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Gerhard Richter und Kinga Bódi
Bildende Kunst

Wechselwirkungen_Kunst
Réka Elekes © Goethe-Institut

Gerhard Richter ist ein bekannter Künstler in der globalen Gegenwartskunst und gilt als Maler, Bildhauer und Fotograf. Sein Werk streift die Grenzen zwischen figurativer und abstrakter Malerei, umfasst sowohl figurative als auch abstrakte Malerei, wobei er die Grenzen zwischen den beiden Ausdrucksformen untersuchte, die in der Nachkriegskunst als gegensätzlich betrachtet wurden.

In unserem dieswöchigen Beitrag unserer Wechselwirkungen stellen wir Ihnen Gerhard Richter vor und sprechen mit der Kuratorin Dr. Kinga Bódi, die die erste bedeutende Solo-Show (Ungarische Nationalgalerie, 2021) des weltweit bekannten Künstlers in Budapest organisierte.

Was bedeutet die Kunst von Gerhard Richter für Sie?

In einem Interview vor einigen Jahren fragte der deutsche Kunsthistoriker Götz Adriani Gerhard Richter, ob er im Rückblick auf sein 60-jähriges Schaffen stolz auf das Erreichte sei. Richter antwortete in seiner selbstkritischen, zurückhaltenden, aber ehrlichen Art:

„Ich glaube allerdings, jede Künstlergeneration befällt die Befürchtung, dass alles schon gemacht und nichts mehr zu tun ist. Vermag man diese Bedenken zu überwinden, bleibt hoffentlich der Wille und die Stärke, anzufangen, konsequent weiterzumachen und das Ganze auf einem möglichst anspruchsvollen Niveau durchzuhalten. Ich bin überzeugt davon, dass gerade dieses Durchhaltevermögen in Bezug auf die viel geschmähte und oft totgesagte Malerei sowohl Baselitz und Kiefer als auch Polke und mich, bei aller Verschiedenheit der Auffassungen, auszeichnet."

Für mich enthält diese Antwort alles, was ich an Gerhard Richter so schätze: seinen Intellekt, seine ewige Neugier, seinen unendlichen Sinn für Freiheit in intellektuellen Abenteuern und seinen einzigartigen Glauben an die Malerei. Es ist unerschütterliche Haltung von sechzig Jahren, das Gerhard Richter und seine Kunst meiner Meinung nach einzigartig macht in der leeren, schnelllebigen Welt unserer Zeit. Das Wesen und die Stärke seiner Malerei ist gerade die lange Analyse, die Beharrlichkeit, das Hinterfragen von allem und die Notwendigkeit, immer weiter zu gehen. Das ständige Verwischen der Grenzen zwischen Realität und Erscheinung, das Überschreiten von Grenzen und die Frage nach dem Erfassen verschiedener "Realitäten" war immer ein zentrales Thema in seinem Werk, und diese Themen liegen auch mir als Kunsthistorikerin sehr am Herzen.

Haben Sie ein Lieblingsgemälde? Wenn ja, welches ist es und warum?

Gerhard Richters unendlich vielfältige malerische Sprache reicht vom Figürlichen bis zum Abstrakten, von leblos verschwommenen Bildern bis zu scharf glänzenden Flächen, von grauen Foto-Bildern bis zu koloristischen Farbtafeln, von Porträts bis zu Landschaften, von der Leinwand bis zur Glasfenster, von manuellen Tätigkeiten bis zum Digitalen, so dass es nicht leicht ist, ein Werk herauszugreifen. Daher möchte ich einige Werke aus der Budapester Ausstellung erwähnen - jetzt, da wir über die Ausstellung in der Vergangenheitsform sprechen können, kann ich vielleicht etwas subjektiv sein -, die mir nicht nur aus beruflicher, sondern auch aus persönlicher Sicht nahe standen.
Die 1972 auf der Biennale in Venedig gezeigte Gruppe von "48 Porträts” hat für mich immer noch eine elementare Kraft und ich halte sie für eines der zusammenfassenden Werke der deutschen Kunst der Nachkriegszeit. Das Werk handelt sich zugleich um die Suche nach persönlicher und historischer Identität, das verlorene Vaterbild der Richter-Generation, die Sehnsucht nach dem alten-neuen Vaterland und die historischen Erinnerung und ist zugleich eines der herausragendsten Werke der Uniformierung und Anonymisierung der visuellen Realität.
Kein Wunder, dass eines der wichtigsten Werke der Budapester Ausstellung von vielen als die Serie von vier Tafeln mit dem Titel "Verkündigung nach Tizian" angesehen wurde, in der Richter versuchte, die verschollene Malerei von Tizian in die Gegenwart zurückzuholen, im Klaren sein, dass sein Vorhaben nicht realisierbar war. Das Werk ist nicht nur eine subtile und intellektuelle Reflexion zur Kunstgeschichte, sondern auch einzigartig in seiner ästhetischen Qualität.
Neben den monumentalen Serien, zu denen auch der „Birkenau”-Zyklus gehört, finde ich auch Richters kleinere, intimere Gemälde, wie „Sommertag” (1999), das, wenn man so will, private Interpretationen zulässt, oder „Kleine Badende”, das Richters Frau Sabine Moritz in einem liebevollen Moment zeigt: allein, tagträumend, verloren in den intimen Momenten unmittelbar nach dem Baden. Wir wissen, dass das Foto, das das Gemälde inspiriert hat, von Richter selbst aufgenommen wurde. Richter hat seine Frau auch in mehreren Bildern festgehalten, auf denen Sabine in einer Position zu sehen ist, die an Gemälde früherer Zeiten erinnert. Richter hat nur wenige Bilder von seiner engeren Familie gemalt, da er oft sagte, dass er alle persönlichen Bezüge und Erfahrungen auf Distanz halten wollte.
Vielleicht liebe ich gerade deshalb diese wenigen kleinen, intimen Bilder, in denen Richters stille, zurückgezogene, sensible, aber auch lustige und spielerische Persönlichkeit zu sehen ist.

Wie reagierte das ungarische Publikum auf die Ausstellung des bedeutenden Künstler?

Die Ausstellung war die vierte in der Reihe der Ausstellungen des Museums der Bildenden Künste - Ungarische Nationalgalerie „Deutsche Kunst nach 1945”. Die 2012 ins Leben gerufene Serie konzentriert sich auf das Werk der sogenannten "Kriegskinder" deutscher Künstler aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, die inzwischen weltberühmt geworden sind.
In den letzten zehn Jahren haben wir in der Ausstellungsreihe das Œuvre von Günther Uecker, Jörg Immendorff, Georg Baselitz und Gerhard Richter dem ungarischen Publikum in einer umfassenden monografischen Ausstellung vorgestellt.
Alle diese Schauen in Budapest waren sehr beliebt, aber ich denke, die Gerhard-Richter-Ausstellung hat hervorragende Anerkennung bekommen. Das ist unter anderem auf den Spielfilm „werk ohne Autor“ zurückzuführen, der zeitgleich mit der Ausstellung in den ungarischen Kinos gezeigt wurde. Vielleicht war es die Richter-Ausstellung, die die gesamte Ausstellungsreihe dauerhaft ins Bewusstsein der Öffentlichkeit brachte.

Dem einzigartigen Künstler Gerhard Richter wurde 2021 in Budapest zum ersten Mal eine Ausstellung gewidmet. Dies verpflichtete uns auch, eine groß angelegte Ausstellung mit mehreren Hauptwerken zu organisieren und einen umfassenden Überblick über das komplexe Werk Richters vorzustellen und alles, was wir über die moderne Malerei des 20. Jahrhunderts denken, durch die Komplexität von Richters Malerei in einer breiteren Perspektive zu überdenken. Nachdem wir den Erfolg der Ausstellung erlebt haben, können wir vielleicht zuversichtlich sein, dass wir unser Ziel erreicht haben und dass jeder, der die Ausstellung besichtigt hat, nun einen differenzierteren Eindruck auf die zeitgenössische deutsche Malerei und vielleicht durch sie auf die globale Gegenwartskunst zu bekommen. Wir hoffen, dass die Ausstellung noch mehr Budapester dazu anregt, sich in Zukunft für zeitgenössische deutsche Ausstellungen zu interessieren.

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