300 Jahre Münchhausen
Weltberühmter Aufschneider

Münchausenstatue in Lettland
Münchausenstatue in Lettland | © Goethe-Institut

Ach, den gab es wirklich? Seine Lügengeschichten sind weltweit bekannt. Doch Baron von Münchhausen ist nicht nur Kunstfigur und Filmheld, sondern eine historische Person. 2020 feiert der fabulierende Adlige seinen 300. Geburtstag.

Von Alexander Welscher

Meerschaumpfeife im Mund und einem Glas Punsch in der Hand, liebte es Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen (1720–1797), in geselliger Runde seine abenteuerlichen Geschichten aus seiner Zeit im russischen Regiment zu erzählen, die er mit viel Phantasie auszuschmücken wusste. Als Schwärmer und Schwätzer mit uferloser Freude am Fabulieren, der in seinen märchenhaft ausgeweiteten Erzählungen Traum von Wirklichkeit nicht immer zu unterscheiden wusste, erlangte er Weltruhm. Seine Geschichten kennt heute noch jedes Kind - es gibt in rund 50 Sprachen übersetzte Bücher, liebevoll illustrierte Bildergeschichten und viel beachtete Filme. 

BEGNADETER ERZÄHLER STATT LÜGENBARON

Doch was dem am 11. Mai 1720 auf dem elterlichen Gut im niedersächsischen Bodenwerder geborenen Münchhausen passiert ist, müsste man eigentlich fast schon als Rufmord bezeichnen. Denn er selbst hat niemals auch nur eine Zeile seiner angeblichen Abenteuer zu Papier gebracht. Niedergeschrieben haben sie andere – und damit den Ruf und Mythos des unfreiwillig zum Titelhelden der fantastischen Abenteuer zu Wasser, zu Lande und in der Luft gewordenen Freiherrn begründet. Bis heute gilt Münchhausen im deutschen Sprachgebrauch als „Lügenbaron“. Dabei sei er das eigentlich gar nicht gewesen, meint die Historikerin Tina Breckwoldt, die zum Jubiläum ein Buch über das Leben des echten Geschichtenerzählers veröffentlicht hat.

Münchhausen sei es darum gegangen, schöne Geschichten zu erzählen, die unterhalten und andere erfreuen sollten. „Er war einfach ein absolut begnadeter Erzähler, der es geschafft hat, seine Geschichten lebendig werden zu lassen“, betonte Breckwoldt im Deutschlandfunk Kultur und zieht Parallelen zum Improvisationstheater. Der Unterhaltungswert des Ich-Erzählers für seine Zuhörer sei hoch gewesen: Münchhausen war weit gereist, hat viel erlebt und beeindruckte seine Jagdfreunde mit tolldreisten Anekdoten, die je nach Lust und Laune erkennbar übertrieben fabuliert waren.
 
Auch die Journalistin Anna von Münchhausen hält ihren berühmten Vorfahren für einen “begabten Fabulierer” statt einen dreisten Blender. “Obwohl es ihm wohl für immer und ewig anhaften wird, ist das Etikett ‘Lügenbaron’ unfair. Er hat nicht gelogen. Er hat seine Erlebnisse mit Hilfe seiner grenzenlosen Phantasie angereichert, sodass Wahrheit und Fiktion verschwimmen, untrennbar, unauflöslich werden“, schreibt sie in ihrem neu erschienenen Buch zum 300. Geburtstag von Münchhausen über das aus ihrer Sicht ungerechte Negativ-Image des Freiherrn.

LEBEN UND LIEBE IN LETTLAND

Die Erzählungen des „Lügenbarons“, der über diesen Namen zu seinen Lebzeiten entsetzt war, speisten sich aus dessen Lebensweg und den Erlebnissen auf seinen Reisen und während seiner Militärzeit. Einige davon erlebte er vermutlich in Dunte im heutigen Lettland. Sechs Jahre lebte Münchhausen dort mit seiner ersten Frau Jacobine von Dunten auf dem livländischen Gutshof von deren Familie. Geheiratet hatte er die Tochter eines deutsch-baltischen Landadligen am 2. Februar 1744 in der Kirche von Pernigel, dem heutigen Liepupe nahe Dunte – der Eintrag im Kirchenregister ist erhalten geblieben. Münchhausen war zu der Zeit als Offizier in der damals zum russischen Zarenreich gehörenden Garnisonstadt Riga stationiert.
 
