1930–2017
Helmut Kohl

Helmut Kohl (hinter den Mikrofonen) während der Öffnung des Brandenburger Tors am 22. Dezember 1989 in Berlin
Helmut Kohl (hinter den Mikrofonen) während der Öffnung des Brandenburger Tors am 22. Dezember 1989 in Berlin | Foto (Ausschnitt): gemeinfrei

Deutschland trauert um den früheren Bundeskanzler, den Architekten der Einheit und einen großen Europäer. Er starb am Freitag im Alter von 87 Jahren. Eine Würdigung seines Lebenswerks.

Helmut Kohl ist tot. Der frühere Bundeskanzler starb am Freitagmorgen (16.06.2017) im Alter von 87 Jahren in seinem Haus in Ludwigshafen, wie sein Anwalt mitteilte. Kohl war 16 Jahre Bundeskanzler, so lange wie kein anderer bislang. Auch führte er 25 Jahre die CDU als Vorsitzender. In seiner Amtszeit fiel die Berliner Mauer, und Kohls Regierung gelang es, die Vereinigung nach jahrzehntelanger deutscher Teilung zu erreichen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die am Freitag auf einer Reise nach Rom war, würdigte den verstorbenen Alt-Bundeskanzler. Man werde noch lange bewundern, wie entschlossen er und seine Mitarbeiter die Gunst der Stunde zur deutschen Vereinigung genutzt hätten. „Das war höchste Staatskunst im Dienste der Menschen und des Friedens“, sagte Merkel. Er habe auch ihren Lebensweg entscheidend verändert. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hob Kohls Einsatz für Aussöhnung und Zusammenwachsen in Europa hervor. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärte: „Helmut Kohl war ein großer Europäer und ein sehr guter Freund.“ Im Gedenken an Kohl habe er die Europaflaggen vor den europäischen Institutionen auf halbmast setzen lassen. Auch Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) lobte Kohl als großen Patrioten. „Die Einigung unseres Landes und unseres Kontinents wird auf alle Zeit auch mit seinem Namen verbunden bleiben.“ Der frühere US-Präsident George Bush senior sagte, „mit meinem sehr guten Freund zusammenzuarbeiten, um ein friedliches Ende des Kalten Krieges und die Vereinigung Deutschlands innerhalb der Nato zu erreichen, wird eine der großen Freuden meines Lebens bleiben“. Der russische Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow nannte Kohl einen herausragenden Politiker, der deutliche Spuren in der Weltgeschichte hinterlasse. Er teile einen zentralen Gedanken Kohls: „Die Länder des Westens müssen gemeinsam mit Russland und der Ukraine dafür sorgen, dass niemals verloren geht, was wir einst erreicht haben.“

Seit Jahren war Kohl krank und zeigte sich kaum in der Öffentlichkeit. Als Politiker war er zuletzt im April 2016 in Erscheinung getreten, als er den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zu sich einlud – was Vermutungen auslöste, er stelle sich damit gegen seine Nachfolgerin Angela Merkel. Sie und Orbán haben sich wegen der Flüchtlingspolitik überworfen. Merkel hielt nach eigenen Angaben bis zuletzt Kontakt zu Kohl.

Helmut Kohl regierte von 1982 bis 1998. Er war der einzige Kanzler, der durch ein konstruktives Misstrauensvotum an die Macht gekommen war; als die FDP im Jahre 1982 die Koalition mit der SPD beendete und an die Seite von CDU/CSU wechselte, veränderte sie die Mehrheitsverhältnisse im Parlament. Kohl war bislang der einzige Kanzler, dem viermal die Bestätigung als Regierungschef gelang: 1983, 1987, 1990 und 1994 gewannen er und sein schwarz-gelbes Bündnis jeweils die Bundestagswahl. Aus dem Amt schied er, als Gerhard Schröder (SPD) im Jahr 1998 die Wahl gewann und an der Spitze eines rot-grünen Kabinetts sein Nachfolger wurde. Kohl war von 1973 bis 1998 CDU-Chef, ebenfalls so lange wie niemand vor und nach ihm.

Vor allem aber war Kohl der Kanzler, dem die Vereinigung Deutschlands gelang und der die Europäische Währungsunion mitbegründete. Vom Fall der Mauer am 9. November 1989 bis zum Beitritt der DDR am 3. Oktober 1990 waren es nur knapp elf Monate. Freunde, Kritiker und Historiker sind sich einig, dass Kohl zwar nicht die Situation geschaffen hatte, in der sich die Teilung Deutschlands überwinden ließ. Jedoch habe er verstanden, dass die deutsche Einheit nur schnell oder gar nicht zu erreichen sei. Auch um die Einigung Deutschlands mit der Einigung Europas zu verbinden, betrieb Kohl den Ausbau der Europäischen Gemeinschaft (EG) zur Europäischen Union (EU). Der Vertrag von Maastricht trat im November 1993 in Kraft. In einer seiner letzten öffentlichen Äußerungen befasste Kohl sich mit dem derzeitigen Zustand der EU. In einem Buchbeitrag im Frühjahr 2016 erklärte er unter Anspielung auf Merkels Flüchtlingspolitik: „Einsame Entscheidungen, so begründet sie dem Einzelnen erscheinen mögen, und nationale Alleingänge müssen der Vergangenheit angehören.“

Gesundheitlich stand es um Helmut Kohl seit etwa neun Jahren nicht gut. 2008 war er in seinem Haus in Ludwigshafen gestürzt, hatte sich ein Schädel-Hirn-Trauma zugezogen. Er wurde gepflegt von seiner Lebensgefährtin Maike Richter, die ihn in dem Jahr auch heiratete. Im Mai 2015 musste er für eine Hüftoperation ins Krankenhaus, es folgten eine Darmoperation und weitere Komplikationen. Sein Besucher Orbán sagte, nachdem er im April 2016 das Haus Kohls verlassen hatte: „Der Geist und die Aufmerksamkeit sind noch da.“ Doch sein körperlicher Zustand erlaube es ihm nicht, alle Gedanken auch auszudrücken. Kohls erste Ehefrau Hannelore Kohl hatte sich 2001 das Leben genommen, nachdem sie jahrelang unter einer Lichtallergie gelitten hatte.

Das Verhältnis zwischen Helmut Kohl und der CDU hatte sich in den vergangenen Jahren entspannt, wurde aber nie mehr so, wie es bis 1999 war. Damals wurde bekannt, dass Kohl Parteispenden entgegengenommen hatte. Er weigerte sich bis zu seinem Tod, die Namen der Geber zu nennen – obwohl das Parteiengesetz dies verlangt. Das Verhältnis zu Kollegen wie Wolfgang Schäuble, Rita Süssmuth und Norbert Blüm blieb zerrüttet.

Im April 2017 schrieb Kohl in Abwesenheit noch Rechtsgeschichte. Das Landgericht Köln sprach ihm eine Million Euro Entschädigung zu – die höchste Summe, die es in Deutschland je für die Verletzung von Persönlichkeitsrechten gab. Kohl hatte gegen den Ghostwriter seiner Memoiren geklagt, der später ein eigenes Buch über ihn schrieb und darin Schmähungen gegen andere Politiker untergebracht hatte, die Kohl ihm einst auf Band gesprochen haben soll. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig.