Global Control & Censorship
Debrecen | 24.11.2018 – 20.01.2019

Über die Ausstellung

Bis zum Wiedererreichen seiner Unabhängigkeit waren Überwachung und Zensur bestimmende gesellschaftliche und politische Faktoren in Ungarn. Während Jahrhunderten hatte die Nation unter der Besatzung durch wechselnde Mächte gelitten, die sich jeweils immer Freunde des ungarischen Volkes genannt haben. Aber in der Politik ist Freundschaft nur eine Metapher für eindeutige Interessen, die auch unabhängig von der politischen Orientierung befreundeter Regime bestehen. Auch heute gibt es vielfache Gründe wachsam zu sein, sei dies gegenüber implizierter politischer Einflussnahme oder gegenüber den ausgesprochenen Interessen privatwirtschaftlich global operierender Konzerne.
 
Wissen ist Macht. Noch mehr Macht hat jedoch, wer den Fluss der Informationen beherrscht. Dies gilt vor allem in der digitalen Kultur, in der alle Informationen im weltweiten Netz unkontrollierbar überwacht und manipuliert werden können.
 
Die euphorische Nutzung mobiler Kommunikationsgeräte trägt dazu bei, dass heute Milliarden Menschen weltweit miteinander verbunden sind. Inhalte und Daten jeder Art werden täglich milliardenfach generiert und sekundenschnell über den ganzen Globus übermittelt. Noch bevor sie ihre Empfänger erreicht haben, werden diese Daten massenhaft durch private Dienstleister und staatliche Dienste abgegriffen, kontrolliert und anschließend für deren Zwecke weiterverwendet. Galten die digitalen Kommunikationsformen bisher als Hoffnungsträger einer neuen demokratischen Mitwirkung, so sind sie in jüngster Zeit als ideale Türöffner zur perfekten Überwachung und Steuerung von Milliarden Menschen umgenutzt und pervertiert worden. Wer sie nutzt, wird genutzt.
 
Das ist die Regel, auf die wir alle uns bequem eingelassen haben, um von diesen Kommunikationsformen zu profitieren. Smartphones, die ihre BenutzerInnen auf Schritt und Tritt begleiten, werden mit Spähsoftware infiziert und können ohne unser Wissen als Überwachungskameras und Abhörgeräte eingesetzt werden. Unsere Aufenthaltsorte und Bewegungsprofile sind jederzeit abrufbar. Informationen über unser Surf- und Kaufverhalten, unsere Kontaktdaten, Vorlieben und Schwächen können jederzeit ungefragt analysiert und weitergegeben werden.
 
Überwachung und Zensur bedingen sich gegenseitig; sie können nicht voneinander getrennt betrachtet werden. Überwachung von BürgerInnen sowie von Institutionen und Unternehmen, ja, auch die Überwachung von demokratisch gewählten PolitikerInnen und Parlamenten oder von JournalistInnen und RechtsanwältInnen ist seit jeher der geheime und gleichzeitig offen bekannte Auftrag staatlicher Dienste gewesen. In jüngster Zeit aber ist diese historische Praxis durch das staatlich legitimierte Ausspionieren aller BürgerInnen durch mächtige Dienstleister und Wirtschaftsunternehmen ausgeweitet worden. Gleichzeitig wird die Weitergabe von für die Allgemeinheit wichtigsten Informationen durch mutige JournalistInnen, ja sogar die Enthüllung illegaler Überwachung, das Aufmerksam-Machen auf Zensur und Folter durch staatliche Institutionen aufs Schärfste verfolgt und bestraft. Auch heute werden systemkritische JournalistInnen, SchriftstellerInnen und WhistleblowerInnen als VerräterInnen gebrandmarkt. Sie werden über alle Kontinente hinweg verfolgt, man droht ihnen mit Publikationsverbot, mit Hausarrest und Reiseverbot sowie mit lebenslangen Gefängnisstrafen oder gar dem Tod.
 
Nach der in der Verfolgung von Millionen von Menschen gipfelnden Kontrollmacht des Naziregimes, steht nach dem Zweiten Weltkrieg die durch George Orwell zur Metapher verdichtete, allgegenwärtige gottgleiche Kontrollinstanz Big Brother erstmals für eine totalitäre staatliche Kontrolle mittels elektronischer Medien. In der Diktatur Stalins, kaum anders als während der Kommunistenjagd der McCarthy-Ära in den USA, wurden Millionen von Menschen wegen ihrer abweichenden Gesinnung verfolgt, in Gefängnisse und Lager gesperrt, gequält und vernichtet. Dies trifft auch auf die Verfolgung des ungarischen Volkes während der Stalin-Ära und später zu. Und neben den Diktaturen Francos in Spanien und Salazars in Portugal, den Regimen Pinochets, Suhartos und Ceaușescu, hatte auch das Regime der Deutschen Demokratischen Republik seinen Fortbestand bis 1989 durch ein allgegenwärtiges Spitzelsystem gesichert.
 
Spätestens seit 1947 ist das von den Five Eyes, von den USA, Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland weltweit betriebene Spionagenetz Echelon darauf ausgerichtet, politische, wirtschaftliche und private Kommunikation abzuhören, im Osten wie im Westen. Seit seiner Besatzung im Jahr 1944 durch die Sowjets bis zur Wiedererlangung seiner Unabhängigkeit hat die Regierung in Ungarn hinnehmen müssen, dass die Besatzungsmacht systematisch den gesamten Post-, Fernmelde- und Funkverkehr überwacht.
 
