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Saratow
Petr-Stolypin-Prospekt (ehemals Deutsche Straße)

Deutsche Straße in Saratow: Konservatorium, Konzerthalle, ehemalige Stadtvillen von Kaufleuten
Foto: Alexander Milewskij © Goethe-Institut

Von Prof. Dr. Sergey Terekhin, Prof. Dr. Olga Litzenberger

Die Präsenz der deutschen Gemeinde in Saratow war recht bemerkenswert. Mehr als 100 deutsche Siedlungen, sogenannte Kolonien, waren in unmittelbarer Nähe zur Stadt platziert. Nachdem 1801 der Erlass „über die Erlaubnis für die Ansiedler, [...] sich in Saratow niederzulassen und Handelsgewerbe zu betreiben“ verabschiedet wurde, diente diese Erlaubnis für einen bedeutenden Teil der nach Powolschje umgesiedelten Europäer als direktes Signal, ins Zentrum des Gouvernements umzuziehen und zu den gewöhnlichen städtischen Beschäftigungen – Handwerk, Handel, Dienstleistung – zurückzukehren. Während 1795 noch 137 Deutsche in Saratow wohnten, waren es gut hundert Jahre später –1897 – etwa 8.500 und Mitte der 1930er Jahre bereits mehr als 15.000 Menschen.

Die Grundstücke für die neuen Bewohner wurden auf einem hohen Plateau vergeben, das sich außen an die Grenze der Altstadt – den Stadtwall – anschloss. Hier begann der Bau der „Deutschen Sloboda“. Zuerst entstanden öffentliche Objekte: das Gebäude des Vormundschaftsbüros (1803, Architekt: H. Losse), die Kirche der „drei ausländischen Religionen“ (Lutheraner, Reformierte und Katholiken, 1793, Architekt: A. Triper), und später auch separat die katholische Kirche (1805).

Allmählich verwandelte sich die Deutsche Sloboda in die gleichnamige Straße und wurde zur wichtigen Strecke, die die Stadt aus ihren alten Grenzen führte. Hier bildete sich ein neues administratives und öffentlich-kommerzielles Zentrum von Saratow. Die Vorderseite der Straße wurde dicht mit ein- bis zweistöckigen, in der Regel steinernen Gebäuden bebaut, oft mit Geschäftsläden oder Werkstätten im Erdgeschoss.

Mitte des 19. Jahrhunderts war die Straße etwa eine Werst lang (entspricht ca. einem guten Kilometer) und bestand aus drei Stadtvierteln, eine Konstellation, die bis heute völlig erhalten geblieben ist. Das erste Stadtviertel, das am Stadtgarten „Lipki“ begann, beherbergte das Vormundschaftsbüro, die beiden Kirchen und das Wohnhaus eines katholischen Priesters – hier lebte die Oberschicht der Russlanddeutschen von Saratow und machte die Mehrheit aus. Unter ihnen waren z.B. F. Erfurt, ein großer Hausbesitzer, der auf der Deutschen Straße zwei Wohnhäuser und ein Hotel besaß, I. Seifert, der die erste Dampfmahlmühle in der Stadt (seit 1865) und das Hotel „Rossija“ besaß, I. Guber, ein Pfarrer und der Vater von E. Guber, der Dichter und der erste Übersetzer von Goethes „Faust“ ins Russische. Es ist bemerkenswert, dass sich der Anteil der deutschen Familiennamen der Straßenbewohner vom Anfang der Straße zur Peripherie abnahm.

In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wurde die Deutsche Straße zur zentralen Handels- und Flanierstraße von Saratow. Die Reiseführer der damaligen Zeit nannten sie stolz „Newski-Prospekt der Hauptstadt der Wolga-Region “ (Newski-Prospekt – die berühmteste Straße in Sankt Petersburg). Hier entstanden neue Geschäfte, Restaurants, Hotels, Konditoreien, Filmtheater, trendige Salons und Ateliers.
Deutsche Straße in Saratow heute Petr-Stolypin-Prospekt Foto: Alexander Milewskij © Goethe-Institut Die Architektur der Stadt veränderte sich sichtbar. Mit der Aufhebung der strengen Vorschriften für die Planung und den Bau von Gebäuden 1871 bekamen die Saratow-Deutschen die Möglichkeit, eine bildliche und metaphorische Antwort auf die wachsende Identität der Gemeinde zu suchen. Erfolgreiche Kaufleute, Industrieunternehmer und Bankiers aus der deutschen Gemeinde begannen, aktiv in den Bau von großen öffentlichen Objekten zu investieren. 1879 bis 1880 wurden die evangelisch-lutherische Kirche (Architekten: Johann Jacobsthal, K. Tiden) und die katholische Kathedrale (Architekt: M. Grudistow) an ihren ursprünglichen Standorten aus Stein neu aufgebaut. Wahre Meisterwerke kann man auch einige andere gesamtstädtische Entwürfe nennen, so zum Beispiel das Konservatorium und die Hotels „Astoria“ und „Rossija“.

Die Wohnhäuser um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert erlangten auch ethnische Züge (hier und da gab es spitzbogige Fenster und Türme), aber nicht nur das: In Dekor und Details zeigten sich immer deutlicher Züge der professionellen europäischen Architektur, der Eklektik und des Jugendstils.

In den Jahren der Sowjetmacht wurde die Deutsche Straße mehrmals umbenannt, heute heißt sie offiziell Kirow-Prospekt (seit 1983 eine Fußgängerzone). Das Ensemble, die Position und der Charme der hiesigen Architekturumgebung sind trotz des Verlustes einiger einzigartiger Objekte erhalten geblieben.

Standortinformationen:
Petr-Stilypin-Prospekt (ehem. Deutsche Straße), Saratow

In Kooperation mit dem Bayerischen Kulturzentrum der Deutschen aus Russland e. V. (BKDR)

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