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Saratow
Mühlanlagen auf Chernyshevskogo Straße

Saratow. Muehlanlagen auf Chernyshevskogo Straße
Foto: Alexander Milewskij © Goethe-Institut

Die mit Dampfmaschinen ausgestatteten Müllereibetriebe, häufig einfach Dampfmühlen genannt, können als Wahrzeichen der vergangenen Epoche betrachtet werden. Nach ihrer Erfindung in England Mitte des 18. Jahrhunderts kamen sie flächendeckend zum Einsatz. Diese Art von Industriebauten ist bemerkenswert und unverkennbar: Ihm liegt meistens ein mehrgeschossiger Turm zugrunde und es war unbedingte Voraussetzung, dass die Mühlen neben einer Verkehrsader wie etwa einem Fluss oder einer Eisenbahnstrecke angelegt wurden. Daher musste schlechthin jede Mühle mindestens zu einem der auffälligsten Bauwerke, wenn nicht gar zum Wahrzeichen in der jeweiligen Ortschaft werden – ob neben einer Bahnstation in Sibirien oder in einer europäischen Stadt.

Das Gouvernement Saratow, in dem seit jeher Weizen angebaut wurde, ist ein gutes Beispiel für eine Region, in der das künstlerische Element von Mühlen deutlich zum Ausdruck kam. Hier wurden zahlreiche Dampfmühlen gebaut und modernisiert: Im Jahr 1914 gab es bis zu 150. Ansässige deutsche Kolonisten betrieben bis zu 25% der Müllereiindustrie in dieser Region. Die Erfolgreichsten von ihnen verlegten ihre Standorte in Städte.

Die erste Dampfmühle in Saratow ließ 1865 Iwan Seifert bauen, und bald darauf entstanden am Wolga-Ufer auch andere große Bauwerke: So zum Beispiel die Betriebe der Familien Borel (1874, 1903), Schmidt, Reinecke (1879) und weiteren. Die genannten Familien waren die erfolgreichsten und einflussreichsten in der Stadt und im Gouvernement; ihr Ruf und ihre Geschäftskontakte reichten weit über die Region hinaus. Alle drei Familien stammten aus deutschen Kolonien an der Wolga: die Borels aus Goly Karamysch (ehemals Balzer), die Schmidts aus Ust-Solicha (ehemals Messer), und die Reineckes aus Popowka (ehemals Brehning).

Es ist davon auszugehen, dass die Architekten und Ingenieure vor Ort sich direkt oder indirekt nach dem Geschmack dieser Gruppe von Auftraggebern richten mussten. Im Zuge dieser Partnerschaft entstanden Dutzende neue Dampfmühlen, Silos, Getreidespeicher und ihre Anlagen, deren architektonisches Erscheinungsbild den deutschen Charakter ihrer Besitzer bildlich zum Ausdruck brachte.

In ihrer Gestaltung harmonierte der rationelle Kern mit Fantasie und sogar Romantik: Türme und Türmchen, gezackte Brüstungen und abgestufte Brandmauern, Gesimse, spitz auslaufende Giebel und Fensternischen, Spitzen und kunstvoll gewundene Gitter, kleine Blechlaternen und Wetterfahnen, metallgeschmiedete Wappen – eine Palette an eindrucksvollen Details und Techniken lässt diese zweckmäßigen Bauten wie wunderschöne, nahezu illusorische Szenebilder erscheinen. Gegen Anfang des 20. Jahrhunderts bildete sich ein erkennbares Muster für derartige Bauwerke. Andere Auftraggeber haben sie übernommen, weitgehend vervielfacht und auch in anderen Industriebauten verwendet: in Fabriken, Lagerräumen und Druckereien.

Die Mühlen von Saratow, die entlang der Wolga in Reih und Glied stehen, hinterlassen noch heute einen bleibenden Eindruck, auch wenn nicht alle erhalten geblieben sind, die ehemaligen Mühlen umgebaut wurden oder von mehrstöckigen Wohnhäusern verdeckt sind. Doch es gelingt ihnen auch heute, nicht nur ihre Arbeit zu verrichten, sondern auch mit ihrem monumentalen Erscheinungsbild und den makellosen Details die Blicke auf sich zu ziehen.

Standortinformationen:
Mühlanlagen, Chernyshevskogo Straße
Chernyshevskogo Str. 50; Chernyshevskogo Str. 90; Chernyshevskogo Str. 110
 
In Kooperation mit dem Bayerischen Kulturzentrum der Deutschen aus Russland e. V. (BKDR)

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