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Nachhaltig leben
6 Öko-Mythen, an die man nicht glauben sollte

Müllrecycling
Mülltonnen in vier verschiedenen Farben | Paweł Czerwiński © unsplash

Mit der Ökologie ist das so eine Sache. Wenn du gerade denkst, du hättest alles begriffen, knallt dir das Internet – Zack! – neue Informationen um die Ohren. Wir haben Elena Wolodina, Journalistin und Öko-Bloggerin gebeten, in diesem Artikel einige weitverbreitete Öko-Mythen vorzustellen, mit denen sie schon zu tun hatte. Und, wir sagen es gleich: das meiste davon war uns neu.

Von Jelena Wolodina

Mythos 1. Soda, Essig und Zitronensäure sind ökologisch unbedenklich

Wahrscheinlich habt ihr schon häufiger den Ausdruck „chemiefreie Reinigungsmittel” gehört. Er wird von Öko-Blogger*innen verwendet, und eben von Firmen, die ökologische Mittel zur Haushaltsreinigung herstellen. Wir wollen hier ja niemanden enttäuschen, aber diese „chemiefreien Reinigungsmittel” gibt es nicht – allein schon deswegen, weil chemische Prozesse die Grundlage unseres Lebens sind. Als beliebteste Beispiele für „chemiefreie Reinigungsmittel” werden oft Soda, Essig und Zitronensäure genannt. Im Buch „Lives of Remarkable Compounds” (Autor: Arkadij Kuramshin) steht schwarz auf weiß geschrieben, dass aber all das Produkte sind, die zu einem Großteil auf chemischer Basis produziert wurden.

Hausgemachter Mehrzweckreiniger aus Zitrusschalen und Essig Crema Joe © unsplash

So wird Soda in Russland beispielsweise aus Kochsalz, Wasser, Ammoniak und Kohlenstoffdioxid hergestellt (ein Produkt der Kalkverbrennung). Erinnern wir uns an den Skandal in Baschkirien und die Geschichte des Bergs Schachtau. Der Abbau begann dort im Jahr 1950, und in weniger als 100 Jahren war vom Berg nur noch ein Steinbruch übrig. Er wurde bei geologischen Arbeiten im Rahmen des Kalksteinabbaus durch ein baschkirisches Soda-Unternehmen zerstört. Und Zitronensäure wird übrigens auch nicht aus Zitronen gemacht, sondern synthetisiert. Davon abgesehen weiß man gar nicht, was besser wäre: denn eine Tonne Zitronen in die Presse geben, um aus ihnen nicht mehr als 25 Kilo Zitronensäure herzustellen und anschließend damit das Waschbecken zu scheuern, ist auch keine supertolle Alternative. Denn eigentlich braucht man Zitronen ja, um sie zu essen.

Und was nun?
Überhaupt kein Soda, Essig oder keine Zitronensäure mehr zu verwenden, ist nicht realistisch. Daher ist es hier das Wichtigste, nicht dem Fanatismus anheimzufallen. Also verwendet alles, was ihr braucht, aber vergesst dabei nicht, wie hoch der Preis dafür ist – für euch und für den Planeten. Denn darin steckt ja die eigentliche Gefahr des Begriffs „chemiefreie Reinigungsmittel”: man denkt, es sei umweltfreundlich, und setzt die Reinigungsmittel daraufhin besonders freimütig ein.

Mythos 2. Bisphenol A aus Kassenbons kann über die Haut in den Organismus gelangen

Es gibt diese Schreckensmeldungen im Internet, dass man Bons nicht zu lange in der Hand halten sollte, weil ansonsten das darin enthaltene Bisphenol A über die Haut in den Organismus gelangt und (da es sich so ähnlich verhält wie das Östrogen) irreversible hormonelle Veränderungen hervorruft. Vor ein paar Jahren habe ich mich zu einem kleinen Experiment entschlossen und ein Labor in Moskau gefunden, das Bisphenol A-Aufkommen im Organismus untersucht. Damit sich die Ergebnisse vergleichen ließen, gab ich selbst Proben ab und bat auch eine Leserin darum, die als Kassierin arbeitet und ständig mit Kassenbons in Berührung kommt.

Im Ergebnis stellte sich heraus, dass der Bisphenol A-Gehalt bei der Leserin unter der Nachweisgrenze lag. Und bei mir selbst vom Referenzwert her sogar ein bisschen höher. Ich poche damit nicht in letzter Instanz auf die Wahrheit, denn es war ein Experiment aus reiner Neugier heraus und nicht unter wissenschaftlichen Bedingungen, aber für mich persönlich hat es dennoch gezeigt, dass das Problem des Bisphenol A-Aufkommens in Kassenbons einfach übertrieben dargestellt wird. Nicht weniger wichtig ist es auch, sich an das Folgende zu erinnern: Bisphenol A kann nicht nur in Kassenbons, sondern ebenso in PVC-haltigen Produkten und Polycarbonaten enthalten sein, und genauso in konservierten Lebensmitteln.

Und was nun?
Einen Kassenbon in der Hand zu halten, ist jetzt nicht das Schlimmste, was euch passieren kann. Auf diese zu verzichten, macht in erster Linie nicht wegen des Bisphenols Sinn, sondern einfach deshalb, weil sie nicht aus Papier sind und man sie nicht recyceln kann. Es ist gut, dass viele Geschäfte auf elektronische Kassenbons umgestiegen sind (die per E-Mail verschickt oder als Anhang archiviert werden). In Moskau erproben das die Supermärkte „Wskuswill”, „Perekrjostok”, „Pjatorotschka” und „Asbuka wkusa”.

Mythos 3. Haushaltschemie aus dem Massenvertrieb ist schlecht abbaubar

Die Mehrheit der Herstellerfirmen umweltverträglicher Haushaltschemie unterstreichen den hohen Grad biologischer Abbaubarkeit als Vorteil ihrer Produkte. Dabei weiß kaum jemand, dass das ohnehin ein zwingendes Kriterien aller Produkte im Massenvertrieb ist. Im gegenteiligen Fall dürften die Mittel gar nicht bis in die Supermarktregale gelangen. Gemäß den Anforderungen an Rohstoffe nach dem staatlichen Standard 32479-2013 sowie der Regelung N 648/2004 des Europäischen Parlaments und des Europarats zu Detergentien ist biologische Abbaubarkeit ein zwingendes Kriterium ALLER Tensidklassen.

„Eine Marktzulassung bekommen nur die anionischen, nichtionischen, amphoteren, kationischen Substanzen, deren primäre Abbaubarkeit bei nicht weniger als 80% der Basisstoffe liegt, die gesamte Abbaubarkeit bei nicht weniger als 60% (СО2) bzw. nicht weniger als 70% (organischer Kohlenstoff) – und zwar über einen Zeitraum von 28 Tagen hinweg.” Zum Vergleich: Putz- und Waschmittel von „BioMio”, die 2019 mit dem Umweltzertifikat „Blatt des Lebens” ausgezeichnet wurden, weisen eine „biologische Abbaubarkeit … von mehr als 60% innerhalb von 28 Tagen auf, was anhand unabhängiger Labortests bestätigt werden konnte“.

Und noch ein interessantes Beispiel: die Spülmittel-Linie „Fairy Pure&Clean”, die ebenfalls kürzlich das Zertifikat „Blatt des Lebens” bekam, hat die Zusammensetzung ihrer Produkte hierfür noch nicht einmal ändern müssen. Die Produktlinie entsprach bereits vor Erhalt des Zertifikats allen ökologischen Kriterien. Aber jetzt hat die Marke eben das Recht, das entsprechende Siegel auf ihre Verpackung zu drucken. Dabei muss man wissen, dass der Erhalt solcher Öko-Zertifikate kein günstiges Vergnügen ist, sondern ein langwieriger und kostspieliger Prozess und vor allem ein gutes Geschäft für die Zertifikate ausgebenden Stellen. Daher ist es zwar gut, dass es diese Zertifikate gibt, doch dass ein Produkt sie nicht hat, heißt eben auch nicht zwingend, dass das Mittel den Kriterien für Umweltfreundlichkeit nicht entspricht.

Und was nun?
Versucht nach Möglichkeit, Haushaltschemie mit Öko-Zertifikaten zu kaufen (das kann man im angefügten „ecolabel guide” nachprüfen) und die Produkte, die über kein solches Zertifikat verfügen, nicht zu dämonisieren.

Mythos 4. Essbares Geschirr ist ökologisch wertvoll

Von Zeit zu Zeit tauchen im Internet enthusiastische Meldungen dazu auf, dass irgendein Unternehmen essbare Schalen oder Teller auf den Markt gebracht hat (zum Beispiel aus Apfelmus). Aber zu früh gefreut: denn dieser Trend bringt mehr Nachteile als Vorteile mit sich. Erstens ist ein solches Geschirr nach wie vor nur einmal verwendbar. Und zweitens ist die Produktion schlecht skalierbar und kann nur im Sinne eines lokalen Experiments gut umgesetzt werden. Drittens ist es unpraktisch. Viertens ist nicht jede*r dazu bereit, nach dem Teetrinken den eigenen Becher aufzuknuspern. Insbesondere dann, wenn der Tee dazu eben schon alle ist. Und außerdem ist es unhygienisch. Erst hat man den Becher oder Teller also in der Hand, stellt ihn dann auf dem Tisch ab – und danach soll man ihn essen? Klar haben wir Magensäure im Magen, aber sollte man wirklich der Umwelt zuliebe die eigene Gesundheit aufs Spiel setzen? Wenn ihr unbedingt eine „Verpackung” oder „Leergut” essen wollt, dann kauft euch doch einfach ein Eis in der Waffel.

Und was nun?
Schmeißt am besten jedes Mal das kritische Denken an, wenn ihr mit solchen Nachrichten konfrontiert seid. Und denkt an die Hierarchie des Mülls (eine umgekehrte Zero Waste-Pyramide, deren Basis die Müllvermeidung bildet). Verzichtet also auf Einweggeschirr und benutzt richtiges Geschirr immer und immer wieder. Seid nicht zu faul dazu, eure Teller und Löffel abzuspülen.

Mythos 5. Kleidung umarbeiten zu lassen, ist verantwortungsbewusst

Ja und nein. Kleidung zur Änderungsschneiderei zu bringen, ist besser, als wenn sie auf der Deponie landet – doch die Umarbeitung selbst ist auch nicht die beste Lösung. Wenn man nach der Zero Waste-Pyramide geht, liegt sie von ihrer Effizienz her nur auf dem vierten Platz. Wenn ein Kleidungsstück für jemand anderen im jetzigen Zustand noch nutzbar ist, dann sollte man eben eher nicht versuchen, es schnellstmöglich zu Putzlappen zu verarbeiten. Und übrigens haben viele die Vorstellung, dass Upcycling darauf hinausläuft, eine alte Sache zu nehmen und daraus eine neue zu machen. Leider ist dem aber nicht so. Aus einem alten T-Shirt macht man eben kein neues, und eine solche Umarbeitung geht fast immer mit einem Qualitätsschwund des betroffenen Gegenstands einher (es ist also kein Upcycling, sondern eher Downcycling). In der Mehrzahl der Fälle wird ein Kleidungsstück, das sich nicht mehr zum Tragen eignet, einfach nur zerschnitten und (in Form von Wischlappen) zum Putzen verwendet.

Und was nun?
Man sollte Formen einer erneuten Nutzung von Kleidungsstücken einfach nicht als „Umarbeitung” bezeichnen. Im Idealfall werden die Sachen erst einmal sortiert, dann alles für eine zweite Runde Geeignete in einen Second Hand-Laden oder zur Kleiderspende gebracht, und erst danach geht es mit der Verarbeitung weiter (also dem Zerschneiden zu Putzlappen oder der Zerfaserung). Auch sollte man sich bewusst sein, dass die Spende alter T-Shirts, Jeans und Pullover nicht gleich ein Freibrief dafür ist, wieder shoppen zu gehen. Wir stellen so viele Dinge her, dass es nie im Leben gelingen wird, sie alle weiterzuverarbeiten. Das Beste, was man machen kann, ist, den eigenen Konsum zu minimieren.

Mythos 6. Papiertrinkhalme oder Makkaronis sind besser als Trinkhalme aus Plastik

Getränke mit Trinkhalmen aus MetallYulia Khlebnikova © unsplash

Im Jahr 2021 ist es irgendwie peinlich, mit Dingen aus Plastik gesehen zu werden – darum suchen Herstellerfirmen nach Alternativen. Doch der Ersatz ist nicht immer umweltfreundlicher. Im konkreten Fall deshalb, weil Trinkhalme ohnehin überflüssig sind: man kann Getränke ja auch einfach… mit dem Mund trinken, genau. Ob also Papier- oder Plastikstrohhalm – so oder so ist es eine nur einmalig zu verwendende Sache (wie auch im Falle des essbaren Geschirrs). Leider machen Makkaronis mit großem Hohlraum die Sache auch nicht besser. Ein Restaurant hätte aus diesen Nudeln ein Essen kochen können, so aber wandern sie zwangsläufig auf die Müllkippe.

Und was nun?
Versucht nach Möglichkeit, eure Getränke an öffentlichen Orten ohne Trinkhalm zu konsumieren: weist bei der Bestellung von Latte, Mors oder Limonade darauf hin, dass ihr keinen Trinkhalm benötigt. Wenn ihr Zuhause nicht darauf verzichten könnt, dann stellt auf Trinkhalme aus Metall um, die ihr mithilfe einer speziellen Bürste reinigen könnt.

Zusammengefasst: Seid kritisch im Umgang mit diesen und anderen Öko-Mythen, bringt Neugier mit, stellt Fragen, führt Experimente durch und übt euch in der Interpretation staatlicher Zertifikate und technischer Reglementierungen (die alle frei zugänglich sind).

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