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Saratower Gebiet
Stadt Engels

Saratow_Ehemaliges Regierungsgebäude der ASSR der Wolgadeutschen
Foto: Alexander Milewskij © Goethe-Institut

Von Prof. Dr. Sergey Terekhin, Prof. Dr. Olga Litzenberger

Heute ist Engels eine große Stadt mit 227.000 Einwohnern (Stand: 2020). Sie wurde 1747 unter dem Namen Pokrowskaja Sloboda als Umschlagspunkt für den Transport von Salz gegründet, das an der unteren Wolga abgebaut wurde. Damals war es eine kleine Handelsstadt, die ihren Namen der Mariä-Schutz-Kirche verdankte.

Diese Funktion bestimmte das Antlitz der Siedlung: Im 18. Jahrhundert standen Anlegestellen, Lagerräume und Scheunen im Vordergrund. Ende des 19. Jahrhunderts kamen Ölfabriken, Gerbereibetriebe, Wind- und zum Ende des Jahrhunderts auch Dampfmühlen hinzu: An dieser Stelle sei der Gebäudekomplex der Dampfmühle des deutschen Kaufhauses der Brüder Stoll (1906–1909) in der Pristanskaja-Straße 148A erwähnt.
Engels. Dampfmühle des Handelshauses der Gebrüder Stohl (1906–1909 гг.) Foto: Alexander Milewskij © Goethe-Institut Die Wohnbauten bestanden die ganze Zeit über aus Holz. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts zeichneten sich in der Ausgestaltung des zentralen Teils von Pokrowskaja Sloboda (Bezirk der heutigen Lenin- und Swoboda-Plätze) durch den Bau großer zweistöckiger Häuser (z.B. kaufmännische Einzelhäuser, Einkaufszentren) nach und nach städtische Merkmale ab; zu einem symbolträchtigen Ereignis wurde für das Städtchen die Eröffnung der Getreidebörse (1910–1913, Swoboda-Platz 3, Architekt J. Terlikow).
Engels_Ehemalige Getreidebörse Foto: Alexander Milewskij © Goethe-Institut Im Wachstum der deutschen Bevölkerung spiegelten sich die weiteren Veränderungen des Siedlungsstatus wider. So betrug die Anzahl der deutschen Siedler 1889 beispielsweise 625. Die kleine deutsche Gemeinde bevorzugte es, im Bezirk der heutigen Kommunistitscheskaja- (ehemalige Kobsarew-) Straße zu leben, die hinter den zwei miteinander verbundenen Zentralplätzen verlief. In den Wohnvierteln blieben einige Wohnhäuser aus der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert mit ihrem charakteristischem Ziegeldekor der Straßenfassaden, Brandmauern und massiven Zäunen mit Toren und Pforten erhalten.

Um 1914, als Pokrowskaja Sloboda sich schließlich zu einer Stadt entwickelte, wohnten hier schon etwa 4.000 Deutsche (11,5% der Bevölkerung). 1922 wurde Pokrowsk zur Hauptstadt des autonomen Gebiets erklärt, ab 1924 wurde sie zur Hauptstadt der Republik der Wolgadeutschen und 1931 in Engels umbenannt. Von 1922 bis 1941 stieg der Anteil der deutschen Stadtbewohner bedeutend an – nämlich auf 18,5% (13.500 Menschen). Die Hauptstadt brauchte dringend fähige Köpfe und Hände – und die deutsche Bevölkerung von Sawolschje zog aktiv in diese Gegend, um die Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten zu nutzen.

Es war daher notwendig, eine ganze Reihe von Objekten zu bauen, die dem neuen Status der Stadt entsprachen. Mit ihrer Planung war ab 1931 das lokale Planungsbüro „Nemprogor“ beschäftigt. Die deutsche Autonomie brauchte vor allem ein republikanisches Verwaltungsgebäude. Da in der kleinen Stadt nichts Geeignetes zu finden war, wurde folgendes vorgeschlagen: Zwei zweistöckige Gebäude (ehemalige kaufmännische Einzelhäuser, die auf dem zentralen Platz standen) miteinander zu verbinden und eine dritte Etage aufzustocken. Die Aufgabe wurde schnell und professionell erfüllt – 1937 bekam die Deutsche Republik ihr Sowjethaus (Regierungshaus), das zum Hauptbestandteil der Bebauung des zentralen Platzes (Lenin-Platz 30) wurde.
Engels. Ehemaliges Regierungsgebaude der ASSR der Wolgadeutschen Foto: Alexander Milewskij © Goethe-Institut Die Fassaden wurden von der Ästhetik bestimmt, die für die in den 1930er Jahren in Gebiets- und republikanischen Zentren der UdSSR gebauten Verwaltungsgebäude typisch war. Ihre Hauptmerkmale sind der monumentale Maßstab, die Nachahmung der klassischen Stile und das schlichte, strenge Dekor.

In kurzer Zeit wurde hier und zeitgleich in der Nähe eine Reihe von anderen „hauptstädtischen“ Objekten errichtet:

  • das Hotel „Zentral“ (heute „Wolga“), 1936–1938, Lenin-Platz, 18),
  • das Deutsche Pädagogische Institut (1938, Nesterow-Str. 1),
  • das Kino „Rodina“ (1936–1938, Swobody Platz 13, Architekt W. Kalmykow),
  • einige Mehrfamilienhäuser, mit dem bemerkenswerten Haus der Gorkomchos (1938–1947, Kalinin-Str. 3), Fachschulen, Schulen, u.s.w. Sie weisen eine bemerkbare Ähnlichkeit mit dem Sowjethaus hinsichtlich Stilistik (eine Kombination aus Konstruktivismus und Monumentalismus), Maßstab, Proportionen und Details auf.
Die meisten der genannten Gebäude aus den Zeiten der deutschen Republik blieben erhalten und werden bis heute genutzt; im Regierungshaus befindet sich beispielsweise die Verwaltung der Stadt und des Bezirks.

Das architektonische Erbe des kurzen „deutsch-hauptstädtischen“ Zeitraums ist interessant, da es sehr harmonisch ist und voll und ganz dem Kanon der klassischen Dramaturgie entspricht – der Einheit von Zeit, Ort und Handlung.

Prof. Dr. Sergey Terekhin, Prof. Dr. Olga Litzenberger

Standortinformationen:
Stadt Engels, Gebiet Saratow
Lenin-Platz 30, Engels, Gebiet Saratow

Website: engels-archive.ru 

In Kooperation mit dem Bayerischen Kulturzentrum der Deutschen aus Russland e. V. (BKDR)

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