„Münchhausen ist ein interessanter Charakter gewesen. Alle denken, dass er nur eine Kunstfigur war. Aber er war eine reale Persönlichkeit“, so  Agnese Ašmane vom Münchhausen-Museum in Dunte. Dort, rund 60 Kilometer nördlich von Riga, ist der berühmte Fantast in der Minhauzena pasaule – lettisch für Münchhausens Welt -  allgegenwärtig. Die geplanten Feierlichkeiten zum Jubiläum konnten wegen der Corona-Pandemie zwar nur in kleinem Rahmen abgehalten werden, immerhin konnte das überschaubare, aber liebevoll eingerichtete Museum unter Auflagen weiter Besucher empfangen.
 
Untergebracht ist es im wieder aufgebauten Gutshaus, das sich unweit der inzwischen abgebrannten Dorfschänke befindet. Dort soll Münchhausen seine Jagdgeschichten und Schwänke zum Besten gegeben haben, die er später nach der Rückkehr nach Bodenwerder im Jahr 1750 weiter ausschmückte. In Lettland habe der als Pferdenarr und passionierter Jäger geltende Freiherr nach Einschätzung von Breckwoldt gelernt, Geschichten zu erzählen. „Da gibt es eine große Erzähltradition“, meint die Biografin.

WELTSTAR WIDER WILLEN

Noch zu Lebzeiten zur unfreiwilligen Legende machten Münchhausen aber andere: Der Schriftsteller und Gelehrte Rudolf Erich Raspe (1736–1794) übersetzte ungefragt eine 1781 erschiene Sammlung von Geschichten ins Englische, die einem gewissen Herrn M-h-s-n zugeschrieben wurden, nannte Münchhausen als Autor und veröffentlichte sie in London. Der Göttinger Gelehrte und Dichter Gottfried August Bürger (1747–1794) wiederum übersetzte den Erzählband zurück ins Deutsche und erweiterte ihn mit noch mehr erfundenen eigenen Episoden. Das Buch wurde ein Bestseller – und die Geschichten von Münchhausen gegen dessen Willen zur Weltliteratur.
 
Auch die wohl berühmteste Geschichte – der Ritt auf der Kanonenkugel – stammt nach Experteneinschätzungen von Bürger. In Deutschland wurde sie vor allem durch den legendären Münchhausen-Film von 1943 bekannt, in dem Kinostar Hans Albers in der Titelrolle für damalige Kino-Verhältnisse erstaunlich echt wirkend durch die Luft flog. In der ehemaligen Sowjetunion wurde Münchhausen durch eine Verfilmung seiner Abenteuer in den 1970er Jahren ebenfalls bekannt und populär. Der Offizier der Zarin, der sich am eigenen Schopf selbst aus dem Sumpf zieht, gilt seitdem als Vorbild für die Gabe, nicht alles im Leben allzu ernst zu nehmen.
 
Auch für Agnese Ašmane ist es genau das, was Münchhausen so faszinierend macht und womit sich jeder identifizieren könne. „Das klingt unwirklich, aber dabei machen wir genau das jeden Tag. Wir ziehen uns auch selbst heraus aus allem Möglichen“, meint die Museumsführerin, die in Dunte für Besucher regelmäßig in die Rolle der Jacobine schlüpft. Münchhausens Abenteuer seien kurze, aberwitzige Episoden, die trotz ihrer Skurrilität immer einen wahren Kern aufweisen. „Es gibt viele Geschichten, die in Realität heute ziemlich wahr sind“, meint Ašmane. „Alle denken, dass er ein Lügner war, aber er hatte Recht.”

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