Im Hier und Jetzt
Feste Formen

© Goethe-Institut

Tak jako Jakub Deml zkusím si taky sonet.
         Takový sonet: vytahování a stahování rolet.
         Sonet nesonet, zbytečná starost,
         odchází, odešla radost.
                                       Zbyněk Hejda
 
 
[Auch ich versuche mich wie Jakub Deml am Sonett.
Rolladen auf, Rolladen zu, mein Sonett ist komplett.
Nett oder nicht so nett, unnötig quält mich 4-4-3-3,
der Spaß hört auf, er ist vorbei.
                                       Zbyněk Hejda]

 
Hejdas wunderbares, spätes Gedicht endet damit, dass sein Sonett misslingt. Der Autor sagt das („Sonet se nepoved.“ - „Das Sonett ist misslungen“) und führt es gleichzeitig auch vor: Sein Sonett ist drei Verse zu lang, es krümmt sich merkwürdig zusammen und zieht sich dann gleich wieder widerspenstig in die Länge. Die Verse sind metrisch unzuverlässig, zum Teil sind es eher Sätze mit gezwungenen Reimen, usw. Nun denn, der Dichter hatte ja bereits im ersten Vers nicht allzu viel Vertrauen in die Form gehabt (sein „ich versuche mich“ und „so wie Jakub Deml“ zeugt von großer Skepsis und Selbstironie). Der Spaß vergeht ihm. Was machen wir im Jahre 2017 mit einem Sonett, einem Rispetto oder einem Ghasel? Einem Haiku!!??
 
Ein bisschen etwas doch. Wenn ich ein Sonett schreibe (ich nehme diese Form hier der Einfachheit halber, weil ich davon überzeugt bin, dass, wenn man heute von einer „festen lyrischen Form“ spricht, jeder sofort an das Sonett denkt; ansonsten haben wir, wenn wir von festen Formen sprechen, vor allem einen rhythmisch durchgearbeiteten Vers im Sinn, der in einem Gedicht minimal einige Echos hat); wenn ich also ein Sonett schreibe und es dann irgendwo drucken lasse oder lese, merke ich immer, dass ich froh wäre, wenn mich jemand danach fragt, warum ich diese Form verwendet habe. Aber meistens fragt mich keiner, auch wenn es sicher alle verdächtig finden. Das Sonett hat ein altertümliches Siegel und ein handwerkliches Gütezeichen, da rührt es lieber keiner an. Hinter vorgehaltener Hand sagen die Leute, es sei schön, sehr schön und geistreich, sie loben es – aber eigentlich berührt es sie kein bisschen.

Und ich würde so gern jemandem sagen, dass ich, wenn ich z. B. über die Landschaft zwischen Prag und Beroun schreibe, diesen Mix aus prunkvollen, heute prunkvoll zerbröckelten Villen des späten 19. Jahrhunderts mit ihren morschen Altanen, Auswüchsen der (einst vom wilden Westen geprägten, später müde sozialistischen) Wochenendhaus-Kultur und den Luxushütten der Neureichen aus den 1990er-Jahren –, dass ich dann die Sonettform besonders genüsslich verwende. Denn diese Form kann ich zerstören, kann sie auf unterschiedlichste Weise verschandeln, kann Kleines in Großes „quetschen“ oder umgekehrt, und der Grundriss bleibt, wie er ist. Dann wird diese Landschaft kurz vor Beroun, die so stolz auf etwas ist, was längst verschwunden ist, im Gedicht gegenwärtig, fertig, offenbart. Und ich muss gar nicht mehr so viel darüber reden und kann mich anderen Dingen zuwenden (einer Liebesbeziehung, der Trauer oder der Beschreibung eines Fasanenkopfs). Und der Text wird reicher, er enthält genug von dem, was nicht direkt ausgesprochen wird – was ja wohl ganz gut ist.

Wenn ich ein solches Sonett schreibe, empfinde ich eine Art Freude des Anknüpfens. Als gliederte ich mich in eine Kette von Sonetten ein, die in tschechischer Sprache verfasst wurden, als tauchte ich in einen unterirdischen Strom, der z.B. aus den Sonetten Vrchlickýs, Machars und Zábranas besteht. Es ist ein vertracktes Gefühl, aber es ist da. Im Jahre 2017 scheint man als Dichter für alles allein einstehen zu müssen (und das ist schon eine ganze Weile so) – also wenigstens das: ein paar alte Freunde (ein wunderbarer Chor) und ihre Varianten über das Thema 4-4-3-3.