Seit rund drei Jahrzehnten ermöglicht die digitale Vernetzung nun auch das automatisierte flächendeckende und gezielte Abgreifen, Verarbeiten und Speichern der über das Internet verfügbaren Informationen sowie das gezielte Ausspionieren der UserInnen jederzeit und weltweit. Die mutigen Enthüllungen durch Edward Snowden und andere Whistleblower haben deutlich gemacht, dass diese Möglichkeiten totaler elektronischer Überwachung von Diensten westlicher wie östlicher Staaten auf breitester Basis entwickelt und eingesetzt werden.
 
Seit langem nehmen sich die Five-Eyes-Staaten und andere Nationen das Recht heraus, alle anderen Staaten auszuspionieren, und dies in allen militärischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Belangen, auf allen Ebenen: Regierungen, Organisationen, Wirtschaftsunternehmen, NGOs, AktivistInnen und einzelne BürgerInnen werden gleichsam überwacht. Die Devise lautet: Was technisch möglich ist, darf auch gemacht werden. Rechtlich und ethisch begründete Bedenken oder freundschaftliche Erwägungen gegenüber Staaten und Wirtschaftsunternehmen haben keine Gültigkeit mehr.
 
Neben die Massenanalyse der kommunikativen Metadaten in elektronischen Netzen und den direkten Zugriff auf individuelle Daten tritt immer häufiger die offene oder geheime Zensur durch Störung, Manipulation und Abschaltung. Wo die Angst vor drohender Zensur als Kontrollmechanismus nicht wirkt, wird die Geheimhaltung von für die Bevölkerung wichtigen Informationen durch die Nicht-Zulassung und Kontrolle von JournalistInnen (embedded journalists), durch gezielte Behinderung einzelner Veröffentlichungen oder einer Berichterstattung über ganze Themenbereiche sowie die arrogante Lancierung von “alternative news” durchgesetzt.
 
Die typische Begründung für Zensur war immer schon die reale oder vorgetäuschte Infragestellung von Sicherheit durch die Enthüllung von Information und schließlich die Abwehr vermeintlich terroristischer Bedrohungen. So ist Sicherheit heute der gängige und billige Schlüsselbegriff geworden, mit dem jede noch so autoritäre Maßnahme widerspruchslos durchgesetzt werden kann. Dass Kontrolle und Zurückhaltung von Information, Überwachung und Bestrafung, die intelligente Manipulation von Wissen und Kommunikation letztlich aber nicht in erster Linie dazu dienen, die Sicherheit der BürgerInnen zu garantieren, sondern auch dazu, bestehende illegitime Macht aufrecht zu erhalten, wird nahezu grundsätzlich bestritten.
 
Niemand überblickt heute mehr die technischen Möglichkeiten von Überwachung und Zensur in elektronischen Netzen. Neben der Kenntnis um tief greifende politisch motivierte Spähmanöver von staatlicher Seite aus, wissen wir auch längst um die massive Einflussnahme von Wirtschaftsunternehmen auf den öffentlichen wie auf den privaten Bereich, auf politische und wirtschaftliche Entscheidungen wie auch auf unser konkretes, individuelles Verhalten. Global operierende, an den Börsen hoch gehandelte Konzerne wie Alphabet, Amazon, Google, Facebook, Microsoft, Apple und viele mehr profitieren durch ihre massenhafte Datengewinnung gezielt von individuellen und gesellschaftlichen Abhängigkeiten ihrer NutzerInnen von allen Formen der social media.
 
So ist das Ausgeliefertsein an übermächtige Instanzen der Überwachung und Zensur zur conditio humana, zur Grundbedingung unserer Kultur geworden.
 
Wir können dies zwar noch ansatzweise erkennen und reflektieren, aber keineswegs mehr rückgängig machen. Wir haben uns daran gewöhnt, ebenso wie an die unzähligen Videokameras, von denen wir uns auf dem Weg zur Arbeitsstätte oder nach Hause nicht mehr aufhalten lassen. Wir sind auf dem besten Wege, Überwachung und Zensur als allgemein gegeben zu akzeptieren, so wie wir andere Bedingungen unserer modernen Existenz – Verkehrslärm, Allgegenwart von Werbung, Umweltverschmutzung, Bedeutungslosigkeit im politischen Raum – als grundsätzlich gegeben zu akzeptieren gelernt haben.
 
Trotz höchst alarmierender Erkenntnisse hat heute bereits ein großer Teil der Öffentlichkeit vor der Allgegenwart staatlicher und privater Überwachung resigniert. Unsere Enkel werden uns hoffentlich noch fragen können, was wir denn dagegen unternommen haben – in einer gleichgeschalteten Gesellschaft werden solche Fragen nicht mehr aufkommen.
 
Die Ausstellung „Global Control and Censorship“ untersucht das unaufhaltsame Eindringen von Überwachung und Zensur in unseren Lebensalltag. Sie stützt sich auf die Kooperation mit der Arbeitsgruppe Netzpolitik am Institut für Politische Wissenschaft der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und mit dem Kompetenzzentrum für angewandte Sicherheitstechnologie (KASTEL) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Weitere wichtige Kooperationspartner sind Reporter ohne Grenzen, der Chaos Computer Club e.V. (CCC) sowie netzpolitik.org.
 
Größten Dank schuldet die Ausstellung all jenen Whistleblowern, die den Mut hatten und haben, die Öffentlichkeit über undemokratische Praktiken von Staat und Privatwirtschaft aufzuklären.
 
(Bernhard Serexhe)