aktuellen Entscheidung betreffen nicht nur den Ausschank. Es werden nicht wie sonst 120.000 Paar Würste, 460.000 Hähnchen und 104 Ochsen verspeist, es werden keine Brezeln gebacken, die Blasorchester werden keine Einkünfte haben, es wird keine Eintrittsgelder und Einnahmen für Fahrgeschäfte und sonstige Attraktionen geben; die Umsatzausfälle betreffen alle, über zehntausend Menschen, die auf der „Wiesn“ arbeiten. (Allein um die Sicherheit kümmern sich beispielsweise in den 16 Tagen Heiterkeit 1.200 Männer und Frauen.) Und das strapaziert auch die Konten von vielen anderen. Den Flughäfen, Taxifahrern, Restaurants, der Hotellerie (in ihrem Fall ist ein Umsatzverlust von einer halben Milliarde Euro zu erwarten), den Fremdenführern und weiteren Attraktionen der Stadt sowie den Bordellen brechen die Einnahmen weg.

Die Wiesn-Wirte reagieren auf die Entscheidung „mit großem Bedauern, aber ebenso großem Verständnis“. Der Wirtesprecher Peter Inselkammer bezeichnet den Schritt als „logisch und notwendig“. Weniger Verständnis hat allerdings beispielsweise Peter Bausch, der Vorsitzende der Münchner Schaustellergesellschaft. Er machte in der Süddeutschen Zeitung darauf aufmerksam, dass es wieder einer von vielen Einschnitten sei, da die Schausteller seit Ausbruch der Corona-Krise mit einem kompletten Einnahmeausfall zu kämpfen haben. „Unser Angebot können wir leider nicht to go anbieten wie andere Unternehmer“, sagte er. Ohne staatliche Hilfe werden sie wohl nicht auskommen.

Das diesjährige Oktoberfest wäre das 187. gewesen. Auch wenn das Coronavirus den längsten Zeitraum ohne Pause nun auf beispielslose Weise unterbrochen hat, also insgesamt lange 72 Jahre, so ist der diesjährige Jahrgang nicht der erste, der aus dem Kalender gestrichen wurde. Die Theresienwiese, auf der das Volksfest stattfindet, wurde nach der Mutter des bayerischen Königs Ludwig I. benannt, die 1854 an der Cholera verstarb, genauso wie weitere rund 3.000 Münchner. In dem Jahr fand das Oktoberfest ebenfalls nicht statt, genauso wie 1873, wieder wegen der Cholera. Insgesamt wurde das Fest in den zwei Jahrhunderten seiner Existenz ungefähr zwanzig Mal abgesagt, hauptsächlich wegen verschiedenen Kriegen und der Inflation.

Oktoberfest in München
Oktoberfest | © Colourbox

Kultur im Herbst – weiterhin nur online?

Das Oktoberfest ist jedoch nicht das einzige Festival auf der Liste der Corona-Opfer. Bis Ende August wurden auch weitere Volksfeste, Festivals und kulturelle Großveranstaltungen abgesagt und nach dem Münchner „Adieu“ fallen nun auch weitere Termine im Herbst aus. Zu denen zählt beispielsweise auch das traditionelle bayerische Annafest, das in diesem Jahr sein 180. Jubiläum feiern sollte.

In der Tschechischen Republik wurden ähnliche Veranstaltungen bislang bis Ende Juni abgesagt und über dem Sommer hängt ein großes Fragezeichen. Viele Kulturveranstaltungen finden nun online statt – für die Bildschirme ihrer Unterstützer spielen regelmäßig beispielsweise das Theater Dejvické divadlo, der Palác Akropolis und die Tschechische Philharmonie. Sommerfestivals wie Colours of Ostrava und das Sázava Fest visieren eine Entscheidung über die diesjährige Ausgabe Ende April an. Einige Veranstaltungen, beispielsweise das deutsch-tschechische Erzgebirgsfestival in Königsmühle, wurden bereits abgesagt. „In den Vorbereitungen steckt so viel Arbeit, dass mich die Vorstellung, dass ich alles umsonst geplant habe, fassungslos macht“, kommentiert der Organisator des Fests in Königsmühle, Petr Mikšíček, die Entscheidung auf Facebook. Die Durchführung internationaler Veranstaltungen wird zudem durch die die Öffnung der Grenzen betreffende Unsicherheit verkompliziert. Auf der anderen Seite informieren kulturelle Highlights im Herbst wie das Weinfest Pálavské vinobraní im September oder das Internationale Dokumentarfilmfestival Ji.hlava im Oktober bisher über das Stattfinden zu den geplanten Terminen.

Was das Oktoberfest betrifft, so werden in diesen Tagen gerade erste Spekulationen angestellt, wie sich seine Fans ihre Wunden auf der Seele und im Portemonnaie auf der nächsten Wiesn lecken werden. Als eines der wahrscheinlichen Szenarien ist aktuell die Verlängerung seiner Dauer von zwei auf drei Wochen im Gespräch. Und in diesem Jahr könnten Sie sich aufs Fahrrad setzen und durch die Wiesen radeln. So wie es aussieht, allerdings nicht auf der Theresienwiese.

Oktoberfest in München
Oktoberfest in München | © Colourbox

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