Ein Halt. Wichtig ist, dass ein Teil dieses Gefühls   (außer Bescheidenheit: Manche Dinge erlaube ich mir vor den geliebten Freunden einfach nicht!) Freude ist (Der Spaß ist nicht vorbei!!, und er hört auch nicht auf! um auf Hejdas Gedicht zurückzukommen). Und eine gewisse Leichtigkeit. Sie ist schwer zu beschreiben. Aber „untergründig Freude“ und „unterschwellige Leichtigkeit“ sind meiner Meinung nach wichtige Voraussetzungen, um ein gutes Gedicht zu schreiben – und in mein Schreiben gelangen sie durch eben jenes Gefühl der Zusammengehörigkeit und die fragile Sicherheit, nicht alleine zu schauen und zu sprechen. Etwas davon tut jemand anders für mich: Wenn ich in einer festen Form schreibe, ist es, als ob ich nur unter einer Vielzahl von Wegen oder Gängen wählen müsst, die sich mir bieten und die ich weder selbst pflastern noch graben muss – als wären sie schon da und meine Arbeit bestünde nur darin – im Gehen oder im Laufen – „meine eigene“ Kombination auszuwählen. Viel Zeit habe ich dafür aber nicht, das geht zack zack. Das würde ich gerne jemandem antworten, der mich skeptisch und ein bisschen geringschätzig (Gott sei Dank überhaupt) fragt, warum ich mich mit so etwas  Schrägem und Verstaubten überhaupt herumschlage. Aber es fragt ja keiner.

Außerdem würde ich ihm noch sagen, dass ich das Sonett ja sowieso nicht mehr vollständig verwende, dass ich vieles Wesentliche, was zu ihm gehört, gar nicht mehr weiß (die mystische Grundlage der Form) oder verwende (logische Gliederung, pflichtgemäße Wendung usw.), dass ich nur noch mit einigen Parametern der Sonett-Form arbeite, und zwar eher mit den äußerlichen. Das würde ich ihm sagen, damit er sich nicht so fürchten muss. Oder um ihm klar zu machen, dass ich mich auch fürchte und mir überhaupt nicht sicher bin. Und ich würde noch hinzufügen, dass es alles andere als gemütlich ist, ein Sonett (oder eine andere Form; oder auch nur eine gereimte Strophe mit vier Versen im fünfhebigen Jambus) zu schreiben: Es ist ein Abenteuer. Eines, das auf einer Bewegung zwischen Willen und Intuition beruht, zwischen Intention und Zufall, zwischen Befehlen und Gehorchen. Ein Abenteuer besonderer Art. Was ihm nichts von seiner Verwegenheit nimmt.

Und nicht zuletzt: Der Versuch, alte Formen irgendwo hin zu  übertragen, ist meiner Ansicht nach eine besonders gelungene Art und Weise, um sich als Dichter aus- und weiterzubilden. Ich habe ich mich immer nach einer solcher Ausbildung im Dichten gesehnt, aber ich wusste nicht, wie ich es anstellen sollte: Lesen, sicher – aber das reichte nicht. Andere Dichter besuchen – so viele Hindernisse. Und dann verfiel ich aufs Übersetzen und darauf, meine eigenen „kleinen poetischen Wörterbücher“ zu gestalten. Endlich etwas, was Spaß machte.
 
Ich würde mir wünschen, dass unser Form-Abend sich nicht zu einer Verteidigung der festen Formen, Rhythmen und Metriken, Reime usw. auswächst, zu einer gelehrten Klage über das Schwinden der alten Welt, die wir miteinander teilen,  zu einem geistreichen Salon. Ich wünsche mir viel eher eine Werkstatt, ein Laboratorium, in dem sich die alten Formen als Gegenstand der Untersuchung präsentieren (ein solches Studienformat ist in der tschechischen Lyrik nicht sonderlich weit verbreitet, aber sie hat es nötig) und als Inspiration. Als etwas, was auf einzigartige Weise neue Räume eröffnet. Dass ihre Verwendung sachlich vorgestellt und argumentiert wird und doch gleichzeitig Raum für Unsicherheit und Geheimnis bleibt. Ich wünsche mir, dass zeitgenössische tschechische Dichter noch andere Gründe nennen, die sie für die Wiederbelebung alter Formen haben. So dass aus der Diskussion auch ersichtlich wird, worin sich die Revitalisierung alter Formen und Versformate nach 2000 vom Neoklassizismus in der jüngeren tschechischen Lyrik der 1990er Jahre unterscheidet. Was sicher passieren wird. Mit Jonás Hájek, Radek Malý, J. H. Krchovský, Ondřej Hanus, Tomáš Fürstenzeller, Pavel Kolmačka, Vratislav Färber und anderen – und anhand von ihren Gedichten - sollte das gelingen.
 

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